Kassenverluste: Sorge vor Fusionsfolgen steigt
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Ursachen Der Dachverbandsvorsitzende Peter Lehner ortet die Ursache für die Defizite bei den Vorgängerkassen. Dort gab es allerdings seit 2018 eine genaue Kontrolle durch Dachverband und Ministerium.
HEALTH ECONOMY Redaktion 21.02.2020

Kassenverluste: Sorge vor Fusionsfolgen steigt

Bis 2024 könnten Abgänge der ÖGK auf 1,7 Mrd. € steigen. Die Gesundheitsbranche fürchtet nun Einsparungen.

••• Von Martin Rümmele

Vor allem fusionserfahrene Pharmamanager haben es hinter vorgehaltener Hand von Beginn an vermutet: Die Zusammenlegung von neun Gebietskrankenkassen zu einer wird aufwendig, teuer und die Kassen wohl auf Jahre hin lähmen.

Warum auch sollten die Krankenversicherungen die Zusammenlegung von neun Unternehmen besser hinbekommen, als Pharmakonzerne die Fusion von normalerweise zwei Unternehmen. Die von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Ex-Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) im Jahr 2018 versprochene „Patientenmilliarde” wird es wohl so nicht nur nicht geben, sie wird vor allem Kurz noch jahrelang nachhängen. Jedes Mal nämlich, wenn, wie jetzt, Prognosen und Ergebnisse präsentiert werden, die tief rot sind. Und das wird, so die bisherigen Gepflogenheiten fortgesetzt werden, vierteljährlich sein.

Blutrote Startbilanz

Die Eröffnungsbilanz der neuen Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) und die Gebarungsvorschau verheißen jedenfalls nicht Gutes: Bis 2024 sollen die Verluste zusammengerechnet auf 1,7 Mrd. € ansteigen. Das sei eine Prognoserechnung, die „zeigt, was passiert, wenn keine Maßnahmen getroffen werden”, sagt ÖGK-Generaldirektor Bernhard Wurzer. „Ob und in welcher Form diese Prognosen eintreffen werden, hängt davon ab, welche Instrumente man dem Management zur Steuerung in die Hand gibt, um die Zielsetzungen der Fusion umsetzen zu können.” Der Aufschrei aller Stakeholder, der Arbeitnehmer und der Opposition folgten jedenfalls prompt. ÖVP und FPÖ hätten mit der Reform die Kassen kaputtsaniert, war der Tenor. Zudem habe die alte Regierung mit Reformen, wie den Kürzungen bei der Unfallversicherung durch Verschiebung von Kosten zur ÖGK und der Erhöhung der Zahlungen an den Privatkrankenanstaltenfonds der ÖGK einen Mühlstein mit Belastungen von 774 Mio. € bis 2024 umgehängt.

Die Antwort von ÖVP und Arbeitgebern folgte ebenso prompt und war keineswegs überraschend: Schuld seien die roten Vorgänger, die noch vor der Fusion kräftig Geld ausgegeben hätten, hieß es. Nicht zuletzt deshalb sei die Zusammenlegung der Kassen geradezu notwendig. Tatsächlich dürfte die Wahrheit in der Mitte liegen, denn 2018 nach Verkündigung der Reform haben ÖVP und FPÖ sofort eine Ausgabenbremse in den Kassen durchgesetzt und die Arbeitgeber haben in den Kontrollgremien mit Mehrheit alle Ausgaben abgesegnet.

ÖGK kündigt Sparkurs an

Sozial- und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) will nun mit einem Kassasturz für Klarheit sorgen. Am Mittwoch beorderte er alle Beteiligten ins Ministerium zu einem runden Tisch. Das Sozialministerium ist Aufsichtsbehörde über die Sozialversicherungen. Der ÖGK-Generaldirektor bekräftigte indes, dass in der Verwaltung gespart und in Leistungen für die Versicherten investiert werde. „Ja, es ist ein schwerer Rucksack, der uns umgehängt wurde, aber wir sind angetreten, um das zu bewältigen und die ÖGK finanziell zu stabilisieren”, sagte er. Zuvor hatte er auch betont, dass man mit den Leistungserbringern reden werde und ausgabenseitig „den Gürtel enger schnallen” müsse. Bei künftigen Honorarverträgen werde die Steigerung nicht über den Beitragseinnahmen liegen können, stellte Wurzer in Aussicht.

Stakeholder sind besorgt

Als „illusorisch und patientenfeindlich gleichermaßen” bezeichnete Johannes Steinhart, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte, die Aussagen. Damit würde es zu einer Schwächung des niedergelassenen Bereichs kommen, die „direkt zulasten der Patienten” ginge, sagte Steinhart. Keinesfalls werde die Ärzteschaft die Mehrkosten, die durch die Fusionierung der Krankenkassen entstanden sind, durch willkürliche Honorar- und Leistungskürzungen hinnehmen. Solche Debatten seien jedenfalls nicht hilfreich, wenn man angesichts des drohenden Ärztemangels Jungärzte motivieren wolle, einen Kassenvertrag anzustreben.

Auch der Präsident des Österreichischen Apothekerverbandes, Jürgen Rehak, warnt vor Kürzungen bei Leistungsanbietern. Die Apotheker möchten umgekehrt vielmehr eine Vergütung für die von ihnen erbrachten Nachtdienste und Erhöhung der Spannen bei den abgegebenen Medikamenten. „Wenn Herr Wurzer jetzt davon spricht, das fehlende Geld bei Leistungsanbietern einzutreiben zu wollen, dann bedeutet das de facto Leistungseinschränkungen. Und damit wird auf dem Rücken der Patientinnen und Patienten gespart werden”, sagt Rehak.

Pharmagespräche noch offen

Unruhe gibt es ob der Ankündigungen auch in der Pharma­branche, die bei Sparplänen schon traditionell immer zuerst zum Handkuss kommt. Derzeit herrscht allerdings gespannte Ruhe. Allerdings stehen hier Gespräche über die künftige Gestaltung von Preisen und Erstattungsmodalitäten. Der ausgelaufene Rahmenvertrag mit der Pharmabranche habe 80 Mio. € an Rabatten für Medikamentenkosten pro Jahr gebracht, sagt ÖGK-Arbeitnehmervertreter und Vizeobmann Andreas Huss, der kritisierte, dass sich im neuen Dachverband niemand mehr um einen Rahmenvertrag mit der Pharmabranche kümmert. Huss: „Auf fünf Jahre hochgerechnet, fehlen der ÖGK hier weitere 400 Millionen.”

Huss und die Co-Vorsitzende im Dachverband, die Leitende ÖGB-Sekretärin Ingrid Reischl, fürchten nun, dass es in der ÖGK trotz anderslautendem Regierungsbeschluss zu Selbstbehalten für die Patienten kommen wird und fordert stattdessen einen Risiko-Strukturausgleich auch mit den anderen Sozialversicherungsträgern.

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