Wie im Frühjahr avisiert, mündet die am längsten andauernde Rezession in der österreichischen Industrie seit dem Zweiten Weltkrieg in eine prolongierte Stagnation. Eine solche mag als konjunkturelle Verbesserung wahrgenommen werden, ohne jedoch die sonst übliche Perspektive eines Aufschwungs zu bieten – im Gegenteil: Zur Stagnation gesellt sich eine hartnäckige Infation, das Resultat heißt Stagflation. Mit allen bekannten Folgen: Arbeitsplatzverluste und Realeinkommenseinbußen, budgetärem Stress bei den Gebietskörperschaften und Sozialversicherungen, Investitionszurückhalung in Kombination mit einem Innovationsstau.
„Wir sollten nicht einer Aufschwungsillusion unterliegen. Viele glauben, dass nach Jahren der Rezession jetzt endlich Besserung eintritt, aber die Realität spricht leider eine andere Sprache“, warnt Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV).
Mut wäre gefragt
Denn es gingen vom standortpolitischen Umfeld in Österreich wie auch von seinem geopolitischen Pendant nach wie vor kaum positive Impulse aus, heißt es bei der IV. Einzelne Maßnahmen wie das Stromkosten-Ausgleichsgesetz und die Erhöhung des Investitionsfreibetrages wiesen in die richtige Richtung, Strukturreformen und Leuchtturminitiativen, die geeignet wären, der erodierenden Standortqualität Einhalt zu gebieten und die Investitionsstimmung zu drehen, stünden jedoch weiterhin aus. Neumayer betont: „Die Industrie steckt zwischen Stagnation und Infation fest. Es ist höchste Zeit, dass die Politik erkennt: Ohne mutige Strukturreformen und einer Ausgabenbremse – die Staatsquote muss wieder unter 50 Prozent –, die Vertrauen auf Besserung schaffen, bleibt jeder Aufschwung eine Illusion.“
Geopolitische Belastungen
Im Zollkonfikt zwischen der EU und den USA sehen sich die Unternehmen mit einem asymmetrischen Zollregime zuungunsten der europäischen Exporteure bei zugleich starken Exportanstrengungen asiatischer Länder auf dem europäischen Markt konfrontiert.
Verschärfend kommt hinzu, dass die ohnedies unter Druck stehende preisliche Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Warenexporte in den Dollarraum noch dadurch gemindert wird, dass der Euro gegenüber dem US-Dollar um rund acht Prozent binnen eines Jahres aufgewertet hat. „Die Kombination aus steigenden Preisen, schwacher Nachfrage und hoher geopolitscher Unsicherheit untergräbt Investitionen und Wachstum. Österreichs Industrie hat den Boden des Tals erreicht, aber noch keinen Weg hinaus gefun-den“, fasst IV-Chefökonom Christian Helmenstein zusammen.
Angesichts dieser Belastungskulisse vermag sich das IV-Konjunkturbarometer nicht im marginal positiven Terrain nahe der Nulllinie zu halten, welches erst im Frühjahr erklommen wurde, vielmehr kippt der Saldo von +1,0 Punkten auf –5,7 Punkte deutlich ins Negative.
Trübe Stimmung
Als Alarmzeichen wertet die IV, dass diese erneute Trendumkehr beide Komponenten, also sowohl auf die aktuelle Lageeinschätzung als auch auf die Erwartungen an den Geschäftsverlauf in sechs Monaten, betrifft: Bei der Komponente der aktuellen Lageeinschätzung in der Industrie verschlechtert sich der Saldo von –6 Punkten auf –8 Punkte, während der Saldo bei den Geschäftserwartungen von +8 Punkten auf nunmehr –3 Punkte abstürzt. Dies bringt zum Ausdruck, dass die Industrie jede Hoffnung auf einen baldigen Aufschwung preisgegeben hat. Helmenstein dazu: „Was wir derzeit beobachten, ist keine Stabilisierung, sondern ein Stillstand unter verschärften Bedingungen. Die Industrie steht auf der Bremse, während die Kosten weiter steigen, das ist ein klassisches Stagfationsmuster.“
Die Ergebnisse im Detail
Vier wesentliche Widrigkeiten stehen der IV zufolge der Absicherung des Industriestandortes Österreich entgegen. Erstens die Energiekosten, zweitens die Steuer- und Abgabenbelastungen, drittens die bürokratische Überbeanspruchung und viertens die ungünstigen Lohnstückkostendynamiken. Gegebenenfalls wäre dazu auch noch der Fachkräftemangel zu zählen, aber erst bei einem Aufschwung, der eine solche Bezeichnung auch verdiente. Die Lohnstückkostendynamik wiederum setze sich zusammen aus der Nominallohn- und der Produktivitätsentwicklung. Bei Letzterer gelinge es nicht mehr, Dynamik zu entfalten. Eine solche wäre aber von zentraler Bedeutung, um den Wohlstand in Österreich abzusichern und auszubauen.
