Wien. Seit 2020 ist fast nichts mehr wie es früher war – auch nicht die Mode. Zwar hatte sich schon davor ein großer gesellschaftlicher Umbruch abgezeichnet, das aktuelle Ausmaß war damals jedoch jenseits aller Vorstellungskraft. Jetzt geht es nicht nur um den Wunsch nach klimafreundlicheren und nachhaltigeren Lifestylegütern – der gesamte Zugang betreffend Mode und Konsum ist großen Veränderungen unterworfen.
Öko, Ethik und Re-Use …
Mode ist schon lange liberalisiert und allen Käuferschichten zugänglich, und auch die vormals strengen Modediktate sind gefallen. Die Anschaffung neuer Fashion-Items wird weit über den tatsächlichen Bedarf zelebriert und durch raffinierte Kaufanreize angeheizt. Sozialprestige über Markendefinition oder Trend-Must-haves spielen dabei ebenso eine Rolle wie eine gewollte Obsoleszenz von Produkten und Konsum als Kompensation anderer fehlender Inhalte. All das ist, glaubt man den neuesten Prognosen internationaler Trendagenturen, bald weit weniger relevant.
Die Lust nach Neuem als grundlegend menschliches Bedürfnis besteht freilich weiter; schließlich sind wir als Persönlichkeit einer stetigen Weiterentwicklung unterworfen, die wir auch über unser Styling ausdrücken möchten. Allerdings werden sich Werte, mit denen wir uns gerne nach außen schmücken, grundlegend verändern.
… sind en vogue
Es geht nicht mehr darum, schnelllebigen Trends – oft in minderer Qualität – hinterherzuhecheln, sondern sich mit langlebigen und hochwertigen Waren zu umgeben – Slow Fashion, kreativ im Design, aber zugleich zeitlos. Statt wie bisher vorwiegend auf Marke, Stil, Farbe und Preis zu achten, gewinnen Hintergrundfaktoren mehr Gewicht. Neben ressourcenschonenden, nachhaltigen und ethisch korrekten, möglichst lokalen, transparenten Produktionen sind Kreislaufwirtschaft und Individualität die neuen Werteparameter.
Diese Utopie ist nicht mehr so fern wie es scheint, denn „Backstage” gibt es eine Fülle an Innovationen, die diesen Trend vorantreiben. So lässt sich beispielsweise gebrauchte Baumwollkleidung umweltschonend bis in die Faser zerlegen und zu neuen Garnen verspinnen. Alte Strickteile werden recycelt, indem die Wollgarne aufbereitet und wieder zu Wirkwaren verarbeitet werden. Hightech-Verfahren und der Einsatz spezieller Bakterienkulturen ermöglichen eine wasserschonende und umweltfreundliche Herstellung und Oberflächenbearbeitung von Denim und Co. Spezielle 3D-Druckverfahren gestatten günstige, höchst individuelle Objekte, beispielsweise Accessoires, Schmuck oder Dekorgegenstände, die via Computerprogramme von Endverbrauchern selbst entworfen werden können. Open Sources-Projekte ermöglichen auch kleinen Produzenten einen kostengünstigen Zugang zu neuen Technologien.
Homewear statt Partydress
Werden die Kleidungsstücke so produziert, dass sie nach ihrem Gebrauch wieder in ihre Bestandteile zerlegt und recycelt werden können, was eine hohe Materialqualität voraussetzt, ergeben sich auch für Global Brands ganz neue Perspektiven. Alte Kollektionsteile könnten in den Shops gegen Gutscheine abgegeben werden, und die Stoffe sowie Details, wie Knöpfe und Applikationen in künftigen Modellen wieder neu zum Einsatz kommen.
Auch welche Art von Kleidung wir künftig benötigen werden, wird sich verändern. Homeoffice und Online-Business sind gekommen, um zu bleiben. Mit einem funktionierenden WLAN-Zugang lässt es sich in etlichen Berufen und Lebenssituationen bestens ortsunabhängig arbeiten und leben. Laut der Trendforscherin Li Edelkoort steht uns eine massive Abwanderung aufs Land bevor. Wir verbringen künftig mehr Zeit in der Natur, selbst jene, die weiterhin im urbanen Umfeld leben – und wir laden öfter nach Hause ein und wählen selektiver, wann und wohin wir ausgehen. Dadurch benötigen wir weniger Party- und Businesskleidung, dafür mehr Home- und Freizeitkleidung. Diese wird stylisher, hochwertiger und individueller. Schließlich kleiden wir uns nun in erster Linie, um uns selbst und nicht, um anderen zu gefallen.