Der Druck steigt
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LUXURY BRANDS&RETAIL britta biron 16.06.2023

Der Druck steigt

Neue Facetten ­Während die Geschäfte mit edlem Geschmeide glänzend laufen, ist die Lage der Diamantenbranche derzeit turbulent. ­Sorgen bereiten schwache Nachfrage in wichtigen Märkten, die Konkurrenz aus dem Labor und die Russlandsanktionen. Seite 4

Antwerpen/Surat. Weltweit wurden im Vorjahr laut einer Analyse von Grand View Research rund 340 Mrd. USD mit Diamantschmuck umgesetzt und bis 2033 rechnet man mit einer jährlichen Steigerungsrate von 4,6%. Für das Luxussegment, auf das rund ein Drittel des Umsatzvolumens entfällt, gehen die Analysten von einem Plus von 8,2% p.a. aus.

Eine recht vorsichtige Schätzung im Vergleich zur derzeitigen Entwicklung: Für das im März abgeschlossene Geschäftsjahr meldete der Richemont-Konzern für seinen Schmucksektor, der aus den Marken Cartier, Van Cleef & Arples und Buccellati besteht, ein Plus von 21% auf 13, 427 Mrd. €.
Der LVMH-Konzern konnte 2022 für seinen Schmuck- und Uhrenbereich eine 18%ige Umsatzsteigerung auf 10,581 Mrd. € verzeichnen und der Aufwärtstrend setzte sich im ersten Quartal dieses Jahres weiter fort (+11%). Detailzahlen für die einzelnen Marken werden zwar nicht angegeben, aber in den Berichten wird explizit auf die sehr gute Entwicklung von Tiffany und Bulgari hingewiesen.
Ein weiteres Beispiel dafür, dass Diamantschmuck hoch im Kurs steht, zeigt eine kürzlich durchgeführte Befragung von Juwelieren in Deutschland und Österreich durch das Branchenfachmedium Blickpunkt Juwelier. Solitär- und Memoireringe wurden neben Trauringen als die am häufigsten verkauften Produkte genannt und der Umsatz mit Diamantschmuck ist im Vorjahr gegenüber 2021 um durchschnittlich 18% gestiegen.

Schwankende Nachfrage

Wenn die Geschäft mit Diamantschmuck also nach wie vor gut laufen, sollte das für die Unternehmen, die die Edelsteine fördern, bearbeiten und handeln, ebenso gelten. Aber die Nachfrage nach Diamantschmuck und losen Diamanten läuft nicht parallel.
Das zeigt sich an der Exportstatistik der indischen Schmuck- und Edelsteinindustrie: Die Umsätze mit Diamantschmuck stiegen zwischen April 2022 und März 2023 gegenüber der Vorperiode um 6,7% auf 424,6 Mrd. Rupien (5,14 Mrd. USD) bzw. blieben auf USD-Basis mit einem Minus von weniger als einem Prozent stabil. Dagegen verzeichneten die Exporte von Rohdiamanten und geschliffener Ware mit 1,767 Bio. (21 Mrd. USD) ein Minus von knapp drei bzw. zehn Prozent.
Laut Vipul Shah, dem Vorstandsvorsitzenden des Gem & Jewellery Export Councils (GJEPC) sind dafür mehrere Gründe verantwortlich: Die Nachfrage aus China war 2022 wegen der Lockdowns generell gering und jene aus den USA hatte sich ab der zweiten Jahreshälfte ebenfalls verringert. Eine stabile Entwicklung der Geschäfte mit Europa und Ostasien konnte diesen Rückgang nur teilweise kompensieren.
Zudem bekommen die indischen Diamantenschleifer die wachsende Konkurrenz aus afrikanischen Ländern wie Namibia, Botswana und Angola zu spüren, wo seit einiger Zeit verstärkt in den Ausbau einer eigenen Schleifindustrie investiert wird.

Russische Diamanten …

Auch für den De Beers-Konzern, den Big Player der Diamantenindustrie, ist es 2022 nicht mehr so glänzend gelaufen wie im Jahr davor. Zwar stieg der Umsatz mit Rohdiamanten um rund 22% auf sechs Mrd. USD, was vor allem auf ein starkes erstes Halbjahr zurückzuführen ist, in dem überdurchschnittlich viele hochwertige Edelsteine verkauft wurden. Insgesamt lag die abgesetzte Menge mit 30,36 Mio. ct um neun Prozent niedriger als 2021. Und die ersten vier Verkaufsrunden dieses Jahres haben mit einem Gesamtumsatz von 1,973 Mrd. USD um gut 20% weniger eingebracht als jene im Vorjahr.
Die Hauptgründe dafür sind neben der anhaltend unsicheren weltwirtschaftlichen Lage, wegen der die Käufer generell vorsichtiger agieren, auch hier eine schwache Nachfrage aus China, wo die Markterholung nach Abhebung der Covid19-Einschränkungen deutlich langsamer vonstatten geht als ursprünglich erwartet. Auch die indischen Schleifbetriebe haben weniger von De Beers gekauft und setzen seit dem Vorjahr verstärkt auf russische Ware. Laut GJEPC lag der Wert der Rohdiamanten die zwischen April 2022 und März 2023 aus Russland importiert wurden, bei 855,53 Mio USD gegenüber 818 Mio USD in der Vergleichsperiode 2021/22.
Der teilstaatliche Alrosa-Konzern hatte zwar mit Beginn des Ukraine-Kriegs seine internationale Kommunikation auf Eis gelegt, laut einem von verschiedenen westlichen Branchenfachmedien zitierten Artikel in der TASS vom Dezember 2022 seien die Geschäfte aber trotz der Sanktionen gut gelaufen. Sowohl bei Umsatz als auch der Fördermenge liege man sogar über Plan, ließ der damalige CEO Sergey Ivanov ausrichten, der vor Kurzem von Pavel Marinychev abgelöst wurde.
Ivanov gehörte zu den ersten russischen Staatsbürgern, für die die USA nach dem Überfall auf die Ukraine Sanktionen verhängt hatten, nicht wegen seiner Funktion als Alrosa-Boss, sondern wegen seiner engen Verbindung zum Kreml durch seinen Vater, einen hochrangigen Funktionär. Dass die Ablösung vorzeitig – der Vertrag wäre noch bis 2025 gelaufen – und kurz vor dem G7-Gipfel in Hiroshima erfolgt ist, bei dem weitere Sanktionen auf dem Plan standen, mag ein Zufall sein, an den einige westliche Experten allerdings nicht glauben wollen.

… sorgen für Konflikte

Eine einheitliche Linie der G7 und der EU oder konkrete Beschlüsse gegen Alrosa-Diamanten brachte auch dieser Gipfel nicht. In der EU legte sich Belgien wie schon in den vergangenen Monaten gegen strengere Beschränkungen quer, da das spürbare negative Auswirkungen auf die Wirtschaft des Landes hätte.
Gleiches gilt in noch viel größerem Maßstab für Indien – ein Umstand, auf den Premierminister Narendra Modi als Gast des G7-Treffen mit Nachdruck hingewiesen hatte. Dass China Sanktionen verhängt, war ohnehin nicht zu erwarten.
Entsprechend vage und unverbindlich war dann auch die gemeinsame Erklärung: Man wolle weiterhin eng zusammenarbeiten, um den Handel mit und die Verwendung von in Russland geförderten und weiterverarbeiteten Diamanten einzuschränken und eine wirksame Umsetzung künftiger koordinierter restriktiver Maßnahmen zu gewährleisten, auch durch Rückverfolgungstechnologien.
Eine verlässliche Herkunftsbestimmung von Diamanten steht im Zusammenhang mit ECR-Kriterien und dem wachsenden Wunsch der Verbraucher nach solchen Infos schon seit langem weit oben auf der To-do-Liste der Diamantenbranche und ist seit Beginn des Ukraine-Kriegs noch drängender geworden. In den letzten Jahren wurden etliche große Fortschritte erzielt, eine lückenlos nachvollziehbare Lieferkette für alle Diamanten ist längst noch nicht möglich.
So sind auf der „Tracr”-Blockchain von De Beers, die nach einer erfolgreichen Pilotphase im Vorjahr gelauncht wurde, mehr als eine Mio. Rohdiamanten und 110.000 geschliffene Diamanten registriert. Kürzlich hat sich das Gemological Institute of America (GIA), eine der weltweit führenden Prüf- und Zertifizierungsstellen für Diamanten, Tracr angeschlossen.

Transparente Lieferketten

„Da die Frage der Herkunft von Diamanten für die Akteure der gesamten Wertschöpfungskette immer wichtiger wird, sind unveränderliche Daten über den Weg eines Diamanten von der Quelle bis zum Grading-Bericht ein großer Schritt nach vorn und werden das Vertrauen der Verbraucher stärken”, sagt Ryan Perry, geschäftsführender Vizepräsident für Strategie und Innovation der De Beers Gruppe. „Wir freuen uns, dass GIA – der größte Anbieter von Diamantenbewertungsberichten – sich Tracr anschließt und den Weg vorgibt. Wir haben immer daran geglaubt, dass es wichtig ist, eine einzige Provenienzlösung für die Diamantenindustrie zu haben, und Tracrs führende technologische Lösung und die Fähigkeit, in großem Maßstab zu operieren, sind extrem wichtig, um die steigenden Bedürfnisse in diesem Bereich zu erfüllen.”
Perry rechnet damit, dass die Beteiligung des GIA weitere wichtige Akteure aus der Diamantenindustrie dazu motiviert, sich ebenfalls der Blockchain anzuschließen.

Innovative Technologie

Aber vielleicht ist die Blockchain-Technik, auf die die Branche hauptsächlich setzt, nicht die beste Lösung. Vor wenigen Wochen hat das Schweizer Hightech-Unternehmen Spacecode ein Verfahren vorgestellt, das für eine echte Revolution sorgen könnte.
Im Grunde basiert die neue Analysemethode auf einem längst bekannten Phänomen. Diamanten bestehen nicht zu 100% aus reinem Kohlenstoff; während ihrer Bildung im Erdmantel lagern sich in der Kristallstruktur auch kleine Mengen von Spurenelementen, wie z.B. Kupfer, Kalzium oder Titan, ab. Und die Art und Zusammensetzung dieser Fremdstoffe ist – so die gängige These – je nach Fundort unterschiedlich. Für Farbedelsteine wird dieser chemische Fingerabdruck zur Herkunftsbestimmung schon seit längerer Zeit im großen Stil eingesetzt. Allerdings weisen Diamanten viel weniger Spurenelemente auf, wodurch mit den bisher verfügbaren Geräten eine Analyse nur begrenzt möglich war – und zudem sehr kostspielig ist.
Spacecode scheint diese Limitierung nun durchbrochen zu haben. Details zu der neuen Technik wurden noch nicht bekannt gegeben, nur, dass im Lauf des Forschungsprojektes bereits eine große Zahl von Diamanten getestet und deren Herkunft mit 99%iger Genauigkeit bestimmt werden konnte.
„Die Entwicklung eines kleinen und einfach zu bedienenden Geräts, mit dem sowohl Rohdiamanten als auch geschliffene Steine analysiert werden können, wird bis Ende dieses Jahres abgeschlossen sein, die Markteinführung ist für 2024 geplant”, so Spacecode-CEO Pavlo Protopapa.
Unabhängig von Zertifikaten (die gefälscht sein können), aufwendigen Blockchains (die bisher erst einen Bruchteil aller Diamanten erfassen) und dem Vertrauensprinzip, auf das man sich in der Branche immer noch gerne beruft, könnte dann jeder Diamant an jedem Punkt der Lieferkette schnell und einfach analysiert werden – ob von Händlern, Schleifern, Zollbehörden, Schmuckherstellern oder Juwelieren.

Neue Facetten

Aber eine 100%ige Sicherheit der Herkunft wirft, so Ari Epstein, CEO des Antwerp World Diamond Centre (AWDC), auch neue Fragen auf: Was werden die Schmuckhersteller mit ihren Diamantvorräten tun? Wie werden die Verbraucher reagieren, wenn sie feststellen, dass russische Diamanten wegen Schlupflöchern in den Gesetzen weiter verkauft werden? Was werden Diamanten in Zukunft wert sein, die den DNA-Test nicht bestehen?
Epstein ist überzeugt, dass die derzeitigen Methoden zur Rückverfolgung von Diamanten weiter wichtig bleiben. Parallel dazu werde die Überprüfung des Ursprungs schnell zur neuen Normalität: „Minenbetriebe, Verarbeiter und Einzelhandel sind gewarnt, dass ein einfacher Test mit dieser neuen Technologie in der Lage sein wird, müßige Behauptungen leicht und effektiv aufzudecken. Als Branche sollten wir zusammenarbeiten und unsere Unternehmen und Institute stärken, damit sie sich dieser neuen Realität stellen können. Gleichzeitig müssen die Regierungen verstehen, dass wir Zeit brauchen, um uns daran anzupassen. Aber merken Sie sich meine Worte: Der Ursprung wird die Diamantenindustrie verändern, und zwar für immer.”

Die Botswana-Frage

Sollten durch den DNA-Test künftig Alrosa-Diamanten aus dem Verkehr gezogen werden, hätte das dramatische Auswirkungen auf die Versorgungslage. Russische Diamanten machen rund ein Drittel der jährlichen Gesamtfördermenge aus, bei kleinen Rohdiamanten mittlerer Qualität liegt Alrosas Marktanteil sogar bei 50%.
Sorge bereiten aber auch De Beers’ Verhandlungen mit Botswana über die neuerliche Verlängerung der Schürfrechte, die bisher kein für beide Seiten befriedigendes Ergebnis gebracht haben. Bots-wana will sich nicht mehr mit nur 25% der Fördermenge an Rohdiamanten zur eigenen Vermarktung zufrieden geben, De Beers verständlicherweise seine Quote aber nicht reduzieren.
Außerdem fordert Botswanas Präsident Mokgweetsi Masisi, dass sein Land künftig auch stärker von der lukrativen Weiterverarbeitung der Edelsteine – vom Sortieren, Schleifen bis hin zur Schmuckproduktion – profitieren soll. In einer Rede vor wenigen Wochen wies er darauf hin, dass dies Einnahmen von zusätzlichen rund 100 Mio. USD bringen könnte, im Vergleich zu den sieben bis acht aus dem Verkauf der Rohdiamanten.
Und Masisis Verhandlungsposition ist stark. Im globalen Ranking der Fördermengen liegt Botswana mit einem Anteil von rund 27% nach Russland auf Platz zwei und wegen der höheren Qualität wertmäßig auf Platz 1.
Ob wie geplant bis Ende Juni eine Einigung erzielt wird und wie diese aussehen wird, ist derzeit noch unklar. Mit einem Scheitern rechnen Experten trotz der festgefahrenen Lage nicht. Der renommierte US-amerikanische Analyst Paul Ziminsky bezeichnete die seit mittlerweile 54 Jahren bestehende Partnerschaft zwischen De Beers und Botswana als „too big to fail”.

Konkurrenz aus dem Labor

Und hätte die Diamantenbranche rund um die Verbesserung der ECR-Kriterien, transparente Lieferkette sowie Umfang und Art der Russlandsanktionen nicht schon genug Herausforderungen zu stemmen, kommt die wachsende Konkurrenz der Labordiamanten noch dazu. Die ursprüngliche Erwartung, dass diese Edelsteine nur für Modeschmuck verwendet werden, hat sich nicht bewahrheitet. Längst verdrängen die gezüchteten Diamanten jene aus Minen auch bei Verlobungsringen, der wichtigsten Produktgruppe von Diamantschmuck.
Die Lobbyorganisationen wie etwa das Natural Diamond Council (NDC) intensivieren ihre Marketingoffensiven und weisen sowohl auf die wirtschaftliche Bedeutung der Diamantenförderung für die Bevölkerung in den Minenregionen hin als auch darauf, dass gezüchtete Diamanten an Wert verlieren. Ob diese Argumente bei den Ver­brauchern aber ziehen, bleibt fraglich.
Angesichts des großen Wandels, der sich abzeichnet, ist laut Ep-stein ein engerer Zusammenhalt aller Akteure im Sektor der Naturdiamanten notwendig – und das passiert auch. Als weltweit erste Diamantenbörse ist der Antwerpsche Diamantkring Ende April eine Partnerschaft mit dem Natural Diamond Council (NDC) eingegangen. Kurz darauf hat auch der Weltverband der Diamantenbörsen (WFDB) die Zusammenarbeit mit dem NDC bekannt gegeben.
„Die Verbraucher von heute haben mehr Auswahl als je zuvor und werden stark von sozialen Medien und digitalen Plattformen beeinflusst. Es ist entscheidend, die Naturdiamantenindustrie auf kreative und authentische Weise zu präsentieren. Wir glauben, dass das NDC genau das erfolgreich tut, und wir wollen diese sehr wichtige Arbeit unterstützen”, begründet Yoram Dvash, Vorsitzender des WFDB, diesen Schritt.
Er hatte vor wenigen Wochen in einem Brief an die WFDB-Mitglieder auf die Faktoren hingewiesen, die derzeit die traditionellen Spielregeln in der Diamantenbranche ändern – allen voran der Wunsch der jungen Käufergeneration nach mehr Nachhaltigkeit und Transparenz, die Marktverwerfungen im Zuge der Russland-Sanktionen sowie die wachsende Bedeutung der Labordiamanten – und die Notwendigkeit unterstrichen, sich diesen Trends der Zeit anzupassen. „Wir müssen akzeptieren, dass unsere Branche in Zukunft anders sein wird als in der Vergangenheit. Das ist gut, und es ist das, was die Diamantenindustrie braucht”, sieht er diese Transformation vor allem als Chance.

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