••• Von Laura Schott
Haube nicht vergessen, es kann kalt werden”, antwortet @LPDWien vor einigen Tagen auf die Aufforderung einer Twitter-Userin, diese beim Nachtspaziergang während des Lockdowns zu fangen. Für humorvolle Aussagen wie diese wird die LPD Wien schon lange auf Twitter gefeiert, doch Social Media hat für die Polizei eine weitaus größere Bedeutung als bloße Imagepolitur.
Ein Gespräch mit Dominik Grabner, der den Fachbereich Social Media der Wiener Polizei leitet.
medianet: Herr Grabner, wie wird man Fachbereichsleiter für Soziale Medien bei der Polizei?
Dominik Grabner: Ich war Streifenpolizist im siebten Bezirk und wollte eigentlich Pressesprecher werden. Im Zuge meiner Vorbereitungen auf das Hearing habe ich damals bemerkt, dass es zwei wenig bespielte Social Media-Kanäle gab – einen Facebook- und einen Twitter-Account. Daraufhin habe ich ein Konzept für Social Media entwickelt, das so gut ankam, dass ich damit beauftragt wurde, diesen Bereich mit aufzubauen.
medianet: Wie viele Mitarbeiter sind in Ihrem Team?
Grabner: Wir sind zu viert. Und wir sind alle Polizisten, was den Vorteil hat, dass wir auf polizeiliche Anfragen richtig reagieren können, ohne ständig aufwendige Workflows im Hintergrund laufen zu haben.
medianet: Sie beantworten jede noch so kleine Anfrage; das sind ja enorme Mengen an Information, die hier verarbeitet werden. Wie lange schafft man das?
Grabner: Ja, das ist richtig. Anfangs waren wir der Auffassung, möglichst viel Content produzieren zu müssen, es hat sich dann aber bald herausgestellt, dass für die Menschen da draußen am wichtigsten ist, dass sie mit uns kommunizieren können. Deshalb ist eines unserer Hauptziele, auf Social Media möglichst schnell und unbürokratisch ansprechbar zu sein und wirklich auf alle Fragen zu antworten, die Sinn machen. Dafür deckt immer eine Person das Tagesgeschäft zu Bürozeiten ab, also von 8:00 Uhr bis 16:30 Uhr. Dieser Mitarbeiter hat dann im Anschluss Rufbereitschaft und monitored von zu Hause weiter, etwa bis 20:00 Uhr. Dann starten wir erst wieder am nächsten Tag in der Früh – natürlich nur, wenn nichts Außertourliches passiert. Vier Personen sind tatsächlich sehr wenig, wir haben auch immer wieder angedacht, mit einer Agentur zusammenzuarbeiten.
medianet: Welchen Vorteil hätte das?
Grabner: Ein Vorteil wäre, den kreativen Prozess auszulagern. Der leidet bei uns schon ein bisschen, da wir uns viele Dinge selbst beibringen müssen.
medianet: Macht das nicht den Charme der Kanäle aus, dass tatsächlich Sie und Ihre Kollegen dahintersitzen?
Grabner: Man merkt schon, dass die Art und Weise, wie wir mit den Leuten kommunizieren, uns viel Sympathie bringt. Wie haben eine sehr eigene Tonalität auf Social Media, die irgendwo zwischen charmant und doch polizeilich professionell liegt – manchmal lustig, manchmal weniger lustig, manchmal z’wider. Wir können dadurch recht gut repräsentieren, wer wir sind. Ich glaube aber nicht, dass das mit einer Agentur verloren ginge, wenn man darauf achtet.
medianet: Apropos Tonalität: Wie lustig darf die Polizei sein und wie schwierig ist es, abzuwägen, was man sich erlauben darf und was nicht?
Grabner: Diese Diskussion führen wir fast täglich. Man muss aufpassen, dass die Schere zwischen Realität und Social Media nicht zu weit aufgeht. Man kann als Polizist schon lustig sein, aber man sollte nicht vergessen, dass man eben Polizist ist. Unser Ziel ist, charmant zu sein und auch das Wienerische nicht zu kurz kommen zu lassen, dabei aber immer im Hinterkopf zu behalten, dass wir eine Behörde sind, die etwas repräsentiert. Und ab und zu sind wir eh lustig, glaube ich (lacht). Das planen wir aber eigentlich nicht …
medianet: Um auf ein sehr ernstes Thema zu sprechen zu kommen: Wie haben Sie die Anschlagsnacht des 2. November miterlebt?
Grabner: Ich hatte frei und wurde gegen 20 Uhr alarmiert, dass eine Sonderlage eintritt. Ich habe dann den restlichen Fachbereich aktiviert und bin in die Direktion gefahren. Die ersten Tweets haben wir noch während der Fahrt abgesetzt, denn gerade in solchen Fällen ist es wichtig, dass wir uns auf Social Media schnell als valide Informationsquelle etablieren. Und dann war es einfach extrem stressig, denn man steht vor einem riesigen Informationsbedürfnis der Bevölkerung, hat aber eigentlich noch nichts, was man gefestigt kommunizieren kann. Diese erste Phase eines Einsatzes nennen wir intern ‚Chaosphase'. Diese Phase kann man nicht wirklich üben. In der Vorbereitung war klar, dass der Fokus hier auf der internen Kommuikation und den internen Abläufen liegen muss. Wenn diese im Ernstfall funktionieren, hat man die notwendigen Resourcen für die eigentliche Krisenkommunikation frei.
medianet: Wie bereitet man sich auf ein solches Geschehen vor?
Grabner: Es gab in der Vergangenheit große Übungen, bei denen solche Terrorszenarien durchgespielt werden, und auch sogenannte Stabsübungen, bei denen nur die Kommunikation gemeinsam mit den Entscheidungsträgern übt. Jede Übung wurde evaluiert und das Krisenkonzept entsprechend adaptiert.
Was dann wirklich passiert, kann man natürlich nicht vorbereiten, denn man weiß nicht, wie die Terrorlage tatsächlich aussieht oder wie die Kollegen vor Ort agieren. Die wichtigste Vorbereitung für uns war, die interne Kommunikation zu perfektionieren – also Entscheidungsschleifen, Rufbereitschaften und die Absprache mit dem Bundesministerium und anderen Stellen.
medianet: Wie ging es weiter?
Grabner: Zu Beginn ging es uns darum, auf die Gefahrenlage aufmerksam zu machen und Verhaltensanweisungen zu transportieren. Wir haben die Menschen dazu aufgefordert, sich vom Einsatzort fernzuhalten und keine Bilder oder Videos zu teilen, denn das gefährdet unsere Kollegen. Im Laufe der Nacht haben wir dann gesicherte Informationen bekommen, die wir auch regelmäßig kommuniziert haben. Da sind wir dann auch wieder mehr mit den Menschen in Dialog getreten. Für mich war es ein 36 Stunden-Dienst.
medianet: Inwiefern hat Social Media der Polizei in diesem Fall geholfen?
Grabner: Auf der Uploadplattform befanden sich am Ende knapp ein Terabyte Datenmaterial, das laufend herangezogen wurde, um die Einsatzlage zu bewerten. Etwa, um zu sehen, ob es ein oder mehrere Täter gibt, welche Waffe er hat, wo Opfer liegen könnten etc. Außerdem bekommt man über Social Media viele Informationen über sogenannte Phantomeinsätze, wie etwa die angebliche Geiselnahme auf der Mariahilfer Straße später am Abend. Gemeinsam mit anderen Datenquellen kann man sich über Social Media einen guten Eindruck darüber verschaffen, was wie ernst zu nehmen ist.
Für uns sehr schön zu sehen war der Zusammenhalt, der auf Social Media in dieser Nacht geherrscht hat. Alle großen Accounts haben unsere Botschaften geteilt und insgesamt hat es gewirkt, als würde dieses ganze ‚Austro-Twitter', in dem ja ansonsten eine eher kritische Atmosphäre herrscht, ein Stück weit zusammenrücken. Sogar Twitter und Facebook selbst haben uns kontaktiert und ihre Hilfe angeboten – das passiert auch nicht jeden Tag.