Cui bono? Streit um ORF.at geht weiter
© ORF/Hans Leitner
Stefan Pollach leitet die ORF-Hauptabteilung für Online und Neue Medien.
MARKETING & MEDIA Redaktion 12.01.2024

Cui bono? Streit um ORF.at geht weiter

Beim Fight ORF vs. VÖZ wegen der neuen Blauen Seite könnten die Digitalgiganten die lachenden Dritten sein.

••• Von Dinko Fejzuli

Die sogenannte Blaue Seite ORF.at war bereits in den Verhandlungen zum neuen ORF-Gesetz ein großer Zankapfel. Den Verlegern war die Nachrichtenseite zu „zeitungsähnlich”, die Textmeldungsanzahl wurde nun auf 350 pro Woche begrenzt. Reine Titel, die per Link sofort auf Unterseiten von ORF.at führen, sind von der Limitierung nicht erfasst, was den Verlegerverband VÖZ mit Blick auf das ORF-Gesetz von „einer Mogelpackung” sprechen lässt; Man sprach sogar von „Tricksereien”.

Im ORF reagierte man auf Kritik dieser Art deutlich verschnupft. ORF-Generaldirektor Roland Weißmann sah mit dem vom VÖZ erhobenen Vorwurf, bei der auf Basis einer Gesetzesnovelle reformierten Nachrichtenseite ORF.at handle es sich um eine „Mogelpackung”, eine „Grenze erreicht”. „Die Neuaufstellung von ORF.at entspricht in allen Belangen den gesetzlichen Vorgaben”, so der ORF-Chef.
medianet bat aus gegebenem Anlass Stefan Pollach, Leiter der ORF-Hauptabteilung Online und Neue Medien, um einige Antworten zum Streit, aber auch um eine erste Zwischenbilanz zu ORF.at neu.


medianet:
Herr Pollach, bevor wir zum aktuellen Streit zwischen VÖZ und ORF rund um die Blaue Seite ORF.at kommen, eine Frage vorab: Können Sie uns aus Ihrer Sicht den neuen Aufbau der Homepage des ORF skizzieren und ev. auch schon erste Eindrücke schildern, wie das neue Angebot bei den Userinnen und Usern ankommt.
Stefan Pollach: Die erneuerte Blaue Seite bietet nach dem Motto ‚Das Wesentliche auf einen Blick' nach wie vor eine zuverlässige, seriöse und neutrale Überblicksberichterstattung über die wichtigsten tagesaktuellen Ereignisse in Österreich und der Welt. Im Sinne des ‚ORF für alle' ist das weiterhin der Auftrag, und wir erfüllen ihn in Form von Videos, Audios und über die im Umfang kompakter gewordene Textberichterstattung. Wir haben eine prominente Übersicht über die zur jeweiligen Nachrichtenlage passenden Videobeiträge neu eingeführt. Wir bekommen gemischtes Feedback – manche vermissen die gewohnte Blaue Seite, und mache begrüßen die neuen multimedialen Inhalte.

medianet:
Welcher Content ist besonders beliebt?
Pollach: Es werden Inhalte gut genutzt, bei denen der ORF seine Vertrauenswürdigkeit und seine journalistische Zuverlässigkeit ausspielen kann. Das sind zum Beispiel die Korrespondenten, aber auch prominent besetzte Studiointerviews. Und natürlich werden Videos stark genutzt, die an einen Schauplatz chronikaler Ereignisse führen – wie etwa der Flugzeugunfall Anfang Jänner.

medianet:
Apropos Video – augenscheinlich ist das deutlich ausgebaute Bewegtbild-Angebot. Eine Frage dazu: Online-Content wird generell vor allem mobil konsumiert, oft auch in einer Umgebung, wo Ton eher ungünstig ist. Wie weit nehmen Sie bei der Kreation des Inhalts darauf Rücksicht, auch im Sinne einer möglichst breiten Barrierefreiheit?
Pollach: Barrierefreiheit ist für uns sehr wichtig. Wir lassen unsere Angebote regelmäßig unabhängig evaluieren und sind seit vielen Jahren in einem guten Austausch mit Expertinnen und Experten. Bei einem Angebot wie der Blauen Seite ist Barrierefreiheit ein Herzstück und nicht bloß eine gesetzliche Auflage. Der überwiegende Teil der Videos ist untertitelt. Wie wir Untertitel und Transkripte in einem schnellen Nachrichtenmedium für Video und Audio bestmöglich zum Einsatz bringen, ist Gegenstand der iterativen Weiterentwicklung.

medianet:
Wann wollen Sie ORF.at neu evaluieren und eventuell notwendige Adaptionen vornehmen?
Pollach: Wir evaluieren die Nutzung von ORF.at permanent und befinden uns in einem ständigen Weiterentwicklungsprozess. Planbare Nachrichtenereignisse wie Wahljahre bringen schon seit vielen Jahren größere und kleinere Innovationen in unser Angebot.

medianet:
Und nun zur medialen causa prima des Landes. Seit wenigen Tagen ist die Homepage der neuen Blaue Seite ORF.at angepasst an das neue ORF-Gesetz, also mit weniger Textbeiträgen, aber mehr Video­beiträgen, und schon kracht es gewaltig zwischen dem ORF und dem VÖZ, weil dieser meint, dass es zwar auf ORF.at weniger Beiträge gäbe, aber auf der Website selbst, konkret auf den Sub-Seiten wie wien.orf.at oder sport.orf.at, das Gesetz unterlaufen werde, weil es hier jetzt eben mehr Content gäbe. Sind Sie überrascht von der Kritik bzw. was sagen Sie dazu?
Pollach: Wir haben die gesetz­lichen Vorgaben genau umgesetzt und sind nicht überrascht von der Kritik, aber darüber, dass sich andere überrascht geben. Zeitungsverleger haben bereits im Rahmen des parlamen­tarischen Verfahrens zum Thema der zulässigen Verlinkung Stellung genommen und das Gesetz als für ihre Interessen un­zureichend kritisiert. ­Warum diese Verlinkung jetzt gesetzwidrig geworden sein sollte, ist für uns nicht nachvollziehbar.

Seit ihrer Gründung erfüllt die Blaue Seite als Startseite des ORF auch die Funktion eines Portals in das ORF.at-Netzwerk, seit 2010 ist das auch im Angebotskonzept niedergeschrieben. In den anderen Angeboten ist jetzt keine einzige Textmeldung dazugekommen, im Gegenteil: Die Regionalnachrichten sind schon seit 2010 stark reguliert, und auch der Sport hat jetzt ein Multimedia-Gebot zu befolgen und die Zahl an Textbeiträgen reduziert.


medianet:
Der ORF droht ob diverser Anschuldigungen mit Klagen, und der VÖZ will die Aufsichtsbehörde für eine Prüfung einschalten. Den Streit von der Außenlinie betrachtend: Sehen Sie die Gefahr, dass am Ende dieses Fights ORF gegen VÖZ eher die Digitalgiganten wie Facebook & Co der lachende Dritte sind?
Pollach: Eine Einschränkung der Blauen Seite würde den österreichischen Paid-Content-Markt nicht fördern, profitieren würden nur die großen internationalen Plattformanbieter.

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