"Das wär, wie wenn aus Lexus 'Toyota Plus' wird' "
© Rewe Group/Robert Harson
MARKETING & MEDIA Redaktion 05.02.2021

"Das wär, wie wenn aus Lexus 'Toyota Plus' wird' "

Die Kommunikationsbranche ist zwiegespalten bei der ­Frage, ob die Umfirmierung von Merkur auf Billa Plus ein Vorteil ist.

••• Von Dinko Fejzuli, Nadja Riahi und Laura Schott

Anders als sein Namensvetter im Planetensystem verglühte der Merkur auf dem Planeten Erde bereits nach 52 Jahren. Im Jahr 1969 mit der ersten ­Filiale in der Wiener Gebler­gasse gegründet, wird die Rewe-Tochter mit gut 10.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, 144 Standorten und 1,97 Mrd. € Umsatz im Jahr 2019 demnächst aufhören, als Marke zu ­existieren, um dann als „Billa Plus” straff an die Gelb-Rote Schwester Billa gespannt zu werden.

Über die Gründe zur unternehmerischen Zusammenlegung, die im April abgeschlossen sein soll, meint Rewe-Konzernchef Marcel Haraszti kürzlich im Format: „Es geht um die Konzentration auf die Kundenbedürfnisse und auf unsere Stärken und nicht darum, zwischen einzelnen Vertriebsschienen internen Wettbewerb aufzubauen. Der sitzt außerhalb.” Haraszti spielt damit vermutlich auf den jahrelangen internen, bisweilen sehr hart ausgetragenen Wettbewerb der beiden Schwestermarken an, bei dem viel Energie verpufft ist, die nun vermutlich eher in Richtung des Konkurrenten Spar geht, von dem man vor wenigen Wochen hinsichtlich Marktanteilen im heimischen LEH als Nummer eins abgelöst wurde.
Die nun erfolgte Zusammenlegung von Merkur und Billa sehen Marktkenner als erste, heftige Reaktion – und als Beginn des Abwehrkampfs zurück an die Spitze.
Zum nun erfolgten Schritt meint Rewe-Pressesprecher Paul Pöttschacher gegenüber medianet: „Der Lebensmittelhandel befindet sich im Umbruch. Kunden wollen punktgenaue Einkaufserfahrungen, die für sie richtige Preise, genau die Auswahl und die Leistung, die sie für ihren ganz individuellen Lebensstil brauchen – und das immer, sofort im Geschäft ebenso wie online. Um diesen Anforderungen bestmöglich gerecht zu werden, braucht es eine Bündelung der Kräfte. Zwei starke und jahrzehntelang erfolgreiche Vertriebsformate rücken nun noch näher zusammen, können sich gegenseitig noch besser unterstützen und im Angebot für unsere Kunden gezielter agieren”, so Pöttschacher weiter. Der beste Markentransfer gelinge durch die Leistung, das Merkur-Erlebnis werde auch unter der Dachmarke Billa bestehen bleiben und sogar weiter ausgebaut.
Das Ende der Marke Merkur selbst wirft dabei etliche andere Fragen auf: Wird hier, wie viele meinen, mit dem Ende der Marke Merkur auch ein beträchtlicher Wert vernichtet, und wenn ja, lässt sich dieser auch beziffern? Oder lässt sich gar der über Jahrzehnte aufgebaute Wert der Marke Merkur auf die neue Marke Billa Plus einfach übertragen? Und sind die Kunden des Merkur automatisch auch jene, die künftig bei Billa Plus einkaufen werden?
Was das Einstampfen einer der bekanntesten Marken Österreichs insgesamt bedeutet und welche Folgen es für die beteiligten Agenturen haben könnte, dazu hat sich medianet umgehört.

„Wie Lexus als Toyota Plus”

Die Umfirmierung kritisch sieht Christian Schölnhammer, Gründer und Geschäftsführer der Beratungsagentur Brand+; er wirft die Frage auf, ob bei einer Fusion der Marken auch die Kunden der beiden Unternehmen fusioniert würden; diese Frage verneint er. Schölnhammer vergleicht die Einverleibung von Merkur durch Billa so: „Stellen Sie sich analog vor, wenn der Toyota-Konzern die Marke Lexus – ebenfalls Teil des Konzerns, jedoch in der Luxussparte – in ‚Toyota Plus' umfirmieren oder wenn man ­Lancôme in ‚L’Oréal Plus' umbenennen würde. Diese Versuche können nicht funktionieren, da man Marken-Shifts nicht beliebig in unterschiedliche Wertklassen vornehmen kann.”

Ein simples Umbranding von Logos, Außenfassaden, Sackerln und Arbeitskleidung werde nicht genügen, um den gleichen oder höheren Markterfolg zu erzielen, so der Markenexperte.
Und wie sehen Vertreter der Industrie den Schachzug der Rewe?

Plus an Verantwortung

Auf das Aus von Merkur bei der Präsentation der diesjährigen Kampagne des Markenartikelverbands angesprochen, meinte deren Geschäftsführer Günter Thumser: „Aus ökonomischer Sicht ist es nachvollziehbar, dass man im Wettbewerb bei einer riesig ausgebautem Monobrand Spar im Rewe-Konzern diesen Schritt setzt. Dieses Plus, das in Zukunft dazukommt, ist ein enormes Plus an Verantwortung gegenüber den liefernden Unternehmen, die das Billa-Management und die Rewe-Gruppe viel ernster nehmen muss als gerade in den letzten zwei drei Jahren, nämlich eine Verantwortung, dass man zum größten Supermarktfilialsystem auch das größte Verbrauchermarktsystem dazuschaltet und bei der Aktivität und Promotion, wo es darum geht, große Mengen zu bewegen, einen viel größeren Hebel benützt und damit natürlich in der Planungssicherheit für die liefernde Industrie und für die Landwirtschaft eine höhere Verantwortung schuldet.”

Denn, so Thumser, es könne niemand davon ausgehen, „dass man eine Woche vor der Lieferung noch riesige Mengen produzieren kann, die man normalerweise von mehreren Woche produziert”.
Thumser mahnend: „Ab sofort wird es notwendig sein, dass eine kontinuierliche frühzeitige Planung ernst genommen wird. Kurzfristige Veränderungen bringen hier sicherlich viele Konflikte, die dann zulasten der Konsumenten gehen.”

Umbenennung verständlich

Die Umbenennung nachvollziehen kann auch VMLY&R Vienna-CEO Sebastian Bayer, dessen Agentur mit dem Brand Asset Valuator über ein sehr umfangreiches Wissen über heimischen Marken und deren Bedeutung verfügt.

Bayer zur Umbenennung: Die Differenzierung zwischen Merkur und Billa sei nicht mehr groß genug, wodurch es sowohl in der Eigenmarkenstrategie als auch nach außen über die letzten Jahre hinweg immer wieder zu Redundanzen gekommen sei.
„Merkur war eine sehr starke Marke, eine Ikone – es ist schade, dass sie nicht früher klarer von Billa wegpositioniert wurde. Doch ich glaube, dass dem Konsumenten am Ende nicht mehr bewusst war, was Merkur überhaupt noch von Billa unterscheidet; daher ist der Schritt aus unternehmensstrategischer und markenstrategischer Sicht für mich absolut nachvollziehbar und logisch.”
Und was sagt man bei DMB., wo man die Marke Merkur noch betreut? Mariusz Jan Demner befragt zur Umfirmierung, ebenfalls bei der Präsentation der Markenartikel-Verband-Kampagne: „Die Agentur arbeitet noch nach wie vor für Merkur. Natürlich sehe ich den im Frühjahr beabsichtigten Schritt aus persönlicher Sicht mit einem fest weinenden Auge. Durften wir doch über Jahre dazu beitragen, Merkur zu einer vitalen und sehr validen Marke auszubauen. Im Übrigen kommentiere ich nicht strategische Entscheidungen meiner Kunden und bitte um Verständnis dafür.”
Und in der Tat: Vieles, was für Merkur stand, hat sich bei den Kunden ins Gedächtnis gebrannt.
Wer sich noch an ‚Mr. Ano Nym' erinnern kann – das mysteriöse Testimonial, das die Merkur-Filialen und ihre Produkte ganze 27 Jahre lang auf Qualität überprüft hat –, der konnte vielleicht schon bei dessen Abdanken 2014 erahnen, dass ein Umbruch stattfindet, erklärt Irene Sagmeister, die mit ihrer Agentur We Love\TBWA auch für die Rewe-Tochter Penny kommuniziert: „Die Transformation von Merkur hat sich schon lange abgezeichnet. Gleichzeitig mit der Abschaffung der ‚Ano Nym'-Kampagne wurde die Marke verbreitert, das Sortiment in Richtung Preiseinstieg mit der grünen Eigenmarke ergänzt, mehr Fokus auf einkommensschwächere Familien gelegt. Ab diesem Zeitpunkt war der Anspruch, Premium zu sein, nicht mehr in jeder Konsequenz erlebbar.”
Schließlich wurde die Organisation mit Billa zusammengelegt, es wurden gemeinsame Aktionen gefahren und zuletzt ist die gelbe Billa-Eigenmarke im Merkur-Regal aufgetaucht. „Spätestens da wurde klar, was kommt”, meint Sagmeister und fährt fort: „Aus Werbersicht muss man auch ehrlich zugeben, dass die Kampagnen der letzten Jahre nie mehr jene Flughöhe erreicht haben, auf der ‚Ano Nym' die Jahre zuvor unterwegs war.” Den Schritt, Merkur als Konsequenz unter das Billa-Dach zu nehmen, erachtet Sagmeister als folgerichtig: „‚It is better to burn out than to fade away', sagt Neil Young und kurz vor seinem Exit auch Kurt Cobain. Umgemünzt auf Merkur, war das, was man zuletzt erlebt hat, zum Leben (einer Premiummarke) zu wenig, aber zum Sterben zu viel. Da ist in meinen Augen der scharfe Schnitt nur konsequent.”

Verluste von Markenwerten

Die Frage, ob es zu einem Verlust der Markenwerte von Merkur kommen würde, bejaht sie zwar („Natürlich kommt es dazu; Billa plus ist nicht Merkur”), sie rät jedoch, dem Unternehmen jetzt einmal die Chance zu geben, die neue Marke spannend aufzuladen und gut zu führen. „Dieses Unterfangen von vornherein als falsch zu qualifizieren, wie es viele tun, ist doch etwas anmaßend. Jetzt sind die am Zug, die die neue Struktur gestalten und mit Leben erfüllen werden. Schauen wir uns doch einmal an, was sie vorhaben. Und wenn uns nicht gefällt, was daraus wird, gibt es ja genügend alternative Einkaufsstätten. Handel ist Wandel – er ist und bleibt immer spannend.”

Und was sagt Gerhard Hrebicek, Gründer und Präsident des European Brand Institue, zur Frage, ob hier Markenwerte vernichtet werden?
„Europa steht für Markenportfolios. Das ändert sich jedoch mit der Zeit. Viele Multi Brand- Gesellschaften verkleinern ihre Portfolios und bauen die bestehenden Marken aus. Dies nennt man auch den ‚Halo Effect': Das Große wird noch größer gemacht. Eine Marke wird sozusagen gedehnt. Nehmen wir Nivea als Beispiel. Angefangen hat es mit der Creme, mittlerweile gibt es sehr viele verschiedene Pflegeprodukte der Marke Nivea. Eine gedehnte Marke wird mittel- und langfristig wertvoller, weil sie präsenter ist. Kurzfristig wird durch die Einstampfung von Merkur ein Markenwert vernichtet, aber auf lange Sicht ist die Entscheidung, Billa dadurch aufzuwerten, auf jeden Fall die richtige”, fährt Hrebicek fort.
Gänzlich anders sieht dies Alexander Rudan, Executive Creative Director Havas Village Wien: „Merkur hatte einmal genau jenes glasklare Profil, das man heute bei Billa suchen muss und beim stark an das inflationär bemühte ‚Mehr als ein/e …' (setze beliebig irgendeine Branche ein) erinnernde Billa plus wohl auch nur schwer finden wird. Effizienz und Synergieeffekte – diese Eckpfeiler zeitgenössischen Managements wurden dieses Mal gleich direkt ins Herz der einst so profilierten Marke Merkur getrieben. Es war verdammt hart, der Beste zu sein. Schade um das Aus einer großen österreichischen Marke.”
Mitbewerber wie Spar und Hofer wollten sich gegenüber medianet derzeit nicht äußern.

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