Ein Algorithmus macht Schlagzeilen
MARKETING & MEDIA sabine bretschneider 07.06.2019

Ein Algorithmus macht Schlagzeilen

Vorreiter des Robojournalismus waren Bloomberg und Associated Press. Jetzt haben wir den Salat.

Leitartikel ••• Von Sabine Bretschneider

KOLLEGEN. Neu ist es nicht. „Die Roboterjournalisten sind unter uns” schrieb die Welt 2015. Associated Press hatte damals ein Software-Tool (Wordsmith) engagiert, das Finanz-News verfasste. Wordsmith-Entwickler Automated Insights verdiente kurz darauf Milliarden. Derzeit macht der Hightech-Mitbewerb erneut Schlagzeilen: „Robo-reporter writes front-page news” berichtet die Financial Times. Die automatisierte Texterstellung sei längst nicht mehr auf Börsenberichte, Wetter und Sportnachrichten beschränkt.

Der „fleißigste Journalist Großbritanniens” wirft jeden Monat Tausende Geschichten für Hunderte von Publikationen aus. Verfasser ist die Agentur Radar (Reporters and Data and Robots). Deren USP: die Spezialisierung auf Human und General-Interest-Themen; die Storys schaffen es immer öfter auf die Titelseiten. Radar hat sechs angestellte Journalisten und eine mächtige Software, die recht eigenständig unterwegs ist. Themenpalette: Chronik, Gesundheit, Bildung, Wohnen, Lifestyle … Was sie braucht? Textbausteine zum Thema, der Algorithmus ergänzt die Lücken mittels Eigenrecherche in Statistiken, Datenbanken; einen Mausklick später sind 391 Versionen für 391 britische Regionen und Distrikte erstellt. Das Beste: Es menschelt – „Quarter of our pubs have gone”; „Children’s teeth – the rotten truth”.
2017 hatte Radar 700.000 Pfund Anschubfinanzierung von Google erhalten. Ziele des Start-ups: den Rückgang lokaler Berichterstattung stoppen, das damit verbundene Schrumpfen der Anzeigenerlöse – und letztendlich den Abbau von Jobs im Journalismus. Wie zu erwarten, hat diese Taktik ebenso glühende Befürworter wie Gegner. Einerseits werden menschliche Ressourcen geschont, ein Journalist, der sich von Routinepflichten befreien kann, hat Zeit für ordentliche Reportagen. Andererseits: Nicht jeder braucht qualitativ hochwertigen Content. Die FT zitiert den Herausgeber einer Regionalzeitung: „The readers couldn’t care less who wrote it.” Da werden sich einige warm anziehen müssen.

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