Im Boost-Modus
© Beckhoff/Kraus & Naimer
Ibrahim Podrimja (Leiter Automatisierungstechnik bei Kraus & Naimer), David Kittl (Vertrieb Beckhoff Österreich) sowie Gerald Platzkammer (Elektrokonstruktion und Softwareentwicklung) und Rainer Fraunschiel (Entwickler; beide Kraus & Naimer)
INDUSTRIAL TECHNOLOGY Helga Krémer 16.05.2025

Im Boost-Modus

EtherCAT ist die mit Abstand schnellste Industrial Ethernet-Technologie. Beckhoff-Spezialisten gelang es, bisherige Zykluszeiten von 100 µs auf 20 µs zu reduzieren.

WIEN. Mit über 118 Jahren Erfahrung ist Kraus & Naimer als Spezialist für Schalter und Nockenschaltwerke anerkannt. Neben einem umfangreichen Programm an Standard-Schaltern liefert das Unternehmen individuelle Lösungen für unterschiedliche Anwendungen mit bis zu 96 Kontakten und kundenspezifischen Kontaktabwicklungen. „Solche speziellen Schaltwerke bereits ab Losgröße 1 sind ein Alleinstellungsmerkmal von Kraus & Naimer,“ betont Christoph Halbertschlager, Leiter Produktdatenmanagement und Marketing bei Kraus & Naimer. Am größten Produktionsstandort in Weikersdorf werden täglich rund 8.000 Schalter produziert, vom kleinen Steuerschalter über Lasttrennschalter mit mehreren Dutzend Kontakten bis hin zu ganz großen Einheiten, die in Kraftwerken und Energieverteilungen zum Einsatz kommen.

Trotz der vielen individuellen Varianten wird jeder einzelne Schalter umfassend getestet und das Ergebnis dokumentiert. Der Produktionsmitarbeiter legt dazu den Schalter in die Prüfvorrichtung, fährt die Prüfspitzen pneumatisch über einen Fußschalter an die Schaltkontakte und betätigt über einen Prüfgriff mit integriertem Encoder die verschiedenen Schalterstellungen. Beim Durchschalten werden die Signalverläufe und Drehwinkel präzise erfasst. „Um die Schaltvorgänge sowohl zeitlich als auch bezogen auf die Winkelstellung des Schalters prüfen zu können, sind eine Vielzahl von Ein- und Ausgängen hochauflösend aufzuzeichnen,“ betont Ibrahim Podrimja, Leiter Automatisierungstechnik bei Kraus & Naimer in Weikersdorf.

Schnelle Signalerfassung
Die Aufzeichnung der Signale erfolgt mithilfe eines Embedded-PC CX2043, acht digitalen Eingangsklemmen EL1018 (8-kanalig) mit schnellem Eingangsfilter, 26 digitalen Ausgangsklemmen EL2202 mit Distributed-Clocks-Funktion, die eine besonders schnelle Signalausgabe unterstützen. Die Schalterstellung beim Betätigen wird mit einer Auflösung von 1 mittels einer EtherCAT-Klemme EL5001, einem SSI-Master mit Distributed-Clocks-Funktion, erfasst. Abhängig von der Schalterkonfiguration sind bis zu 24 Schaltstellungen möglich. Mit der aktuellen Konfiguration kann Kraus & Naimer bis zu 48 Kontakte (24 Kontaktpaare) prüfen.

Die Herausforderung bei der Prüfung war, das Schaltmuster während der Betätigung schnell und exakt aufzuzeichnen. „Wir haben sehr enge Toleranzbereiche definiert, in denen ein Kontakt abfallen oder schließen muss“, betont Gerald Platzkammer, Elektrokonstruktion und Softwareentwicklung bei Kraus & Naimer. Um die dafür notwendige hohe zeitliche Auflösung zu erreichen, wurde zusammen mit den Spezialisten von Beckhoff überlegt, wie das zu erreichen ist.

Technologie-Varianten
Zu Beginn des Projekts wurde überlegt, die hohen Anforderungen an die zeitliche Auflösung mit der eXtreme Fast Control Technology (XFC) umzusetzen. Die Zuordnung der Ein- und Ausgänge wäre über die präzisen Zeitstempel zwar möglich gewesen, hätte in diesem Fall bei der Auswertung jedoch zusätzlichen Aufwand verursacht. „Viel effektiver war es, die Zykluszeit von EtherCAT auf 20 µs zu reduzieren“, so David Kittl, Vertrieb Beckhoff Österreich. Für das Setzen der Ausgänge und Rücklesen der Eingänge wurden zwei Buszyklen angesetzt. „Bei einer weiteren Reduzierung der Zykluszeit wäre keine eindeutige Zuordnung der Ein- und Ausgänge mehr möglich gewesen“, ergänzt Platzkammer.

In Summe erfasst der Embedded-PC CX2043 bei jeder Prüfung über EtherCAT in der aktuellen Konfiguration für 48 Kontakte rund 830.000 Bits − in der Endausbaustufe für 92 Kontakte sind es rund 3.000.000 Bits − die als Array an das Auswerteprogramm übertragen werden.

PC-based Control ersetzt separate Messtechnik
Vor dem Wechsel zu Beckhoff als Automatisierungslieferant verwendete Kraus & Naimer einen separaten Messtechnik-Rechner mit individuell entwickelten Einsteckkarten. Durch den Einsatz von PC-based Control habe Kraus & Naimer laut Podrimja das notwendige Equipment deutlich reduzieren können: „Wir sparen den Platz und die Kosten für den zusätzlichen PC. Zudem sind wir unabhängiger geworden, da wir Standard-Komponenten von Beckhoff einsetzen.“ Hinzukomme das umfassende Portfolio, der Support und die Lösungskompetenz der Vertriebsmannschaft, die bei der Umsetzung weiterer Projekte unterstütze.

Vorteile ergaben sich ebenso durch den Wechsel auf TwinCAT 3 und Strukturierten Text als Programmiersprache. „Wir konnten das Steuerungsprogramm intelligenter aufbauen und zusätzliche Funktionen implementieren, die vorher nur sehr schwierig umzusetzen gewesen wären“, betont Platzkammer. Zudem ermögliche die Offenheit von PC-based Control, neben TwinCAT HMI bei Bedarf eine beliebige Visualisierung zu nutzen. Ein weiterer großer Vorteil von TwinCAT sieht Podrimja in der Verbreitung von TwinCAT 3: „Viele Berufsschüler lernen schon während der Ausbildung mit TwinCAT 3 zu programmieren und kennen PC-based Control bereits, wenn wir sie als Steuerungstechniker rekrutieren.“ Ein großer Pluspunkt sei auch die in Deutsch verfügbare Dokumentation der Software und Funktionen.

Weitere Projekte geplant
Parallel zu den laufenden Projekten in der Montageautomation startet mit dem manuellen Highend-Prüfstand die Zusammenarbeit im Prüftechnik-Bereich. Geplant sind weitere Prüfstationen, die weltweit an den verschiedenen Produktionsstandorten von Kraus & Naimer zum Einsatz kommen sollen. Auch die bestehenden vollautomatischen Prüfstände sollen zukünftig ein Steuerungsupgrade mit Beckhoff erhalten. Seit Beginn der Zusammenarbeit im Herbst 2023 sind parallel zu den Prüfplätzen vier weitere Projekte in der Umsetzung sowie ein Montageautomat in der Planung. „Beckhoff passt mit seiner Mentalität und der Größe des Unternehmens am besten zu uns“, resümiert Podrimja.

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