„Frauen sind das nächste China”
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MARKETING & MEDIA Ulrike Aichhorn 01.04.2016

„Frauen sind das nächste China”

Der Kunde der Zukunft ist weiblich. Das weiß nicht nur Daimler-Chef Dieter Zetsche. Nicht ganz so klar ist, wie man die Hoffnungsträgerinnen erreicht.

••• Von Ulrike Aichhorn

Eine rothaarige Frau hält an der Tankstelle. Sie steigt aus und greift zielsicher nach dem Diesel-Tankstutzen. Schnitt auf ihre nähere Umgebung: Ein Paketbote lässt sein Paket fallen, zwei Polizisten eilen herbei, der Kassierer schlägt gegen die Fensterscheibe, um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. Alle haben eins im Sinn: Die Dame davor zu bewahren, ihren Wagen mit dem vermeintlich falschen Kraftstoff zu betanken. Schließlich stellt sich jedoch heraus: Sie fährt einen Diesel und weiß genau, was sie tut.

Mit diesem Werbespot sorgte Audi 2013 für Aufsehen. Auf den ersten Blick eine lustige Story, allerdings stößt sie mir sauer auf. Können Sie sich den Spot mit einem Mann vorstellen? Wie selbstverständlich ist es natürlich eine Frau, der unterstellt wird, dass sie den falschen Kraftstoff tankt. Weil wir Frauen dumm sind und keine Ahnung von Autos haben. Egal, wohin man schaut – wenn Frauen überhaupt in einer Autowerbung auftauchen, dann als schmückendes Beiwerk oder hilfsbedürftiges Dummchen. Auf der einen Seite wird überall von Gleichberechtigung gesprochen, mehr Frauen sollen auf die Chefsessel dieser Welt – doch ihnen wird nicht zugetraut, dass sie Autofahren, tanken und sogar einparken können? Das ist eigentlich unglaublich.

Sex sells war gestern

Jüngere Studien deuten an, dass gerade bei Jugendlichen die Masche „Sex sells” nicht mehr zieht. Doch den meisten Autoherstellern scheint das völlig egal zu sein. Hier wird weiter auf maskuline Spots gesetzt, die Geschwindigkeitsrausch mit nackter Haut kombinieren. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht – ich fühle mich davon definitiv nicht angesprochen. Und es geht nicht nur um die Werbung als solche. Dieses vom Marketing der Autokonzerne geschaffene Bild zieht sich wie ein roter Faden durch das Selbstverständnis des gesamten Unternehmens und beeinflusst so auch den wirtschaftlichen Stellenwert von Frauen als Kundinnen. Völlig selbstverständlich wird davon ausgegangen, dass Autos in erster Linie etwas für Männer sind – vor allem, wenn es im Bereich von Motorleistung, PS und Ausstattung erst richtig spannend wird. Ich gebe zu, ich stehe auf schnelle Autos. Beruflich bin ich viel unterwegs und lege daher Wert auf einen hochwertigen Wagen, der mich schnell, sicher und bequem von A nach B bringt.

Leider passe ich damit so gar nicht in das Bild, das die Konzerne von Autokäuferinnen haben. Ich habe es mehr als einmal erlebt, dass ein Verkäufer hartnäckig versucht hat, mir einen „wendigen Stadtflitzer” anzudrehen – obwohl ich mich explizit für eines der Flaggschiffe der Marke interessierte. Und nein, das war kein unglücklicher Einzelfall. Ich habe bereits zahlreiche ähnliche Geschichten von Freundinnen und Bekannten gehört. Anscheinend hat die Automotive-Branche noch einiges nachzuholen, wenn es um den richtigen Umgang mit Kundinnen geht.

Es gibt nicht „die” Kundin

Im vergangenen Jahr verkündete Daimler-Chef Dieter Zetsche großspurig „Frauen sind das nächste China!” – bemerkt habe ich davon bisher nicht viel. Auf der IAA hat das Unternehmen zwar mit entsprechendem Medienrummel seine neue Kampagne „She’s Mercedes” vorgestellt. So weit, so gut, doch das war nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Dahinter verbirgt sich ein Lifestyle-Magazin sowie ein Event-Programm für „erfolgreiche Frauen aus Wirtschaft, Kunst und Kultur”. Schon bei dieser Bezeichnung musste ich mit dem Kopf schütteln. Schön, dass sich jemand Gedanken gemacht und festgestellt hat, dass erfolgreiche Business-Frauen gern hochwertige Autos jenseits von smart und Co. fahren möchten. Doch das ist nur ein Teil der Zielgruppe der Zukunft!

Natürlich gibt es diesen Typ Frau – doch die Anzahl derer, die nicht dazu zählen, aber dennoch potenzielle Mercedes-Kundinnen wären, ist wesentlich höher! Es gibt nicht die Zielgruppe Frau, sondern eine Vielfalt an Lebensentwürfen: Nicht nur die Luxus-Ladies, sondern auch die alleinerziehenden Mütter, die Familienmanagerinnen, die kinderlosen Businessfrauen und viele mehr. Sie alle haben höchst individuelle Bedürfnisse, die Einfluss auf die Wahl eines neuen Autos haben. Wenn die Automobilindustrie alle diese Frauen als Kundinnen gewinnen möchte, ist es Zeit, loszulassen und sich zu verabschieden – von der Idee eines „Frauen-Autos” und von der Vorstellung, dass es die Kundin gibt.

Ade Klischee

Doch auf dem Weg dahin gibt es noch einige Hausaufgaben zu erledigen. Ich habe eine Umfrage in Deutschland, Österreich und der Schweiz durchgeführt, um herauszufinden, wie Frauen in Autohäusern behandelt werden möchten. Bisher haben sich knapp 500 Frauen daran beteiligt und die Ergebnisse sprechen Bände! Zwischen Wunsch und Wirklichkeit klafft ein deutliche Lücke: Abgesehen von einigen Lichtblicken wurden die Beratungsgespräche durch die Bank weg als verbesserungswürdig bewertet. Eine Schulung der Vertriebsmitarbeiter ist hier dringend nötig, doch damit allein ist es nicht getan. Vielmehr ist es ein deutliches Zeichen, dass eine Änderung von ganz oben kommen muss. Erst, wenn die Unternehmensleitung das Potenzial der Zielgruppe Frau anerkennt und in Form von Marketing auch ihrer Diversität Rechnung trägt, kann sich wirklich etwas ändern. Aktuell scheint vielen noch gar nicht bewusst zu sein, welche Kaufkraft die Frauen haben. Kleinwagen waren gestern: Bei 30% der Teilnehmerinnen meiner Umfrage lag der Kaufpreis des avisierten Wagens bei über 40.000 Euro und damit klar im hochpreisigen Segment. Reicher Ehemann? Mitnichten: 89% der Frauen gaben an, 31 Jahre oder älter zu sein, mitten im Berufsleben zu stehen und über ihr eigenes Geld zu verfügen. Liebe Herren, es wird Zeit, sich von angestaubten Klischees zu verabschieden.

Das künftige Unisex

Doch gerade im Marketing halten sich die überholten Rollenbilder hartnäckig: Bei der Vorstellung eines neuen Modells räkeln sich nach wie vor leichtbekleidete Damen auf der Luxuskarosse, im ­Cabrio-Werbespot darf die Frau nur als Beifahrerin den Wind im Haar genießen und natürlich sind es stets Männer, die mit dem Wagen verschneite Serpentinen meistern. Damit muss Schluss sein, denn das Gros der modernen Frauen erfüllt diese klassischen Werbeklischees nicht mehr! Um den Anschluss nicht zu verpassen, müssen Unternehmen neue Wege gehen. Und damit meine ich keine Unisex-Kampagnen. Die Herausforderung besteht vor allem darin, die unterschiedlichen Geschlechter anzusprechen, ohne sich dabei in Klischees zu verstricken. Wir brauchen keine kleinen pinken Autos mit beleuchtetem Schminkspiegel für Frauen – sondern einen neuen Fokus. Auch wenn die Gleichberechtigung in aller Munde ist, gilt es zu bedenken, dass sich die Einstellungen, Werte und natürlich das Kauf- und Konsumverhalten von Frauen und Männern fundamental unterscheiden. Statt einen geräumigen Kofferraum als Highlight herauszustellen, sollten sich Unternehmen daher vielmehr damit auseinandersetzen, was Männer und Frauen tatsächlich ausmacht.

Zum Beispiel aus rein biologischer Sicht: Frauen erkennen zwar mehr Farben, Männer können hingegen Bewegungen deutlich besser wahrnehmen. Es wäre demnach kein schlechter Schachzug, einmal vom üblichen Fokus auf Geschwindigkeit und Beweglichkeit abzusehen, um Frauen als Kundinnen anzusprechen. Wie wäre es, wenn in einem Spot stattdessen die Brillanz des Materials und die edle Beschaffenheit der Innenausstattung ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt wird? Ich bin mir sicher, dass das ein deutlicher Schritt in die richtige Richtung wäre.

Exzellente Multiplikatoren

Zum Schluss möchte ich noch eine Eigenschaft erwähnen, die Hersteller ebenfalls nicht außer Acht lassen sollten. Es mag zwar wie ein Klischee anmuten, ist jedoch statistisch erwiesen: Zahlreiche Studien belegen, dass Kundinnen exzellente Multiplikatoren sind. Dieser Eindruck hat sich im Rahmen der Umfrage bestätigt: Überwältigende 82% der Teilnehmerinnen gaben an, ihre Erfahrungen an Freunde und Bekannte weitererzählt zu haben. Daher ist es heute wichtiger denn je, dass Unternehmen auf ihre Reputation achten. Denn der Wettbewerb schläft nicht, und der selbstbewussten Frau von heute fällt es leicht, zu einem Anbieter zu wechseln, der besser auf ihre Bedürfnisse eingeht.

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