Freiwilligkeit zahlt sich immer aus
© medianet/Katharina Schiffl
Frisch getestet zum Interview: Werberat-Präsident Michael Straberger und Geschäfts­führerin Andrea Stoidl.
MARKETING & MEDIA Redaktion 12.03.2021

Freiwilligkeit zahlt sich immer aus

Österreichischer Werberat zieht Bilanz und weist auf die große Bedeutung der Selbstregulierung hin.

WIEN. Die Beschwerdebilanz des Österr Werberats ist da. medianet bat anlässlich der Präsentation Michael Straberger, Präsident des Österreichischen Werberats, und Andrea Stoidl, ÖWR-Geschäftsführerin, zum Talk.

medianet: Frau Stoidl, Herr Straberger, die aktuelle Bilanz zeigt unter anderem ein deutliches Minus der Stopp-Entscheidungen, also der Aufforderung, eine bestimmte Kampagne off Air zu nehmen. Wie interpretieren Sie diese Entwicklung?
Michael Straberger: Für uns ist diese deutliche Reduktion von Stopp-Entscheidungen trotz einer gestiegenen Anzahl an Beschwerden ein durchaus erfreuliches Signal. Betrachten wir diese Tendenzen gemeinsam mit den Sujet-Rücknahmen (Anm.: 36, im Vergleich 2019: 21), können wir von einem überdurchschnittlich verantwortungsvollen Agieren innerhalb der werbetreibenden Wirtschaft sprechen. Gleichzeitig stärkt es das System der Selbstregulierung und hilft uns enorm bei unseren Bestrebungen, ­Werbeverboten entgegenzu-steuern.

medianet:
Sie sprechen hier die hochkalorischen, aber dabei nährstoffarmen HFSS-Produkte im Umfeld von Kindersendungen in audiovisuellen Medien an?
Straberger: Genau. Im Begutachtungsprozess zur Umsetzung der EU-AVMD-Richtlinie in nationales Recht konnten wir, gemeinsam mit unseren Trägervereinsmitgliedern, die drohenden Werbeverbote nicht nur abwenden, sondern vielmehr noch hat unser System scheinbar überzeugt. So wurde seitens des Gesetzgebers ein deutliches Signal zur Stärkung der Selbstregulierung gesetzt. Dies spiegelt sich im novellierten KommAustria-Gesetz. Im Sinne der sich selbst regulierenden freien Marktwirtschaft unterstützt uns die Novelle enorm und sichert unser effektives System noch besser ab. Zum angesprochenen Themenkreis der HFSS-Produkte haben wir in unglaublich schnellem Tempo bereits unseren Ethik-Kodex, entsprechend der gesetzlichen Vorgaben, aktualisiert und somit sind wir auch in diesem Bereich wieder topaktuell aufgestellt.
Stoidl: Darüber hinaus kommt uns gerade bei der Durchsetzbarkeit von Entscheidungen diese gesetzliche Grundlage auch sehr gelegen. Im Zuge der Nachverfolgung von Stopp-Entscheidungen können wir nun wesentlich gezielter vorgehen.

medianet:
Was genau kann man sich darunter vorstellen?
Stoidl: Auf Basis der Verordnung haben wir einen Sanktionskatalog erarbeitet, der vor allem eine Dokumentationspflicht für Unternehmen vorsieht. Dazu kommt eine proaktive Veröffentlichung von Stopp-Entscheidungen durch den Werberat, insbesondere dann, wenn Unternehmen der ÖWR-Aufforderung für Kampagnenstopp oder Abänderung nicht nachkommen.

medianet:
Das heißt Naming & Shaming für WR-Verweigerer?
Stoidl: Jein. Wir sehen das als absolut letztes Mittel. Aber es geht hier ja nicht um Werberat-Verweigerer, sondern vielmehr um werbetreibende Unternehmen, die allgemein akzeptierte ethische und moralische Grundprinzipien der kommerziellen Kommunikation nicht anerkennen. In diesen Fällen können wir nun auf die breite Veröffentlichung zurückgreifen. In erster Linie verstehen wir uns aber auch weiterhin im Sinne unserer Sprachrohrfunktion in einer beratenden Funktion.
Straberger: Richtig. Wir sind die erste Anlaufstelle für Unternehmen bei ethischen und moralischen Fragestellungen für deren kommerzielle Kommunikation. Die angesprochenen Sanktionen ermöglichen uns nun aber auch, die wenigen Selbstregulierungs-Verweigerer oder Wiederholungstäter zu erreichen, die sich in ihrer Abwehrhaltung wo­möglich selbst, aber auch der Werbewirtschaft insgesamt schaden.

medianet: Wie haben denn Unternehmen bisher auf die Aufforderung, bestimmte Kampagnen zu stoppen, reagiert?
Straberger: Anders als noch vor einigen Jahren werden die Entscheidungen des Werberatsgremiums durchwegs akzeptiert, intern analysiert und mittel- bzw. langfristig geändert; wir stehen dabei Unternehmen begleitend zur Seite.
Stoidl: Gerade in den letzten beiden Jahren konnten wir bei rund 90 Prozent der betroffenen Unternehmen in zahlreichen Gesprächen die Kritik an deren Kampagne erklären und damit die Akzeptanz für die Entscheidungen, aber auch für den Ethik-Kodex, herbeiführen.

medianet:
Kommen wir zu den Beschwerdeinhalten. Geschlechterdiskriminierung liegt hier nach wie vor an erster Stelle. Ist in diesem Bereich zumindest eine Veränderung zum Positiven spürbar?
Stoidl: Gemessen an der Anzahl von Beschwerden, nein. Gemessen an den Inhalten auf jeden Fall. Sexistische Werbung ist bei großen, national agierenden Unternehmen kaum noch ein Thema. Vielmehr zeigt uns die Statistik, dass geschlechterdiskriminierende Werbung eher von kleineren und mittleren Betrieben, die vorwiegend ohne Agenturen agieren, vorkommt.
Straberger: Aus diesem Grund arbeiten wir eng mit den Fachgruppen Werbung in den Bundesländern zusammen. Die Fachgruppen sind hier viel näher an ihren Mitgliedsbetrieben dran, können aufklärend wirken und gemeinsam mit uns in der direkten Kommunikation zu viel Verständnis beitragen.

medianet:
Knapp dahinter rangieren Eingaben zu ‚Ethik und Moral'. Welche Themen werden hier aufgegriffen?
Straberger: Dieser deutliche Anstieg im Corona-Jahr lässt sich einerseits mit der intensiven Mediennutzung von Konsumenten erklären, anderseits wurden sowohl Werbungen rund um ‚Corona-Maßnahmen' und ‚Corona-Informationen' stark kritisiert (Anm.: hier zeichnete der Werberat nicht zuständig).
Stoidl: Vor allem auch die unzähligen ‚Rabatt-Schlachten' nach Ende jeden Lockdowns sind bei uns mit zahlreichen Beschwerden aufgeschlagen.

medianet:
Und wie hat der Werberat dazu entschieden?
Stoidl: Unterschiedlich – Werbemaßnahmen, die ausschließlich den Rabatt in den Vordergrund stellten, wurden entsprechend stark kritisiert, jene, die noch zusätzlich auf die Verantwortung des Einzelnen hinwiesen, wie z.B. Hygienemaßnahmen vor Ort, wurden nicht beanstandet.
Straberger: Für mich absolut nachvollziehbare Entscheidungen, denn eines dürfen wir bei allem Verständnis für Beschwerden aus der Bevölkerung nicht außer Acht lassen: Werbung darf, kann und soll über Produkte, Dienstleistungen und eben auch besondere Aktionen informieren! Würden wir dies verbieten wollen – wie dies kurzfristig in einem deutschen Bundesland gemacht wurde –, wäre als allererstes der Konsument der Geschädigte, denn, wie wir alle wissen: Information ist Freiheit. (mab)

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