Vertrieb hinkt ­Produktion nach
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HauptzielgruppeMehr als die Hälfte (54%) der B2B-Einkäufer sind laut der Intershop-Umfrage Servicetechniker, die unter anderem direkt vom Einsatzort aus Komponenten und Ersatzteile bestellen. Projekt­ingenieure machen mit 62% die größte Gruppe der professionellen Online-Shopper aus.
INDUSTRIAL TECHNOLOGY 11.12.2015

Vertrieb hinkt ­Produktion nach

Erst 42 Prozent der Unternehmen haben ihren Vertrieb im B2B-Sektor an die zunehmende Digitalisierung angepasst.

••• Von Britta Biron

Wie kauft man heute ein? Immer öfter lautet die Antwort: online. Von Büchern über Mode, Haushaltsgeräte und Unterhaltungselektronik, Spielwaren und Kosmetik bis hin zu Luxusartikeln. Und längst umfasst das Sortiment der Onlineshops nicht nur Standardware, sondern der Kunde hat auch immer mehr Möglichkeiten, die Produkte seinem persönlichen Geschmack anzupassen.

Ganz anders sieht es allerdings für Profieinkäufer in Unternehmen aus. Denn im B2B-Vertrieb hinkt die Digitalisierung noch deutlich hinterher, wie verschiedene aktuelle Studien zeigen.

Zaghafte Anfänge

Zwar sind sich 60% der knapp 3.000 Vertriebsverantwortlichen von B2B-Unternehmen (hauptsächlich aus den Branchen Elektrotechnik, Automobilindustrie, Maschinenbau, Metallerzeugung und -bearbeitung), die von Roland Berger und Google befragt wurden, bewusst, dass ein digitaler Vertriebskanal künftig ausschlaggebend für den Geschäftserfolg sein wird, doch in nicht einmal der Hälfte der Unternehmen (42%) wird auch eine Strategie zum Ausbau digitaler Aktivitäten verfolgt, und immerhin 33% bieten ihren Firmenkunden keine Online-Bestellmöglichkeit. Viele Anbieter im Produkt- und Systemgeschäft nutzen den Online-Kanal bisher hauptsächlich zur Selbstdarstellung.

„Unter dem Schlagwort ‚Digitalisierung' verstehen viele Firmen lediglich den Wandel bei Produkten und Produktionsprozessen”, sagt Stefan Hentschel, Industry Leader Technology & B2B von Google. „Dabei umfasst die Digitalisierung alle Unternehmensbereiche. Und gerade der B2B-Vertrieb, also die Schnittstelle zum Kunden, wird bis jetzt vernachlässigt, obwohl hier sehr viel Potenzial steckt.”

Hohes Potenzial

Wie hoch dieses sein kann, zeigt das Beispiel eines Telekommunikationsausrüsters, der seine Vertriebsmitarbeiter mit Tablets und einer speziellen Verkaufs-App ausgestattet hatte, mit der die Verkäufer Produkte direkt vor Ort beim Kunden konfigurieren konnten.

Nach nur sechs Monaten erzielten die Verkäufer pro Kontakt 5-10% mehr Vertragsabschlüsse. Gleichzeitig sank der Zeitbedarf pro Kunde um durchschnittlich 10 Minuten, und der Gesamtwert der Verkäufe stieg um knapp 70%.
„Allein durch die Nutzung von ‚Google Adwords' ergibt sich je nach Branche ein jährlicher Return on Investment zwischen 300 und 1.000 Prozent”, nennt Ralph Lässig, Partner von Roland Berger. Für Hentschel ein weiteres Beispiel dafür, wie sehr sich Investitionen in digitale Vertriebskanäle rentieren. „Ein digitalisierter Vertrieb erleichtert den Zugang zum Kunden. Bei optimaler Anwendung der neuen Kanäle können mit wenig Aufwand Hunderte Einkäufer gleichzeitig erreicht werden.”
Und man kann zu Recht davon ausgehen, dass bei diesen digitale Methoden gut ankommen. Denn wie die Studie zeigt, ist sowohl in den USA als auch in Deutschland rund die Hälfte der Einkäufer jünger als 35 Jahre und gehört demnach zur Gruppe der Digital Natives. Und deren Einkaufsverhalten unterscheidet sich grundlegend von jenem ihrer Vorgänger: Sie sind es bereits gewohnt, private Konsumgüter online zu kaufen und übertragen diese – zumeist ­positiven – Erfahrungen klarerweise auch auf ihren beruflichen Alltag.

Online liegt im Trend

Forrester Research hat im Rahmen einer Umfrage im Vorjahr ermittelt, dass 90% der B2B-Einkäufer im Internet recherchieren und gut 70% Videos ansehen oder gezielt online nach Produkten suchen, um sich vor einem Kauf zu informieren.

Wichtige Entscheidungskriterien sind dabei – neben den produktspezifischen Aspekten wie Qualität, Preis und Lieferzeit – vor allem, wie gut erreichbar der Anbieter (online) ist. Bis der Einkäufer schließlich erstmals persönlich Kontakt zum Verkäufer aufnimmt, ist ein guter Teil des Entscheidungsprozesses – nämlich 57% – bereits abgeschlossen.
Unternehmen mit einem traditionellen Offline-Vertrieb kommen hier natürlich deutlich schwerer zum Zug, zumal sich der Onlinetrend weiter verstärken wird. So gehen die Einkäufer, die von Forrester befragt wurden, davon aus, dass bis bereits im Jahr 2017 mehr als die Hälfte aller Einkäufe online abgewickelt werden.
Laut einer Untersuchung der auf Marktanalyse spezialisierten Unternehmensberatung Frost & Sullivan wird der weltweite B2B-Online-Markt bis 2020 jährlich um etwa 7,7% wachsen und dann ein Volumen von knapp 6,2 Billionen Euro erreichen; das entspricht dem Doppelten des B2C-Online-Markts.
„Die Digitalisierung des Vertriebs wird zum wichtigen Erfolgsfaktor”, ist Lässig überzeugt. „Wer sich nicht an die Bedürfnisse dieser neuen Generation von Einkaufsentscheidern anpasst, setzt langfristig seine Wettbewerbsposition aufs Spiel.”

Viele Pluspunkte

Erkannt haben die Unternehmen den Trend der Zeit bereits, wie eine Umfrage von Intershop bei 400 B2B-Entscheidungsträgern in Großbritannien, den USA, Deutschland, Frankreich, Skandinavien und den Benelux-Staaten zeigt. 97% der Befragten gaben an, die Auswirkungen des Wandels ihrer B2B-Kanäle zu bemerken.

Jene, die bereits über einen digitalisierten B2B-Commerce verfügen, bewerten ihre Erfahrungen damit durchwegs positiv.
Mehr als die Hälfte (54%) gab an, über diesen Kanal bereits neue Kunden gewonnen zu haben, 46% berichten, dass ihr Gesamtumsatz bzw. der Umsatz je Vertriebsmitarbeiter dadurch gestiegen sei, und 40% berichten, dass durch den Online-Vertrieb die Risiken der globalen Expansion reduziert werden konnten.
Generell verbinden Unternehmen mit der Digitalisierung des Vertriebs durchwegs Vorteile. Mehr als die Hälfte (53%) nannte eine Steigerung der Geschäftseffizienz und 42% die Möglichkeit, den Kunden Mehrwert zu bieten. 38% gehen davon aus, dass sie mithilfe der Digitalisierung des Vertriebs neue Geschäftsmodelle und Einnahmequellen realisieren sowie schnellere und kürzere Produktentwicklungszyklen erreichen konnten.
Weitere Pluspunkte sind, dass elektronisch eingehende Bestellungen in der Bearbeitung weniger aufwendig und auch weniger fehlerträchtig sind. Zudem können Kunden auch außerhalb der regulären Bürozeiten bestellen. Und wenn Vertrieb und Kundendienst sich nicht um Bestelldaten und Bestandsanfragen kümmern müssen, haben sie mehr Zeit für strategische Maßnahmen. Zudem entfallen die Kosten für Druck und Versand von Katalogen.

Kundenerwartungen

Knapp vier von 10 Befragten sehen im digitalen Vertrieb ein wichtiges Tool, um die Kundenbindung zu erhöhen – ein wichtiges Kriterium, denn wie eine Analyse von Bain & Company im Frühling dieses Jahres gezeigt hat, ist eine sinkende Kundenloyalität für fast 70% der B2B-Unternehmen ein wachsendes Problem. Kein Wunder eigentlich, denn nur in 40% der Unternehmen kennt der Key Account die Kaufprozesse seiner Kunden, und in nicht einmal jedem dritten Betrieb (30%) werden potenzielle Kunden analysiert – führende Unternehmen tun dies achtmal häufiger.

Wichtiger Datenlieferant

Nicht für alle Produkte ist eCommerce sinnvoll; komplexe Maschinen oder sehr teure Produkte werden kaum online verkauft. Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass Maschinenbauer das Thema außen vor lassen sollten. Denn Ersatzteile und Verbrauchsgüter eignen sich sehr wohl für den digitalen Vertriebskanal.

„Schnelldrehende Produkte verkaufen sich auch im B2B-Bereich online bestens, da der Einkäufer hier selten eine Freigabe benötigt”, sagt Roland Fesenmayr, Vorstand des eCommerce-Spezialisten Oxid eSales AG.
Schnittstellen machen zudem die einfache Integration eines eShops in SAP oder andere ERP-Systeme möglich, was über Realtime-Terminbestellungen die Produktionsplanung erleichtert. „Auf einen Blick ist klar, welche Produkte in welcher Stückzahl zu welchem Termin benötigt werden. Mit diesen Werten lassen sich Fertigungs­zyklen besser planen, wodurch eine günstigere Kalkulation der Produkte erzielt werden kann”, so Fesenmayr weiter.

Interne Kooperation wichtig

„Im Zeitalter des Onlinehandels – egal ob B2C oder B2B – gibt der Kunde den Impuls: Er entscheidet, wann, wo und in welcher Form er mit seinem Gegenüber im Vertrieb interagieren möchte”, erläutert Hentschel den Paradigmenwechsel im Vertrieb, der allerdings auch Auswirkungen auf viele andere Unternehmensbereiche haben wird bzw. eine engere interne Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen – generell ein wesentlicher Faktor der Digitalisierung – erfordert. Die Geschäftsbereiche, die davon am stärksten betroffen werden, sind laut der Intershop-Umfrage Vertrieb (50%), Marketing (45%), Ordererfassung (39%) und Customer-Relationship-Management (35%).

Wesentlich für einen erfolgreichen eCommerce ist, darin sich sich die verschiedenen Studien einig, dass sich ein Entscheider auf Geschäftsführungsebene des Themas annimmt. Auch zur Zusammenarbeit mit externen Partnern, die das fehlende Know-how im digitalen Vertrieb beisteuern, wird geraten.

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