Demokratie braucht unabhängige Medien
© APA/Florian Wieser
MARKETING & MEDIA Redaktion 08.09.2023

Demokratie braucht unabhängige Medien

APA-CEO Clemens Pig über sein neues Buch „Democracy Dies in Darkness” und die Zukunft der Medienbranche.

••• Von Dinko Fejzuli

Was können wir Fake News und Desinformation entgegensetzen? Dieser und anderen Fragen geht Clemens Pig, Chef der Austria Presse Agentur, in seinem Buch „Democracy dies in Darkness” nach. Sein Fazit: Die Wa(h)re Nachricht ist im Zeitalter von Big Tech und Künstlicher Intelligenz kein Auslaufmodell, sie hat vielmehr eine spannende und wichtige Zukunft in der digitalen (Des)Informationsgesellschaft. medianet bat Pig anlässlich der dieswöchigen ­Buchpräsentation um ein Interview.


medianet:
Herr Pig, Sie haben diese Woche Ihr neues Buch ‚Democracy dies in Darkness' vorgestellt. Darin möchten Sie aufzeigen, dass wahre Nachrichten im Zeitalter von Big Tech und Künstlicher Intelligenz kein Auslaufmodell sind. Gelingt Ihnen diese Anstrengung und wenn ja, wie sieht das Resultat aus?
Clemens Pig: Die Demokratie und die digitalen (Des)Informationsgesellschaften benötigen sauber recherchierte und zuverlässige Nachrichten und unabhängige Medien wie einen Bissen Brot. Nur so lassen sich fundierte und faktenbasierte Meinungsbildungsprozesse herstellen und geordnete Diskursräume schaffen. Es geht dabei nicht um die eine Wahrheit als solche – wir sind bestimmt kein Wahrheitsministerium –, sondern um die redaktionell bestmögliche Annäherung an die ­Begriffe Realität und Objektivität.

Journalismus ist ein hochwertiges und professionelles Handwerk, das wesentliche Funktionen erfüllt: das Ausleuchten von Themen, das Infragestellen der Handlungen der Mächtigen und Regierenden, das Schaffen von gemeinsamen Resonanzräumen – kurzum: Medien und Journalismus sind die vierte Säule der Demokratie.
Angesichts autokratischer Entwicklungen – auch im europäischen Umfeld – kommt den unabhängigen Medien eine besonders wichtige Rolle zu: einerseits, um die Medien selbst vor Angriffen zu schützen, andererseits, um faktenbasierten Journalismus durch Innovationskraft und wirtschaftliche Stärke zu ermöglichen.


medianet:
Wie soll das gelingen?
Pig: Das Zauberwort in der digitalen Transformation lautet Kooperation. Nur durch Zusammenarbeit und Schulterschlüsse lassen sich die aktuellen wirtschaftlichen und technologischen Herausforderungen für die Medienbranche meistern. Als APA begreifen wir uns nicht nur als vertrauenswürdiges redaktionelles Backbone (Trusted Content), sondern übertragen dieses Wertemodell auch auf unsere Digital-Lösungen für den österreichischen Medienmarkt und unsere Wachstumsmärkte Schweiz und Deutschland (Trusted AI). Ein konkretes Ziel ist beispielsweise die Schaffung eines österreichischen Wissensraums der APA-Genossenschaftermedien, in dem Künstliche Intelligenz auf Basis der gesamten verifizierten und faktenbasierten Inhalte der Mitglieder (Input) gemeinsam trainiert werden kann und damit die Grundlage für eine Reihe von personalisierten, zielgruppenspezifischen Inhalte der jeweiligen Medienmarken bildet (Output).

 

medianet: Sie skizzieren in Ihrem Buch auch eine realistische Vision einer European NewsTech Alliance – wie sieht so eine Allianz aus?
Pig: Nachrichtenagenturen kooperieren seit jeher untereinander und tauschen ihre redaktionellen Dienste aus. Das ist ein seit rund 175 Jahren gelerntes Modell des ‚free flow of information' und schafft ein freies, weltumspannendes Nachrichtennetzwerk. Würde man heute Nachrichtenagenturen wie die APA gründen, dann würde man in den genossenschaftlichen Grundauftrag – neben umfassenden redaktionellen Digital-Services – auch die technologische Basis-Infrastruktur für die Medien hineinschreiben. Das ist die moderne Interpretation der Grundidee einer kooperativ oder genossenschaftlich organisierten Nachrichtenagentur im Medieneigentum.

Da die technologische Transformation derart tiefgehend und umfassend ist, plädiere ich in meinem Buch dafür, dass das Konzept der nationalen Kooperation von Medienunternehmen eine Stufe höher gehoben werden muss, eben eine Allianz von Nachrichtenagenturen in Europa im Bereich Digitalisierung und Technologie.
Wir alle verstehen Redaktion und redaktionelle Prozesse; damit sind wir auch glaubwürdig, die dazugehörigen Technologien zu bespielen und uns ein Stückweit unabhängig zu machen, in dem wir beispielsweise gemeinsame, sichere Datenräume der Nachrichtenagenturen schaffen und Künstliche Intelligenz selbst trainieren und unsere teuren Inhalte nicht an irgendwelche Drittanbieter herschenken. Unser USP und unser bester Rohstoff sind unsere Redaktionen, wir dürfen uns die weitere Wertschöpfung nicht aus der Hand nehmen lassen.


medianet:
Wie weit ist dies Kooperation vorangeschritten?
Pig: Erstes konkretes Ergebnis meiner Vision einer European NewsTech-Alliance ist ein aktueller Proof-of-Concept, bei dem alle elf unabhängigen Nachrichtenagenturen Europas ihre verifizierten Inhalte in ein gemeinsames, sicheres System spielen und begonnen haben, darauf aufbauend AI-Lösungen zu trainieren.

Hier geht eine ganz neue Welt auf: automatisierte Beschlagwortungen, automatisierte Gesichtserkennung von Personen öffentlichen Interesses in allen Bildern und Videos, automatisierte Abstracts, neue Inhalte für neue Zielgruppen.
Journalismus soll sich von Routinetätigkeiten befreien, um sich auf seine Stärken zu konzentrieren: journalistische Selektion, Recherche, Quellenprüfung, etc.


medianet:
Ein Fundament dieser Allianz sind als Vorbedingung freie und unabhängige Agenturen, aber auch Medien. Aktuell deutet die Stimmung in eine völlig andere Richtung: Klassische Medien geraten immer mehr unter wirtschaftlichen Druck, und wie wir alle wissen kann nur eine wirtschaftlich gesundes Medienunternehmen auch eher frei von Druck und damit unabhängig sein. Wie ist hier Ihre Prognose?
Pig: Neben Innovation und Transformation aus eigener Kraft, die in allen Medienhäusern voll im Gange ist, benötigt es – mindestens gleich wichtig – auch die notwendigen regulatorischen Rahmenbedingungen, damit sich private Medien ­wirtschaftlich entfalten können. Das beginnt beim Leistungsschutzrecht und reicht bis zum AI-Act.

Die Regulatorik ist auf europäischer Ebene hier meistens ein paar Schritte hinterher, man sieht jedoch, dass die Themen zumindest adressiert werden. Aufgrund der für Medien wirtschaftlich schwierigen Lage trete ich ja auch so entschieden für Kooperation ein, weil sich dadurch Kosten im Technologiebereich senken lassen. Wie gesagt: Die USPs der Medien und Medienmarken sind ihre Redaktionen, teure technische Systeme zählen meines Erachtens nicht dazu und können auf allen Stufen gemeinschaftlich betrieben werden – das ist Sharing Economy oder im Falle der APA ist das Genossenschaft, moderner denn je in der digitalen Transformation.


medianet:
Ein Problem ist ja auch, dass trotz eines Angebots an unabhängigen und seriösen Medien deren Inhalte viele Menschen gar nicht mehr erreichen, weil sie in ihren Social Media- und Telegramm-Blasen verschwunden sind. Wie will man zu diesen durchdringen?
Pig: Die Themenlage ist meines Erachtens tiefgehender. Wir haben bereits vor einigen Jahren in den USA gesehen – und im Zuge der Coronapandemie mit Verzögerung in Europa –, dass manche Teile der Bevölkerung sich nicht nur von Medien, sondern auch von Politik und Wissenschaft abwenden.

Im Zuge der Globalisierung und Technologisierung ist die Welt ein komplexerer Ort geworden. Den Anschluss zu halten, ist eine Herausforderung, das ist nachvollziehbar. Holzschnittartige Simplifizierungen von Komplexität – etwa im Rahmen von Verschwörungstheorien, die dann vermeintlich alle offenen Fragen der Welt mit einer einzigen Erklärung auflösen – mögen eine mentale Entlastung von dieser Komplexität sein, führen aber letztlich in die Sackgassen der digitalen Echokammern, wo manche nicht mehr herauskommen.


medianet:
Fakt ist aber, dass Menschen trotzdem in diese Echokammern abdriften. Welches Angebot muss man ihnen machen, um sie da rauszuholen?
Pig: Overall halte ich Vertrauen für eine wesentliche Stellschraube, um diesen Phänomenen zu begegnen. Konkret im journalistischen Kontext bedeutet Vertrauen, die eigene Arbeit transparent zu machen, auf nachvollziehbare Qualität zu setzen und insbesondere in den Dialog zu gehen: Das unidirektionale massenmediale Modell hat dahingehend ausgedient, dass wir als Konsumentinnen und Konsumenten keine Bevormundung im klassischen Sinne mehr wollen und auch selbst eine Erwartungshaltung an den Journalismus haben. Laufend dieses Vertrauen aufzubauen und einzulösen, das ist ein redaktioneller und hoffentlich lohnender Marathonlauf.

medianet:
Ein weiteres Problem ist, dass auch Spitzenpolitiker vor allem aus dem Mitte-rechts- und dem rechten Spektrum unabhängige Medien als Zielscheibe auserkoren haben und diese in bestimmten Bevölkerungskreisen als ‚Fake-News-' und System-Medien diskreditieren und so auch dieses Vertrauen zerstören. Wie will man hier entgegenwirken?
Pig: Ich kann hier nur für die APA sprechen: jeden Tag unseren Job ordentlich machen und uns wirtschaftlich unabhängig halten als Schutz der redaktionellen Unabhängigkeit.

medianet:
Frage zum Schluss – das große Überthema, auch für Medien, sind aktuell die Möglichkeiten, aber auch die Bedrohungen durch AI. Welches der beiden Dinge überwiegt für Sie persönlich: Ist AI mehr Bedrohung oder mehr eine Chance, auch für Medien?
Pig: Generative AI ist sowohl Bedrohung als auch Chance für die Medienbranche – und ebenso für demokratische Gesellschaften. Damit sollen die neuen Generationen an Künstlicher Intelligenz weder unreflektiert eingesetzt noch verteufelt werden. Wichtig und eine Riesenchance für die Medienbranche ist, AI in ein sicheres und vertrauenswürdiges Umfeld zu bringen und sich damit vom gesamten Teil des ungeprüften und unüberprüfbaren Digital-Raums abzugrenzen – saubere Nachrichten als Input für Künstliche Intelligenz und neue Produkte und Services für die Userinnen und User.

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