Am 1. Oktober 1945 titelte die Wiener Zeitung „Wieder Pressefreiheit“. Wenige Monate nach dem militärischen Sieg über das NS-Regime begannen die Westalliierten USA, Großbritannien und Frankreich österreichische Zeitungen zu lizenzieren, um die meisten von ihnen dann in österreichische Hände zu übergeben. Die Sowjetunion erlaubte schon früher das Erscheinen von Parteizeitungen und im September dann auch das der Wiener Zeitung – zensurfrei arbeiten konnte allerdings alle Blätter erst ab dem 1. Oktober 1945. Anlässlich von 80 Jahre Pressefreiheit hat medianet mit dem Medienwissenschafter und „Reporter ohne Grenzen“ (ROG) Österreich Präsident Fritz Hausjell gesprochen.
medianet: Herr Hausjell, wie würden Sie die 80 Jahre Pressefreiheit in der Zweiten Republik in wenigen Sätzen zusammenfassen?
Fritz Hausjell: Ich sehe es als Erfolgsgeschichte, auch wenn wir es in den ersten 30 Jahren besser haben hätten können. In den letzten 25 Jahren mussten wir außerdem zur Kenntnis nehmen, dass Pressefreiheit nie etwas dauerhaft Gesichertes ist, und wir alle, die an demokratischen Medienverhältnissen interessiert sind, darauf achtgeben sollten.
medianet: Sie schreiben in einem Beitrag, dass 1945 sich bei genauerem Hinsehen nicht als ‚Stunde null‘ der Pressefreiheit erweist, unter anderem weil in dieser Zeit viele ehemalige Journalisten, die in der NS-Zeit Propaganda verbreitet hatten, in den Redaktionen mitwirkten. Wann war denn die ‚Stunde null‘ aus Ihrer Sicht?
Hausjell: Hier müsste man in die 60er- und 70er-Jahre gehen. Denn in den 60er-Jahren hat das Rundfunkvolksbegehren, für die damals modernsten Medien Radio und Fernsehen, einen Quantensprung geleistet, was Unabhängigkeit und Stärke betrifft. In den späten 70er- und frühen 80er-Jahren wurden dann mit dem Rundfunkgesetz die Rundfunkfreiheit noch weiter abgesichert und wir haben ein neues Mediengesetz bekommen.
medianet: Sie haben anfangs erwähnt, dass wir lernen mussten, dass Pressefreiheit nichts Selbstverständliches ist. Nun hat sich Österreich vor wenigen Wochen – als letzter EU-Mitgliedstaat – mit dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) von der Amtsverschwiegenheit verabschiedet. Welche Auswirkungen wird das auf die Pressefreiheit in Österreich haben?
Hausjell: Wir alle werden bereits in den nächsten Wochen relativ rasch sehen, wie ernst es die Republik im Bereich der Transparenz tatsächlich meint.
medianet: In einer ROG-Aussendung meinten Sie, dem Inkrafttreten des IFG mit ‚Hoffnung und Skepsis‘ entgegenzublicken. Was lässt Sie skeptisch sein?
Hausjell: Das Gemeinden mit bis zu 5.000 Einwohnern von der Verpflichtung befreit sind, automatisch für die Öffentlichkeit relevante Vorgänge publizieren zu müssen. Zudem die Auskunftsfristen: Wie lange kann eine kleine Gemeinde argumentieren, dass sie aus personellen Gründen die vorgegebene Frist nicht einhalten kann? In der Situation, in der sich der Journalismus in Österreich aktuell befindet, werden manche Recherchen, die das IFG prinzipiell ermöglicht, wohl gar nicht angegangen werden, weil man sich schlicht die Recherchezeit nicht leisten kann.
medianet: Was sich wiederum negativ auf die Pressefreiheit auswirken würde …
Hausjell: Der österreichische Journalismus war vergleichsweise personell immer schon recht klein, aber dafür sehr ambitioniert und engagiert. Irgendwann ist aber ein Punkt erreicht, wo sich vieles nicht mehr ausgeht. Wir bei ‚Reporter ohne Grenzen‘ überlegen daher, im Sinne des IFG, journalistische Anfragen zu stellen. Vielleicht erhöht das den Druck auf die Regierung und das Parlament, möglichst zügig beim Gesetz nachzubessern.
medianet: ‚Reporter ohne Grenzen‘ veröffentlicht alljährlich die ‚Rangliste der Pressefreiheit‘. Österreich rangierte dort 2024 auf dem – historisch betrachtet schlechtesten – Platz 32. 2025 ist es immerhin Platz 22 geworden. Worauf führen Sie diese Verbesserung zurück?
Hausjell: Der Beschluss des IFG hat bei den rechtlichen Rahmenbedingungen natürlich positiv ausgeschlagen. Außerdem gab es weniger Demonstrationen, bei denen Journalisten, Kameraleute oder Fotografen angegriffen wurden. Und nicht zuletzt die erhöhte finanzielle Unterstützung, durch die Qualitätsjournalismusförderung und die Digitaltransformationsförderung. Dennoch sehen wir global eine Verschlechterung der Pressefreiheit, die vor allem auf wirtschaftliche Unsicherheit zurückzuführen ist.
medianet: Wie ist Ihre Prognose zur Pressefreiheit in Österreich in den kommenden Jahren?
Hausjell: Wir haben in der Rangliste von 2024 auf 2025 zwar einige Plätze gutgemacht, Österreich ist aber nach wie vor sehr weit von den Top Ten, in denen wir früher waren, entfernt. Um dort wieder hinzukommen, bräuchte es ein umfassendes Mediensanierungsprogramm. Wenn es aber so weiter geht und weiter Stellen im Journalismus abgebaut werden, dann wird es beim Wirtschaftsindikator Rückschritte geben.
medianet: Stichwort Medienprogramm: Sie fordern, dass Medien durch Spezialförderprogramme in die Lage versetzt werden sollen, einen neuen Medienbildungsjournalismus zu entwickeln. Damit sollen dann Bürger, wie im Regierungsprogramm vorgesehen, mehr Medienkompetenz entwickeln. Wo sehen Sie hier mögliche Ansätze?
Hausjell: Rein über Bildung in Schulen wird das nicht gelingen, weil man damit nur junge Menschen erreicht, wir hier aber von einem gesamtgesellschaftlichen Problem reden. Ich sehe eine Möglichkeiten bei der Qualitätsjournalismusförderung: Hier könnte man einen neuen Bereich Medienjournalismus einbauen, der der Bevölkerung durch spannende, journalistische Beiträge ermöglicht, sich in der neuen Medienwelt besser zurechtzufinden. Hier könnten dann Fragen adressiert werden wie beispielsweise: Wie unterschiedlich funktionieren Social Media-Plattformen im Vergleich zu journalistischen Medien?
medianet: Reden wir noch über Satire, jüngst Thema in den USA. Dort wurde die Late-Night-Show ‚Jimmy Kimmel Live!‘ vorübergehend abgesetzt, nachdem Moderator Jimmy Kimmel der Trump-Regierung vorgeworfen hatte, die Ermordung Charlie Kirks politisch zu nutzen. Befürchten Sie ähnliche Entwicklungen auch in Österreich?
Hausjell: Aus meiner Sicht gab es dazu in Österreich bereits zwei sehr besorgniserregende Gerichtsurteile: Einerseits gegen den Satiriker Florian Scheuba und seine Kolumne im Standard, und andererseits gegen das Satireportal ‚Die Tagespresse‘ im Rechtsstreit mit der FPÖ. Von Seiten der Justiz muss man sich aus meiner Sicht schon überlegen, welche Signale derartige Urteile haben. Denn damit ermutigt man gesellschaftliche Machteliten die kritische Publizistik, zu der die satirische Publizistik gehört, zum Schweigen zu bringen. Ich bin kein Jurist, deswegen kann ich die Sache nur aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive beurteilen: Aber aus dieser Sicht sind diese Fälle definitiv schädlich für die Entwicklung des demokratischen Journalismus.
medianet: Frage zum Schluss: Wo sehen Sie Handlungsbedarf in den nächsten Jahren im Bereich der Pressefreiheit?
Hausjell: Dringend notwendig wäre mehr Transparenz im Bereich der Public Relations zu schaffen. Eine Möglichkeit dafür wäre, ein öffentlich einsehbares Register, in dem sämtliche PR-Aufträge erfasst werden. So könnten sich Journalisten und Bürger leichter ein Bild darüber machen, wie etwas in der Öffentlichkeit hergestellt wird.
