Journalismusfest Innsbruck: Whistleblower nach wie vor Zielscheibe
© Blueprint for Free Speech
Naomi Colvin, NGO Blueprint for Free Speech.
MARKETING & MEDIA Redaktion 17.05.2022

Journalismusfest Innsbruck: Whistleblower nach wie vor Zielscheibe

Österreich bei Umsetzung der EU-Hinweisgeberrichtlinie säumig; Einschüchterungsklagen gegen Journalisten nehmen zu; Ausstellung "Drowning World" im Innsbrucker Dom eröffnet.

INNSBRUCK. Whistleblower haben es nach wie vor nicht leicht, wollen sie geheime Informationen weitergeben, um Missstände öffentlich zu machen. Oft werden sie strafrechtlich verfolgt oder als Nestbeschmutzer wahrgenommen. Gleichzeitig nehmen Einschüchterungsklagen gegen Journalistinnen und Journalisten zu, die brisante Infos veröffentlichen. Um gegenzusteuern, sollte man die Öffentlichkeit suchen, so der Tenor einer Podiumsdiskussion am Journalismusfest Innsbruck, das zwischen 13. und 15. Mai 2022 stattfand.

Für die Diskussion im Kulturzentrum Treibhaus fanden sich die renommierte Medienanwältin Maria Windhager und Naomi Colvin von der NGO Blueprint for Free Speech ein. Colvin betonte zunächst, dass ohne Whistleblower investigativer Journalismus massiv eingeschränkt wäre. Froh zeigte sie sich über eine 2019 auf europäischer Ebene implementierte EU-Hinweisgeberrichtlinie. Diese soll Personen schützen, die aus einer Organisation heraus brisante Informationen öffentlich machen wollen. Es handle sich dabei "definitiv" um einen Schritt nach vorne, wenngleich die Richtlinie nicht perfekt sei und Österreich sie erst umsetzen müsse, so Colvin.

Konkret hätte der Gesetzgeber bis Mitte Dezember des Vorjahres, also 2021, handeln müssen. Österreich ist aber nach wie vor säumig. Windhager führte das darauf zurück, dass einerseits mehrere Ressorts in der Regierung mit der Umsetzung befasst seien und andererseits die Grünen den von der Richtlinie erfassten Schutzbereich weiter fassen wollen dürften. Als besorgniserregend stufte die Medienanwältin ein, dass Journalisten und Medienhäuser zusehends mit sogenannten Slapp-Klagen - also Einschüchterungsklagen - konfrontiert seien. Ziel dieser sei es, unliebsame Diskussionen öffentlichen Interesses in den Gerichtssaal zu verlagern und die Berichterstatter zu zermürben.

Das Justizsystem werde in diesen Fällen als "Waffe" eingesetzt, so Colvin, die von einer Verfünffachung derartiger Klagen seit 2016 im europäischen Raum sprach, wobei eine hohe Dunkelziffer herrsche, da sich viele Betroffene schlicht nicht melden würden - ein Fehler nach Ansicht der beiden Podiumsdiskussionsteilnehmerinnen. "Der Schlüssel zum Erfolg ist die Öffentlichkeit", wusste Windhager. Diese über Einschüchterungsklagen zu informieren und sich gleichzeitig Hilfe - etwa über den Rechtsdienst des Presseclub Concordia - zu holen, sei wichtig. Speziell treffe dies für freie Journalistinnen und Journalisten zu, die keinen schützenden Arbeitgeber im Rücken haben und oftmals nicht ausreichend rechtlich abgesichert seien, ergänzte Colvin.

Im wenige Gehminuten zum Festivalzentrum im Treibhaus entfernten Dom zu St. Jakob finden keine Diskussionen statt, dafür ist die Ausstellung "Drowning World - Submerged Portraits" mit Fotos von Gideon Mendel zu sehen, die noch bis
19. Mai zu sehen ist. Der mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Fotojournalist hält seit 2007 Menschen fest, die rund um die Welt vom Anstieg des Meeresspiegels oder von Hochwasserereignissen betroffen sind; 20 großformatige Porträts aus dieser Serie sind nun in Innsbruck ausgestellt.
Die Betroffenen sind alleine oder zu zweit, bis zur Hüfte oder bis zum Hals im Schlamm oder Wasser abgelichtet. Sie alle eint der bestimmte Blick in die Kamera. Er sei beeindruckt gewesen von den gegensätzlichen Auswirkungen der Überschwemmungen und der gemeinsamen Verwundbarkeit, die die Menschen zu vereinen schien, so Mendel in einem Text zur Ausstellung. "Die Fluten werden zum nivellierenden Faktor, die porträtierten Menschen in visueller Solidarität näher gebracht." Die Fotos führen auch die Auswirkungen der Klimakrise vor Augen, die Naturkatastrophen häufiger auftreten lässt. Fixiert sind sie auf Bauzäunen, was nicht nur als Erweiterung der gerade im Altarbereich aufgestellten Baugerüste verstanden werden kann, denn auch für die Eindämmung des Klimawandels ist wohl noch viel Arbeit nötig. (APA)

 

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