Krisenfest Vom Corona-Schock hat sich die Diamantenbranche rascher als ursprünglich prognostiziert erholt und im Vorjahr wieder blendende Geschäfte gemacht. Doch der Krieg in der Ukraine könnte den Aufschwung auch rasch wieder bremsen. Seite 4
Antwerpen/London/Moskau. 2021 ist für die Diamanten- und Schmuckbranche ebenso wie für die gesamte Luxusgüterindustrie glänzend gelaufen. Laut dem The Global Diamond Industry-Report – einer von der internationalen Unternehmensberatung Bain & Company gemeinsam mit dem Antwerp World Diamond Center (AWDC) alljährlich erstellten Marktanalyse – wurde im Vorjahr weltweit Diamantschmuck im Wert von insgesamt 84 Mrd. USD verkauft. Gegenüber 2020 entspricht das einem Plus von 29% und ist zudem auch ein neuer Rekord.
Überraschend kam das gute Ergebnis nicht. Bereits im zweiten Halbjahr 2020 hatte sich in den USA und China, den beiden größten Märkten, das Geschäft nach dem Corona-Knick wieder gebessert. Nach dem Jahreswechsel ist rund um das chinesische Neujahrsfest sowie den Valentinstag die Nachfrage nach edlen Schmuckstücken weiter gestiegen, und der Trend hat sich – nicht nur in den USA und China, sondern in vielen anderen Ländern – über das Jahr fortgesetzt.
Kein Wunder – Geld für teure Schmuckstücke stand im Vorjahr ausreichend zur Verfügung, weil Konkurrenten wie kostspielige Urlaube oder Restaurantbesuche aufgrund der Corona-Regeln nur sehr eingeschränkt möglich waren. Dass in unsicheren Zeiten und angesichts magerer Zinsen die Menschen vermehrt dazu tendieren, ihr Geld in bleibende Werte – und Diamanten gelten ja als unvergänglich – zu investieren, spielt dabei aber sicher auch eine nicht unwesentliche Rolle.
Starkes Wachstum …
Am besten lief es für die Juweliere in den USA, sie verzeichneten ein Plus von 38% gegenüber 2020 und konnte das Vor Corona-Niveau um satte 23% übertreffen. Ihre Kollegen in China setzten um 19% mehr 2020 um (+6% vs. 2019), Deutliche Zuwächse verzeichnete der Schmuckhandel auch in Indien (+16%) und Europa (+18%), allerdings blieben die Umsätze damit noch um 13 bzw. fünf Prozent unter jenen vor der Krise.
Details zum vergleichsweise kleinen Markt Österreich bleibt der Report von Bain und dem AWDC zwar schuldig, und in den Statistiken von Wirtschaftskammer und Handelsverband gibt es auch keine konkreten Daten zum Umsatz mit Diamantschmuck; eine Umfrage des Branchenfachmagazins Der Juwelier lässt aber vermuten, dass die edlen Produkte auch bei den Kunden hierzulande hoch im Kurs stehen. Die teilnehmenden Juweliere gaben an, im Vorjahr mit Diamantschmuck um 20% mehr Umsatz gemacht zu haben als im Jahr davor. Und es zeigt sich, dass die heimischen Schmuckkäufer gerne tiefer als früher in die Tasche greifen, denn bei Premiumjuwelieren fiel das Plus mit 24% überdurchschnittlich aus.
Die hohe Nachfrage nach edlem Geschmeide spiegelt sich auch in den Zahlen der großen Schmuckhäuser wider.
Die Schmuck- und Uhrensparte des LVMH-Konzern verzeichnete im Vorjahr einen Umsatz von 8,964 gegenüber 3,356 Mrd. € im Jahr davor. Allerdings muss man bedenken, dass in den 2021er-Zahlen erstmals auch Tiffany & Co enthalten ist. Nachdem der US-Nobeljuwelier vor der Pandemie mit stagnierenden Zahlen zu kämpfen hatte, konnte er unter dem LVMH-Dach rasch an frühere Glanzzeiten anknüpfen und ganz wesentlich zum exzellenten Ergebnis beitragen. Vor allem hochpreisige Stücke wie jene der Blue Book Collection verkauften sich wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln, und die äußerst erfolgreiche About Love-Kampagne mit Beyoncé and Jay-Z kurbelte die Nachfrage nach Diamanten als Symbol der Liebe ordentlich an. Bulgari konnte dank der Strahlkraft seiner ikonischen Serien sowohl in den eigenen Boutiquen als auch beim Geschäft über die Handelspartner zulegen, und auch die Marken Chaumet und Fred entwickelten sich erfreulich.
… in allen Märkten
Bei Richemont ist es ebenfalls gut gelaufen. In den ersten drei Quartalen (per 31.12.) wies der Schmucksektor, der aus den drei Marken Cartier, Van Cleef & Arples und Buccellati besteht – Piaget ressortiert zur Uhrensparte – einen Umsatz von 3,343 Mrd. € aus, ein Plus gegenüber den Vergleichsperioden von 2020 und 2019 von 38% bzw. 57%.
Rohdiamanten sind …
Von der weltweit wieder steigenden Lust, sich mit Diamanten zu schmücken bzw. sein Geld (teilweise) in sicheren und greifbaren Werten anzulegen, profitierten nicht nur Händler und Hersteller der edlen Geschmeide, sondern auch die anderen Unternehmen entlang der hochkarätigen Supply Chain.
Allen voran jene, die die kostbaren Steine aus den Tiefen der Erde holen. Insgesamt 116 Mio. ct. Rohdiamanten haben die Minengesellschaften im Vorjahr gefördert, um fünf Prozent mehr als 2020. De Beers, eine Tochtergesellschaft des US-amerikanischen Bergbaukonzerns Anglo American, die Diamantenminen in Südafrika, Kanada, Namibia und Botswana betreibt, meldete für das 2021 einen Umsatz von 5,602 Mrd. USD gegenüber 3,378 Mrd. USD im Jahr davor, ein Zuwachs von mehr als 65%. Der Löwenanteil von 4,9 Mrd. USD entfiel auf den Verkauf von Rohdiamanten, insgesamt 33,357 Mio. ct. 2020 hatte man „nur” 21,380 Mio. ct Edelsteine im Wert von 2,8 Mrd. USD verkaufen können. Starke Zuwächse verzeichnete auch der russische Alrosa-Konzern: Die Menge der verkauften Rohdiamanten stieg gegenüber 2020 um knapp 42% auf 45,5 Mio. ct, der Umsatz um fast 50% auf 332 Mrd. Rubel.
… wieder hoch im Kurs
Ein ähnliches Bild zeigt sich auch bei den kleineren Minengesellschaften. Die kanadischen Lucara erzielte im Vorjahr einen Umsatz von 230,1 Mio. USD, ein Plus von satten 84%. Die Menge der verkauften Rohdiamanten lag bei 381.681 ct. Der südafrikanische Diamantenförderer Petra beendete am 31.12.2021 die erste Hälfte seines laufenden Geschäftsjahres mit einem Umsatz von 264,7 Mio. USD (VJ 178,1 Mio. USD). Bei der abgesetzten Menge war man mit knapp 1,6 Mio. ct zwar rund sieben Prozent unter der Vergleichsperiode ein Jahr davor geblieben, allerdings machten das die stark steigenden Preise – von durchschnittlich 120 auf 192 USD pro ct. – mehr als wett.
Generell mussten die Käufer von Rohdiamanten im Vorjahr tiefer in die Tasche greifen, selbst kleine und qualitativ schlechtere Steine verkauften sich gut. Bei DeBeers stieg der Durchschnittspreis pro Carat über alle Minen der Gruppe gerechnet von 133 auf 146 USD, bei Alrosa betrug die Teuerungsrate 33%. Insgesamt weisen die Analysten von Bains und dem AWDC für 2021 eine Preissteigerung bei Rohdiamanten von 20% aus. Mit neun Prozent vergleichsweise gering fällt dagegen die Teuerungsrate bei geschliffenen Diamanten aus, allerdings liegen Preise damit schon fast wieder auf dem Vor-Corona-Niveau.
Sattes Plus beim Gewinn
Die guten Geschäfte haben zudem allen Beteiligten steigende Profite beschert. Die Minenbetreiber konnten ihre Margen um neun bis elf Prozentpunkte verbessern, die verarbeitenden Unternehmen einen Anstieg zwischen drei und fünf Prozentpunkte sowie der Handel zwischen sechs und acht Prozentpunkten verzeichnen. In Summe hat sich der Gewinn aller Player 2021 um rund 7 Mrd. USD erhöht.
„Die Diamantenindustrie hat sich viel schneller erholt als erwartet”, konstatiert Marie-Therese Marek, Associate Partner bei Bain und Luxusmarktexpertin. „Sowohl die Minenbetreiber als auch die verarbeitenden Unternehmen und Händler erzielten im zweiten Corona-Jahr kontinuierlich Zuwächse bei Umsatz und Gewinn.” Dabei hätten sie aber nicht nur von den guten Marktbedingungen profitiert. „Zugutegekommen ist ihnen auch, dass sie ihre Effizienzprogramme konsequent umgesetzt haben”, so Marek.
Unsichere Zukunft
Bei der Frage, ob es auch künftig für die Produzenten, Verarbeiter und Händler von Diamanten und Diamantschmuck glänzend laufen wird, sind die Experten von Bain und AWDC vorsichtig optimistisch. Für heuer rechnen sie, dass die Nachfrage entlang der gesamten Supply Chain auf dem hohen Niveau bleiben wird, wobei der weitere Verlauf der Coronapandemie mit eventuellen Produktionsausfällen und Einschränkungen im Handel oder auch einem Anspringen des internationalen Shoppingtourismus Prognosen schwierig bis unmöglich machen.
Auch hängt die weitere Entwicklung von der allgemeinen Konjunktur ab und wie gut es den Schmuckherstellern und Händlern künftig gelingt, auf die speziellen Wünsche der verschiedenen Käufergruppen einzugehen Dass bis auf Weiteres zwei davon, die bisher recht kauffreudig waren, ausfallen werden – die Ukrainer, weil sie im wahrsten Sinne des Wortes andere Sorgen haben, und die Russen, denen der Zugang zum Luxusmarkt sukzessive versperrt wurde –, wird dabei nicht sonderlich ins Gewicht fallen. Das US-amerikanische Investmentbanking- und Wertpapierhandelsunternehmen Morgan Stanley schätzt, dass auf den russischen Markt inklusive der Einkäufe, die Russen auf Reisen tätigen, nur zwei Prozent des Umsatzes mit persönlichen Luxusgütern wie Schmuck, Designerkleidung, teure Uhren oder Nobelkosmetik entfallen; im Vergleich dazu liegt der Anteil Kunden aus dem kleinen Südkorea bei rund fünf Prozent.
Die Folgen …
Aber das künftige Wachstumspotenzial hängt auch ganz entscheidend davon ab, ob ausreichend Nachschub für neue Schmuckstücke zur Verfügung steht. Und da könnte der Ukrainekrieg und seine Folgen wesentlich stärker ins Gewicht fallen.
Für heuer prognostizieren Bain und AWDC zwar eine Steigerung der Diamantenfördermenge auf 120 Mio. ct., aber mittelfristig sind keine großen Sprünge zu erwarten, sondern im besten Fall ein jährliches Plus von ein bis zwei Prozent. Etliche Minen sind schon lange in Betrieb und weitgehend erschöpft – Ende 2020 hat Rio Tinto die Argyle-Mine, eine Quelle besonders hochwertiger Steine wie der äußerst seltenen Farbdiamanten, nach 37 Jahren aus wirtschaftlichen Gründen schließen müssen – und ergiebige neue Vorkommen sind vorerst nicht in Sicht.
… des Ukrainekrieges
Rund 27% der Rohdiamanten kommen von Alrosa und abgesehen von der Catoca-Mine in Angola, an der russische Konzern zu 32,8% beteiligt ist, liegen alle anderen in Russland. Fallen die weg, hat der globale Diamantenmarkt massive Nachschubprobleme, und die Preise könnten durch die Decke gehen. Aber wie wahrscheinlich ist dieses Szenario?
Die USA, der weltweit größte Abnehmer von Diamanten, haben bereits ein Embargo für russische Steine ausgesprochen. Betroffen sind sowohl rohe als auch geschliffene Edelsteine. Allerdings werden so gut wie keine Diamanten direkt aus Russland importiert. Der Großteil der Edelsteine aus Russland geht davor erst durch die Hände von Händlern, Cuttern und Schleifern in Indien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, China oder Israel. Und dabei ändern die Steine ihre Nationalität, denn entscheidend für die Herkunftsbezeichnung eines Diamanten ist, in welchem Land der wesentlichste Bearbeitungsschritt vom Roh- zum Edelstein stattgefunden hat.
Konfliktdiamanten …
Insofern ist der US-Bann eher symbolisch, und vorerst können Edelsteine von Alrosa am Markt bleiben. Die großen Verarbeiternationen machen bis jetzt noch keine Anstalten, die Geschäfte mit dem russischen Lieferanten zu stoppen. Laut dem Antwerp World Diamond Centre, das seinen Vertrag mit Alrosa erst Ende 2021 verlängert hat, kommt ein Viertel der Edelsteine, die in der europäischen Diamantenmetropole bearbeitet und gehandelt werden, aus Russland. Müsste man darauf verzichten, wäre das ein herber Cut für die Branche, an der immerhin 30.000 Arbeitsplätze direkt hängen.
„Wenn Europa den Handel mit russischen Diamanten verbietet, dann trifft das unsere Wirtschaft und nicht die von Russland”, hatte AWDC-Sprecher Tom Neys in einem Interview mit dem Sender Radio2 in Antwerpen schon einen Tag vor dem Einmarsch Putins Truppen in die Ukraine auf die mangelnde Treffsicherheit solcher Sanktionen hingewiesen.
Auch die indische Diamantenindustrie wird es sich aus wirtschaftlichen Gründen nicht leisten können, auf die neuen „Konfliktdiamanten” zu verzichten.
… aus Russland
Aber welche Edelsteine in den Handel kommen, ist nicht allein eine Frage der Politik. Der amerikanisch-britische Schmuckkonzern Signet Jewelers hat bereits strengere Regeln aufgestellt und seine Lieferanten Mitte März darüber informiert, dass man bis auf Weiteres keine Diamanten aus russischen Quellen ankaufen werde. Das gelte für Steine, die nach dem 24. Februar, dem Tag des Einmarsches in der Ukraine, gefördert wurden.
Auch Tiffany hat sich entschieden auf russische Diamanten zu verzichten, und zwar jene, die nach dem 21. März aus der Erde geholt wurden. Gut möglich, dass diesem Beispiel weitere Schmuck-, aber auch Uhrenmarken folgen werden. Und last but not least haben auch die Endverbraucher ein recht gewichtiges Wort mitzureden. Fragen der Nachhaltigkeit und Ethik spielen bei der Kaufentscheidung laut dem Bain-Diamantenreport eine zunehmend wichtige Rolle. Wer teure Preziosen kauft, will ein in jeder Hinsicht tadelloses Produkt und sich keine Sorgen machen müssen, dass der Glanz möglicherweise mit Umweltschäden, miesen Arbeitsbedingungen und Blut bezahlt wird.
„Eine ökologisch sowie sozial nachhaltige Produktion und Wertschöpfung steht bei den Minenbetreibern und Schmuckherstellern mittlerweile ganz oben auf der Agenda”, konstatierte Bain-Expertin Marek schon zu einem Zeitpunkt, als vom Ukrainekrieg noch keine Rede war.
Ob und wie sensibel die Schmuckkäufer künftig auf Diamanten russischer Herkunft reagieren, bleibt noch abzuwarten.
Klar ist aber, dass möglicher Ersatz dafür begrenzt ist. Zwar haben schon etliche Minenbetreiber, darunter deBeers und Zimbabwe Consolidated Diamond, angekündigt, ihre Fördermengen steigern zu wollen, kurzfristig ließen sich die fehlenden Mengen aber mit Sicherheit nicht kompensieren.
Logische Konsequenz aus dem geringeren Angebot, der nach wie vor hohen Nachfrage und den knappen Lagerbeständen sind satte Preissteigerungen. Die würden – wenn auch nicht im Highend-Segment – die Kauflaune drücken und die Erholung der Diamantenbranche wieder einbremsen.
Dass Schmuck- und Uhrenmarken verstärkt Labordiamanten verwenden könnten, darf man zumindest für das Luxussegment ausschließen. Zur Not wird der Edelsteinbesatz weniger üppig ausfallen. Insgesamt stehen der Edelstein- und Schmuckindustrie turbulente Zeiten bevor.