Corona als Equalizer der Werbebranche
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MARKETING & MEDIA Redaktion 15.05.2020

Corona als Equalizer der Werbebranche

Wenn große Werbebudgets und aufwendige Produktionen krisenbedingt wegfallen, bleibt eines übrig: das Handwerk.

••• Von Laura Schott

Ruhige Klaviertakte, stimmungsvolle Aufnahmen in gedeckten Farben. Ein Rückblick, dann geht es um Menschen, um Familie. Die Überleitung zu den viel zitierten „unprecedented times” und das Versprechen, für seine Kunden da zu sein – auch oder gerade jetzt.

Facebook, Uber, Samsung – manch einer mag die Zusammenstellung zahlreicher aktueller Werbespots gesehen haben, in der YouTube-Creator Sean Haney vor Augen führt, wie sehr die vor Pathos triefenden Corona-Spots der letzten Wochen einander ähneln. Aber ist es wirklich das, was Kunden in der Krise von einer Marke erwarten? „Wir sind für euch da”?
Vielleicht. Die Botschaft gelte es aber mit Vorsicht zu kommunizieren, sagt Alexander Rudan, Executive Creative Director von Havas Wien. Es sei wie mit den Kindern: Man könne nicht etwas versprechen und es dann nicht halten, auch als Marke nicht. „Wenn ein Unternehmen jetzt leere Versprechungen macht, wird das nicht unbemerkt bleiben. Die Menschen werden sich daran erinnern.” Sich etwa beim Gesundheitspersonal mit einer aufwendig produzierten und teuer ausgespielten Kampagne zu bedanken, anstatt diesem schlichtweg ein höheres Gehalt auszubezahlen, berge schon eine gewisse Absurdität.

Corona nivelliert die Branche

Produktionen wie aufwendige TV-Spots waren während der letzten Wochen durch die Ausgangsbeschränkungen aber sowieso nur sehr eingeschränkt möglich. Wer das entsprechende Budget hatte, konnte die letzten Tage vor dem Lockdown noch dafür nutzen, ansonsten kämpfen nun alle mit denselben kreativen Waffen. Corona fungiere als weltweiter Equalizer in der Werbebranche, sagt Rudan. Wenn sogar in Ländern wie den USA, wo Unternehmen oftmals überbordend große Produktionsbudgets für ihre Kampagnen zur Verfügung haben, solche Produktionen plötzlich nicht mehr möglich sind, sieht man, wie sehr die Krise die Branche weltweit nivelliert hat. „Und man sieht plötzlich, wo gut gearbeitet, und wo nur geblendet wird. Wenn nicht mehr die Mittel da sind, um schwache Ideen durch große Bilder zu kompensieren, was bleibt dann übrig?”

Besinnung auf das Handwerk

„Scharf zu denken und seine Botschaft mit sehr einfachen Mitteln an den Mann zu bringen”, lautet Rudans Antwort. „Dafür muss man sein Handwerk – sei es jetzt die Texterei, die Typografie oder etwas anderes – aber sehr gut beherrschen.” Darauf werde man sich in Zukunft wieder mehr besinnen müssen, ist Rudan überzeugt.

Wird es also durch die Krise nun endlich zu der von vielen Marktteilnehmern herbeigesehnten Auslese in der Kommunikationsbranche kommen? Jein. Rudan: „Diesen Darwinismus gab es schon immer. Ich wehre mich aber gegen Begriffe wie ‚Marktbereinigung', die klingen, als wäre da draußen irgendetwas Schmutziges, das jetzt hoffentlich endlich weggekehrt wird. Das hat für mich einen Zynismus, den ich nicht gerne mag.”
Dass die Krise vielen Unternehmen zusetzen und sie vielleicht auch dazu zwingen wird, zusperren zu müssen, ist unbestritten. Die vielen neuen Ideen, die während der letzten Wochen gewachsen sind, würden aber auch wieder neue Werbekunden bringen, sagt Rudan. „Unsere Branche ist fantastisch im Anpassen. Und wir werden uns eben an diese veränderten Bedingungen anpassen beziehungsweise haben das zu weiten Teilen schon getan.”

Trittbrettfahrer enttarnen

An eine grundlegende Veränderung glaubt Rudan jedoch nicht – nicht in der Kreation und auch nicht in der Produktion. „Ich glaube, genauso wie sich die Menschheit im Allgemeinen nicht verändert, gilt das auch für Marketer und Agenturen. Sobald sich die Bedingungen wieder normalisieren, werden wir zu dem zurückkehren, mit dem wir vorher schon gut umzugehen wussten.”

Sich selbst als pathologischen Optimisten bezeichnend, hofft Rudan dennoch, dass die Krise das Bewusstsein für die Wichtigkeit einer starken, gut aufgestellten Marke schürt. Die Reaktion vieler Unternehmen, mit Ausbruch der Krise reflexartig Werbebudgets einzufrieren und zu kürzen, zeichne jedoch ein anderes Bild: „Diverse Studien bestätigen, dass Unternehmen, die auch während einer Krise in ihre Marke investieren, gestärkt aus dieser herausgehen. Und es gibt trotzdem genug, die glauben, jetzt sei es an der Zeit, noch mehr die Hosen runterzulassen, und den Teufel tun, in ihre Marke zu investieren.”
Mittlerweile hätten auch die USA die „United-we-stand-Kiste” wieder verlassen. Ein Trend, der schon wie so viele vor ihm in der Branche einmal um den Globus gezogen und wieder verflogen ist, Krise hin oder her. „Die Branche ist ja immer sehr nah am Trend und kann auch schnell auf ein Trittbrett aufspringen. Sie gibt dieses aber in den seltensten Fällen vor”, sagt Rudan. Diese Tatsache berge vielleicht doch noch Potenzial für ein wenig Veränderung. Denn vielleicht werde der ein oder andere künstlich aufgeblasene Trend durch die Krise demaskiert, sagt Rudan. Und so findet auch dieser Artikel schließlich noch ein optimistisches „die Krise als Chance”-Ende – wie man das eben gerade so macht.

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