••• Von Gianna Schöneich
FRANKFURT/WIEN. Es ist der Albtraum wohl jedes Verkehrsverbundes: Im Sommer 2015 musste der Frankfurter S-Bahn-Tunnel gesperrt werden, für sechs Wochen fuhren weder Busse noch Bahnen. Die Betroffenen? 2,5 Mio. Fahrgäste.
Die Medien reagieren schnell und sprechen von Chaos. Unglaublich scheint es, dass der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) aus dieser Extremsituation die besten Imagewerte aller Zeiten generieren konnte. Wie das funktionierte, erläuterte der Pressesprecher des Verkehrsverbundes, Sven Hirschler, beim „Frühstück mit Ausblick” der Agentur Gaisberg in Wien am 12. Oktober. „Uns, den Verbund, kennt fast jeder. Wir haben eine Marktdurchdringung, die alles übertrifft – geliebt werden wir allerdings selten ”, erklärte Hirschler zu Beginn seines Vortrags.
Mitarbeiter vor die Kamera
In Frankfurt gibt es Strecken mit der höchsten pro Kopf-Belastung in ganz Deutschland, Fahrgäste sind nicht nur Einheimische, sondern auch Touristen. Hirschler und sein Team setzten auf eine Kommunikation, die den täglichen Erfahrungen der Pendler entsprach. Warum müssen vollbesetzte Züge an Bahnhöfen warten (weil es viel zu wenig Gleise für zu viele Züge gibt)? Warum kommt es zu so vielen Ausfällen (weil die Technik erneuert werden muss)?
Um Themen wie diese der Öffentlichkeit näherzubringen, holt der RMV Mitarbeiter vor die Kameras. Der Bauleiter stellt in einer Pressekonferenz „sein” Tunnel-Projekt vor und wird kurzerhand von einer Redakteurin zum „George Clooney” der Baustelle ernannt. Er ist das anfängliche Gesicht der Kommunikation. Vor laufenden Kamera erläutert er nachts im Tunnel dem zuständigen Minister die Pläne für die Bauarbeiten.
Auf zahlreichen Bildern im Reportagenstil sind nur Mitarbeiter zu sehen. Es fotografiert stets nur eine Fotografin – dies sorge für eine einheitliche Bildsprache, erklärt Hirschler.
Der RMV nimmt sich aus der Kommunikation schnell zurück; das Logo taucht nur sehr klein auf Fotografien auf: „Wir wollten in einem frühen Stadium erreichen, dass wir gar nicht mehr sprechen, sondern dass die Menschen über uns reden.” Die Mitarbeiter spielen die Hauptrolle. Diese werden zwar gebrieft – nicht aber trainiert. „Wir sind bewusst das Risiko eingegangen, dass diese Menschen auch etwas Falsches sagen könnten – was sie auch hin und wieder getan haben”, so Hirschler. Ziel der Pressearbeit war es, einen Mehrwert zu schaffen; dieser wurde komplett online gebündelt. Ein Blog klärte die Öffentlichkeit auf. Der RMV setzt bei seiner Kommunikation auf keine werbliche Kampagne – keinen Cent gab man für Werbung aus. Die Vorstellung einzelner Mitarbeiter führt dazu, dass die Presse genau diese interviewen möchte; über 110 größtenteils doppelseitige Berichterstattungen entstehen.
Der Plan geht auf: „Wir kamen dann in die paradoxe Situation, dass wir sechs Wochen nichts fahren ließen und danach die besten Imagewerte haben.”
Die zweite Sperrung
Doch eine zweite Sperrung folgte zu Ostern 2016 und erneut musste kommuniziert werden. Der RMV entscheidet sich dazu, verschiedene kleine Aktionen zu fahren, die Großes auslösten: „Wir haben an verschiedenen Stationen Kaffee ausgeschenkt und festgestellt, dass es tatsächlich Personen gab, die Umwege hierfür fuhren. Wir haben sie befeuert, und es bildete sich eine Community, die sich darüber informierte wo es wann Kaffee gab. Die Medien wurden aufmerksam und berichteten nicht über den RMV, sondern über das ‚Onlinephänomen'. Zum Zeitpunkt der Musikmesse entschließt man sich, ein Konzert für 250 Personen in einer gesperrten Bahnstation abzuhalten: „Tausende Personen bewarben sich für das Konzert einer nahezu unbekannten Band im Tunnel.”
Beworben wurden diese Aktionen nicht – sie sorgten dennoch für viel Aufmerksamkeit. Die Fotos der Fotografin sind mittlerweile in Galerien zu betrachten – eröffnet wurden diese von einer Putzfrau der RMV. Hirschlers Arbeit ist noch lange nicht getan: Die dritte Sperrung kommt Ostern 2018 …