Wohin geht die Entwicklung?
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Shopping wird nicht aussterben, aber künftig wird die Devise der Konsumenten nicht „immer mehr” heißen, sondern „weniger, nachhaltiger und in höherern Qualität”.
LUXURY BRANDS&RETAIL irmie schüch-schamburek 01.07.2022

Wohin geht die Entwicklung?

Die Welt befindet sich im Umbruch – das wirkt sich auch auf die Definition von Luxus und das Kaufverhalten aus.

Paris. Im Gespräch mit medianet luxury brands&retail erklärt Sébastian Renault, Artistic Director der internationalen Trendagentur Promostyl, was die wichtigsten Megatrends sind und welche Änderungen sich daraus ergeben.

medianet:
Was sind die drei größten Bedürfnisse in nächster Zukunft?
Sébastian Renault: Komfort, Praktikabilität und Nachhaltigkeit. Es gibt eine neue Wohlfühl-Studie, die belegt, dass wir künftig entschleunigter leben und weniger besitzen möchten – zugunsten einer höheren Lebensqualität, die mehr auf das Sein als das Haben fokussiert. Es geht mehr um Soft Skills wie Erlebnisfaktoren. Auch multifunktionale Waren, vor allem im Designbereich, spiegeln das Bedürfnis nach weniger Besitz, Originalität und Praktikabilität wider. Darunter fällt beispielsweise ein Schreibtisch, der zu einem Esstisch transformiert werden kann, eine Hose, die man zu einer Shorts abzippen kann, oder eine dekorative Skulptur, die, wenn man sie auseinandernimmt, ein Kaffee-Service ist.

medianet:
Promostyl definiert Zielgruppen nicht mehr nach Einkommen, Stil, oder Alter, sondern nach Archetypen. Wie sehen die aus?
Renault: Wir unterscheiden die vier Archetypen ‚Natur, Technologie, Elitedenken und Gegenkultur' als Grundstrukturen globaler, menschlicher Vorstellungs- und Handlungsmuster mit fünf Megatrends für 2023: Regeneration, Feel Good, Everyone, Conscious Tech und Alternative Reality. Anhand dieser Kombination lassen sich Entwicklungen und Zielgruppen präzise definieren und darstellen. Diese können sich betreffend die Archetypen auch überlappen, behalten aber trotzdem ihre Eigenständigkeit.

Dieser neue Zugang war notwendig, da sich die Gesellschaft seit Ausbruch der Coronapandemie in einem sehr großen Umbruch befindet. Lockdown, Social Distancing und Homeoffice haben alle Menschen getroffen, ganz gleich welchen Alters, Geschlechts oder sozialem Umfeld. Statt zu shoppen, sind die Menschen in die Natur gegangen und haben viel mehr Zeit zu Hause verbracht.


medianet:
Können Sie die Megatrends kurz beschreiben?
Renault: Bei Regeneration geht es um Resilienz, Kreislaufwirtschaft, nachhaltige Landwirtschaft oder einen achtsamen ökologischen Fußabdruck. Das spiegelt sich in DIY-, Secondhand- oder Conscious-Luxury-Lifestyleprodukten sowie Kunsthandwerk und Öko-Fashion wider.

Feel Good dreht sich darum, dass in einer modernen Welt mit wachsender Komplexität, emotionalem Stress und psychischem Durcheinander durch Empathie, Selbstliebe, emotionales Well-being oder Psychohygiene die innere Balance wiederherzuerstellen. Dafür benötigt es spezielle, auf den modernen Konsumenten abgestimmte Produkte und Dienstleistungen.
Everyone befasst sich mit den Idealen der Generation Z, die auf Mega-Individualität und kollektive Kraft setzt. Gleichheit, Vielfalt und Toleranz sind Werte, auf denen die Generation aufbaut, die von einer Gesellschaft träumt, in der niemand alleingelassen wird.
Bei Conscious Tech geht es um eine bewusstere Nutzung digitaler Systeme in unserer ultravernetzten Gesellschaft. Diese Bewegung lehnt die neuen Technologien nicht ab, sondern möchte sie in geschützter Form zum Wohle der Gesellschaft nutzen, um Diversität, Inklusion, Feminismus, Post-Gender, kollektive Power und Antirassismus weiterzuentwickeln.
Einen ganz anderen Zugang zu Technologie behandeln wir im Alternative Reality-Trend. Wenn es um Identitätsbildung, Interaktionen mit Kollegen, Gleichgesinnten oder Markenwelten geht, entscheiden sich Millennials immer öfter für die Hybridisierung des Lebens mit einer realen sowie virtuellen Existenz und multisensorischen Erfahrung. Avatare, Gaming, Virtual Reality, NFT-Filter, Metaverse und Cyberfashion werden immer wichtiger für diese Konsumenten.


medianet: Was sind die auffälligsten Veränderungen im Luxusmarkt?
Renault: Interessant ist, dass sich Luxus gerade neu definiert. Nicht mehr das prachtvolle ‚Bling Bling' steht im Vordergrund, sondern naturnahe Erlebnisse – ebenso luxuriös, aber cleaner, Zen-Stil-mäßiger. Es ist schick, Yoga zu machen statt wilde Partys zu feiern, minimalistische Stile und reduzierte Formen und Farben statt schriller Looks oder Color-Flash. Persönliche Werte wie Wohlbefinden, Gesundheit, Psychohygiene stehen im Vordergrund statt äußerlichem Glanz. Als exotische Urlaubsdestination wird beispielsweise kein Luxusstrandhotel am Meer, sondern ein Wüstentrip im Zelt gebucht, um die meditative Schönheit dieser speziellen Landschaft zu genießen– aber natürlich mit jeglichem Komfort.

medianet:
Ist Nachhaltigkeit auch für den Mass-Market relevant oder nur im Luxusbereich?
Renault: Vieles in diesem Zusammenhang ist erst im Entstehen und noch ein Nischenmarkt. Aber auch Global Player wie H&M setzen schon auf dieses Thema. Allerdings nur vordergründig, denn wirkliche Nachhaltigkeit ist viel mehr als nur recycelte oder biologische Produkte. Es geht dabei um faire Produktionsbedingungen, lokale Produktionen, den ökologischen Fußabdruck, die Schonung der Ressourcen sowie etliche weitere Aspekte. Der Mass-Market ist aufgrund seiner Preispolitik nicht fähig, wirklich nachhaltig und ressourcenschonend zu produzieren. Die Marken betreiben vor allem Greenwashing und versuchen, mit grünen Etiketten auf diesem Trend mitzuschwimmen, geben jedoch keine Zahlen bekannt und haben kaum Transparenz. Die größte Zielgruppe dieser Marken ist die Generation Z, die besonders auf Nachhaltigkeit Wert legt.

medianet: Wird Fast-Fashion an Bedeutung verlieren?
Renault: Ja, denn es gibt viele Alternativen. Man kann weniger, aber bessere Qualität kaufen und zeitlosere Stile bzw. Basics wie etwa weiße T-Shirts, Raw Denim Jeans, klassische Parkas oder Trenchcoats wählen. Das kostet zwar mehr, aber hält länger und man kann diese Sachen auch ‚refreshen' – und es gibt einen riesigen Vintage-Markt, um Secondhand-Güter zu kaufen. Ein wichtiges Schlagwort dabei ist die Kreislaufwirtschaft, in der es darum geht, Waren nicht nur nachhaltig zu produzieren, sondern auch möglichst lange zu verwenden und am Ende ihrer Lebensdauer gut zu verwerten. Auch Mietkleidung und Leihwaren bei Lifestyle- und Gebrauchsprodukten werden in Zukunft mehr an Bedeutung gewinnen.

medianet:
Wie können sich der Handel und da speziell inhabergeführte Geschäfte auf diese neue Situation vorbereiten?
Renault: Wir sprechen jetzt von sehr langfristigen Trends, also 2030 bis 2040. Dann wird viel mehr on demand hergestellt werden. Selbstständige Designer werden individualisierte Produkte produzieren, maßgeschneidert und gemeinsam mit dem Kunden entworfen. Die durch neue Technologien personalisierbaren Waren, bei denen man selbst Schnitt und Stoff vor der Produktion auswählen kann, eröffnen neue Chancen für kleine Geschäfte und Händler mit eigener Produktion. Dies und auch Secondhand- und recycelte Produkte bieten neue Möglichkeiten als Kompensation für die langsamere Warendrehung.

Viele Handwerksmetiers werden ein Revival erleben – Modedesigner, Schuster, etc. Geschäfte werden mehr einen Museumscharakter haben. Kunden kommen, um zu flanieren, zu schauen, um sich zu informieren. Gekauft beziehungsweise Waren bestellt werden eher online. Verkäufer sind also nicht mehr in erster Linie dazu da, um vorhandene Waren zu präsentieren oder das Lager zu verwalten, sondern vornehmlich, um zu beraten und den Aufenthalt möglichst angenehm zu gestalten.

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