Bastion Amtsgeheimnis soll endgültig fallen
© APA/Robert Jäger
MARKETING & MEDIA Redaktion 12.06.2020

Bastion Amtsgeheimnis soll endgültig fallen

Die Regierung will das Amtsgeheimnis kippen. Dazu im Interview Mathias Huter vom Forum Informationsfreiheit.

••• Von Dinko Fejzuli

Karl Kraus soll einmal gesagt haben: „Wenn die Welt untergeht, dann gehe ich nach Wien. Dort passiert alles zehn Jahre später.” Ähnlich verhält es sich mit dem berühmten Amtsgeheimnis in der Alpenrepublik.

Österreich ist nämlich die letzte europäische Demokratie mit einer derart strengen Verschwiegenheitspflicht im Verfassungsrang, die, vereinfacht gesagt, nicht mehr und nicht weniger besagt, als dass quasi alles, was nicht explizit zur Veröffentlichung bestimmt ist, zunächst einmal geheim zu bleiben hat.

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Geht es nach der Bundesregierung, soll dies nun anders werden und quasi alles, was nicht explizit geheim ist, grundsätzlich für die Bürgerinnen und Bürger des Landes zugänglich sein.

Wie ein vernünftiges Informationsfreiheitsgesetz, so der Name des Vorhabens, aussehen könnte, dazu bat medianet Mathias Huter, Vorstandsmitglied des Forums Informationsfreiheit und international anerkannter Experte in Fragen wie diesen, zum Interview.


medianet:
Um sich ein genaues Bild zu machen: Wie sieht aktuell die Regelung beim Thema Informationsfreiheit in Österreich aus?
Mathias Huter: Österreich ist das letzte Land der Europäischen Union, in dem die Bürgerinnen und Bürger kein Recht auf Zugang zu staatlichen Dokumenten haben. Stellt man eine Anfrage nach den geltenden Auskunftspflichtgesetzen, etwa über die vom Forum Informationsfreiheit betriebene Plattform FragDenStaat.at, muss eine Verwaltungsbehörde binnen längstens acht Wochen eine Auskunft erteilen – also eine kurze Zusammenfassung eines Sachverhalts geben. Allerdings nur, wenn dem keine Verschwiegenheitsgründe entgegenstehen, etwa das in der Verfassung verankerte Amtsgeheimnis. Insbesondere bei politisch sensiblen Informationen sehen wir, dass Auskünfte oft nicht erteilt werden und die Antworten verzögert werden. Wird eine Auskunft verweigert, kann man einen Bescheid verlangen und dagegen vor dem Verwaltungsgericht Beschwerde einlegen. Jedoch tut es sich kaum eine Bürgerin oder ein Bürger an, gegen die Republik vor Gericht zu ziehen. In der Praxis sehen wir immer wieder Fälle, wo es zwei Jahre dauert, bis eine Entscheidung der ersten Instanz da ist. Und selbst dann sehen wir Fälle, in denen Behörden diese Entscheidungen nicht umsetzen.

medianet:
Und im Vergleich zu anderen Ländern, wo steht Österreich beim Thema Informationsfreiheit und Amtsgeheimnis?
Huter: Österreich ist internationales Schlusslicht. Wir sind das letzte Land der EU ohne Informationsfreiheitsgesetz, in einem weltweiten Ranking der Informationsfreiheitsgesetze liegen wir seit Jahren unter knapp 130 Ländern an der letzten Stelle mit dem am wenigsten bürgerfreundlichen Gesetz.

medianet:
Warum war es bisher denn so schwierig, das Thema Amtsgeheimnis anzugehen?
Huter: Es fehlte bislang einfach der politische Wille der größeren Parteien, endlich echte Transparenz zuzulassen. Oft wurde die Abschaffung des Amtsgeheimnisses schon angekündigt und versprochen, wie auch von der aktuellen Regierung. Wir hoffen sehr, dass es diesmal nicht nur bei der Ankündigung bleibt und dass am Schluss auch ein Informationsfreiheitsgesetz herauskommt, das diesen Namen auch verdient.

medianet:
Und wann würde es diesen Namen aus Ihrer Sicht auch tatsächlich verdienen?
Huter: Ein zeitgemäßes Informationsfreiheitsgesetz, das internationalen Standards entspricht, muss sicherstellen, dass die Bürgerinnen und Bürger effektiv, unbürokratisch und rasch Zugang zu den gesuchten Informationen bekommen. Es braucht das vorgesehene Recht auf Dokumenteneinsicht, aber wenn eine Behörde den Zugang verweigert, muss zeitnah überprüft werden können, ob die Geheimhaltung angemessen ist und eng definierten Geheimhaltungsgründen entspricht.

Dazu braucht es einen unabhängigen Informationsfreiheitsbeauftragten – eine Stelle, die einerseits Bürgerinnen und Bürger berät, andererseits der Verwaltung bei der Anwendung des Gesetzes zur Seite steht, im Streitfall eine Vorentscheidung trifft, welche Informationen herauszugeben sind, und die die Transparenz auch wirklich durchsetzen und kontrollieren kann.


medianet:
Was wäre noch zusätzlich nötig?
Huter: Darüber hinaus braucht es auch umfassende Veröffentlichungspflichten: Dass staatliche Stellen bestimmte Dokumente, Daten und Informationen automatisch online in maschinenlesbaren Formaten veröffentlichen müssen, etwa zu getroffenen Entscheidungen, Auftragsvergaben, erstellten Gutachten und Studien oder bestimmte Statistiken. Bei unseren Nachbarn in der Slowakei müssen sämtliche Verträge der öffentlichen Hand, etwa zu Auftragsvergaben, erteilten Genehmigungen, Förderungen und Privatisierungen, im Volltext im Internet stehen, sonst treten sie nicht in Kraft. In Österreich wäre das nach wie vor unvorstellbar.

medianet:
Gibt es hier seitens der EU Empfehlungen und Vorgaben?
Huter: Nein, die EU hat bei Aspekten der nationalen Transparenz keine Kompetenzen. Es liegt an Österreich, sich ein Informationsfreiheitsgesetz zu verpassen.

Positiv formuliert: Da wir die letzten ohne Gesetz sind, könnten wir uns an vielen Erfahrungswerten orientieren. Gegenüber EU-Institutionen haben wir allerdings schon heute ein Recht auf Dokumenteneinsicht, man kann einfach über die zivilgesellschaftliche Plattform AskTheEU.org anfragen. Auch müssen sämtliche EU-Förderungen transparent gemacht werden – das fordern wir auch für österreichische Förderungen und Subventionen für Unternehmen und Organisationen.


medianet:
Gerade in diesem Bereich, wo auch viel Geld im Spiel ist, ist auch Missbrauch oder gar Korruption nicht auszuschließen. Wie weit hilft ein modernes Gesetz, Korruption zu verhindern oder zu bekämpfen?
Huter: Die derzeitige Geheimniskrämerei, die Kultur des Amtsgeheimnisses, beflügelt ganz klar Korruption, Nepotismus und Misswirtschaft. Weder Journalisten noch Bürgern ist es möglich, nachzuvollziehen, welche Entscheidungen Politik und Verwaltung treffen, auf welcher Informationsgrundlage sie handeln und wie unsere Steuergelder im Detail verwendet werden, wenn die Politik das nicht will. Ein Informationsfreiheitsgesetz würde eine dringend nötige Kontrolle durch die Öffentlichkeit ermöglichen und so dazu beitragen, Korruption zu aufzudecken und zu verhindern.

medianet:
Bei Ihrer Ansage zu einem neuen Informationsfreiheitsgesetz hat Ministerin Edt­stadler bereits angekündigt, dass zum Beispiel Informationen zum milliardenschweren Covid-Hilfsfonds eher nicht unter das neue Gesetz fallen werden. Was sagen Sie dazu?
Huter: Ein Informationsfreiheitsgesetz, das nicht sicherstellt, dass die Öffentlichkeit nachvollziehen kann, was im Detail mit unseren Steuergeldern geschieht, würde diesen Namen nicht verdienen. Wenn es um viele Hunderttausende oder gar Millionen Euro an Förderungen für Unternehmen geht, dann gibt es ganz klar ein überwiegendes öffentliches Interesse an Transparenz und Nachvollziehbarkeit.

medianet: In Ländern wie Schweden kann man als Bürger von der Privatadresse bis zum Steuerbescheid seines Nachbarn sehr viele Daten digital abrufen. Wie weit soll Ihrer Meinung nach das Gesetz in Österreich gehen?
Huter: Es braucht einen gläsernen Staat, keinen gläsernen Bürger. Ein Informationsfreiheitsgesetz schafft weder das Grundrecht auf Datenschutz noch die Privatsphäre ab, das zeigt etwa das Beispiel Deutschland ganz klar, wo es längst ein Informationsfreiheitsgesetz gibt: Persönliche Informationen von Bürgerinnen und Bürgern werden weiterhin geschützt bleiben. Das Beispiel Schweden wird oft verwendet, um Angst vor der Transparenz zu schüren. Die Offenheit von Steuerdaten dort hat aber nicht direkt etwas mit dem Bürgerrecht auf Informationszugang zu tun, das in Schweden bereits vor über 250 Jahren eingeführt wurde.

medianet:
Es gibt bereits seit einiger Zeit etwa die Transparenzdatenbank für diverse Förderungen; reichen aus Ihrer Sicht die Strafen bei einer Nichtbefüllung aus?
Huter: Es gibt meines Wissens keine Sanktionen für das Nichtbefüllen der Transparenzdatenbank. Diese bringt für Bürgerinnen und Bürger auch keinen Mehrwert: Entgegen ihrem Namen sind die dort enthaltenen Informationen zu ausbezahlten Förderungen geheim, auf die Verarbeitung der Daten stehen hohe Geldstrafen. Es gibt Bundesländer, Städte und Gemeinden, die Förderungen freiwillig offenlegen. Allerdings ist das leider die Ausnahme. Wie man etwa bei den milliardenschweren Corona-Hilfstöpfen sieht: Was mit Steuergeldern in Österreich passiert, bleibt weitgehend im Dunkeln. Wer welche Gelder warum erhält, ist meist nicht nachvollziehbar.

medianet:
Eine Frage zu den Fristen, bis wann Behörden Informationen zur Verfügung stellen müssen: Welche Fristen wären sinnvoll?
Huter: Wir glauben, eine Frist von maximal zwei Wochen für eine Auskunftserteilung wäre angemessen – nicht die vier bis acht Wochen, die von Regierungsseite vorgeschlagen werden. Lange Fristen nehmen einem Informationsfreiheitsgesetz die Schlagkraft, etwa für Journalisten, die ein solches Gesetz als Recherchegrundlage verwenden.

Zum Vergleich: Gegenüber EU-Institutionen haben wir ein Recht auf Dokumenteneinsicht binnen 15 Arbeitstagen, in manchen EU-Ländern liegt die Auskunftsfrist bei einer Woche. Der Plan im Regierungsprogramm sieht jedoch leider lange Auskunftsfristen vor – bis zu acht Wochen.


medianet:
Anders als in anderen Ländern soll es in Österreich keinen Transparenzbeauftragten geben. Ist das ein Fehler?
Huter: Ein Informationsfreiheitsgesetz ohne unabhängigen Beauftragten wird keine echte Transparenz bringen. Eine solche Stelle gibt es in vielen europäischen Ländern, etwa auch Deutschland, der Schweiz und der Slowakei. Sie kann Transparenz im Sinne der Bürgerinnen und Bürger durchsetzen und gleichzeitig die Verwaltung beraten. Das zeigen uns verschiedene Beispiele in Europa: Der Beauftragte ist essenziell dafür, dass Transparenz auch gelebt und umgesetzt wird. Die Verwaltungsgerichte hingegen können Transparenz nicht sicherstellen. Gerichtsverfahren ziehen sich über viele Jahre. Wir sind in verschiedenen Fällen gegen Auskunftsverweigerung durch Behörden vor Gericht gegangen. So versuchen wir etwa seit vier Jahren, eine Auskunft von der Stadt Wien zu von Mitarbeitern gesammelten Einsparungsvorschlägen zu bekommen. Trotz einem von uns erreichten Urteil des Höchstgerichts hat die Stadt Wien die Informationen weiter geheim gehalten. In einem erneuten Verfahren ist es nicht einmal dem Richter gelungen, die Akten einsehen zu können.

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