Mehr Sensibilität
© ÖWR/Katharina Schiffl
Der Präsident des Österreichischen Werberats, Michael Straberger, und ÖWR-Geschäftsführerin Andrea Stoidl.
MARKETING & MEDIA Redaktion 21.02.2020

Mehr Sensibilität

Der Österreichische Werberat präsentiert die Beschwerdebilanz für 2019 und gibt einen Ausblick auf das laufende Kalenderjahr.

••• Von Nadja Riahi

WIEN. Was sind die Dos und Don’ts in der Werbung? Welche grundsätzlichen und speziellen Verhaltensregeln werden im Leitfaden des ÖWR angeführt? Was steht im Ethik-Kodex geschrieben? Der Österreichische Werberat fördert mittels freiwilliger Selbstbeschränkung das verantwortungsbewusste Handeln der Werbewirtschaft.

Der Jahresbericht des Österreichischen Werberats für 2019 präsentiert „Stopp-Entscheidungen”, die „Top 3”-Beschwerdegründe, die Werbemedien und stellt die Beschwerdeentwicklung im 8-Jahresvergleich vor. Aus gegebenem Anlass bat medianet ÖWR-Präsident Michael Straberger und ÖWR-Geschäftsführerin Andrea Stoidl zum Gespräch.

Stopp oder Sensibilisierung

„Auffällig an der Beschwerdebilanz 2019 ist, dass wir einen deutlichen Anstieg an Stopp-Entscheidungen verzeichnen können. In 22 Fällen sprachen sich die Werberäte für einen Stopp aus – und das bei insgesamt 206 getroffenen Entscheidungen. Im Vergleich zu 2018 gab es in zwölf Fällen Stopp-Entscheidungen – bei insgesamt 194 Fällen”, erklärt Straberger.

In neun Fällen kam es zu Sensibilisierungssprüchen (2018: 16) und 50 Mal wurde mit „Kein Grund zum Einschreiten” (2018: 47) bewertet. Insgesamt gingen 338 Beschwerden beim Österreichischen Werberrat ein.
„Wer sich die Sujets ansieht, die eingereicht wurden, dem wird schnell klar, dass es sich eher um Kleinunternehmen handelt, als um größere Unternehmen und Konzerne. Wir gehen davon aus, dass diese kleinen Unternehmen werblich nicht optimal betreut werden oder das Know-how für eine qualifizierte Kampagne, die eine ethisch-moralische Dimension beinhaltet, nicht vorhanden ist”, so Straberger. „Gleichzeitig ist die Sensibilität quer durchs Land gestiegen. Bei einer von uns durchgeführten Marktforschung vom letzten Jahr wurde deutlich, dass Themen wie Geschlechterdiskriminierung und Gewalt bei der Bevölkerung ein höheres Sensorium haben”, sagt Straberger. Eine Intention des Werberats sei auch, über die Branche hinaus Menschen ein Gefühl dafür zu geben, was qualifizierte Kommunikation ist. Es gibt – dem Report zufolge – nur wenige Unternehmungen, die sich „Stopp-Entscheidungen” stellen mussten, die nicht in die Kategorie Kleinunternehmen fallen.
Einer der größten Aufreger ging jedoch mit der Kampagne eines Konzerns einher: Die Werbemaßnahme von True Fruits mit 29 Entscheidungen, die von Werberäten mit „Stopp” entschieden wurde. Zu weiteren Aufregern zählen die Werbemaßnahme von XXXLutz mit 14 Beschwerden; hier sprach sich das Gremium für eine Sensibilisierung aus, und die Werbemaßnahme von Hornbach mit zwölf Beschwerden, die mit „Kein Grund zum Einschreiten” bewertet wurde.
„Es freut uns außerdem, dass betroffene Unternehmen von sich aus Sujets zurückziehen. Das hat zur Folge, dass kein Beschwerdeverfahren eingeleitet wird. Das zeigt auch, dass die Unternehmen unserem Selbstregulierungssystem mit Respekt gegenübertreten”, sagt Straberger. Es werde immer mehr Unternehmen bewusst, dass ein Beschwerdeverfahren in der Öffentlichkeit einem Produkt oder einer Marke mehr schaden als nützen kann.
„Wir haben die wirksame Durchsetzungskfraft des Österreichischen Werberats vor allem unserem hochkarätigen Entscheidungsgremium, aber auch der Kooperation der österreichischen Medien zu verdanken”, ergänzt ÖWR-Präsident Straberger. Gemeint sind mit dem Gremium die 240 Persönlichkeiten der Werbewirtschaft, die Woche für Woche gemeinsam mit Spezialisten wie Psychologen, Anwälten und Vertretern von NGOs ihre Expertise zur Verfügung stellen.

Unwissen oder Absicht?

Die Top drei Beschwerdegründe waren 2019 „Geschlechterdiskriminierende Werbung” (76 Entscheidungen), „Ethik und Moral” (44) und „Irreführung und Täuschung” (35). „Das landläufig genannte Thema Sexismus in der Werbung betrifft primär kleine Unternehmen, die in diesem Gebiet zu wenig Sensibilität und Wissen besitzen”, so Straberger.

Auf die Frage, ob es sich wirklich immer um Unwissen handelt oder sexistische Sujets von Unternehmen auch bewusst eingesetzt werden, antwortet er: „‚Sex Sells' hat es jahrzehntelang geheißen; dies könnte auch ein Motiv der Unternehmen sein, warum sie sich für geschlechterdiskriminierende Sujets entscheiden. Momentan gibt es da aber gesellschaftspolitisch einen wirklichen Wandel. Meine persönliche Einschätzung ist es, dass es oftmals auch eine Frage des persönlichen Horizonts ist, von den Unternehmen, die werblich aktiv, jedoch nicht gut beraten sind. Auf der anderen Seite steht ein Unternehmen wie True Fruits, das sicher eines der Unternehmen ist, die mit ihren Kampagnenlinien polarisieren wollen”, so Straberger weiter. Für seine Entscheidungen werde der Werberat auch kritisiert. „Wir halten das locker aus, wenn wir von Unternehmen angeschossen werden. Es kann natürlich sein, dass wir auch einmal etwas falsch sehen. Außerdem brauchen wir diesen breiten Diskurs, damit wir die ethisch-moralischen Grundsätze aus unserem Ethik-Kodex auch kommunizieren können”, sagen Straberger und Stoidl.
„Wir sind ein gemeinnütziger Verein ohne ein riesiges Werbebudget. Wir haben Werbepartner, die uns sehr wohl immer wieder unterstützen in der Kommunikation, würden aber auch wahnsinnig gern Informationskampagnen starten”, so die beiden weiter. Das Jahr 2020 bringt für den Werberat Veränderungen: Im April werden das Präsidium sowie der Vorstand des Trägervereins gewählt. Die Mitglieder werden von den ordentlichen Mitgliedern des Trägervereins nominiert und von der Generalversammlung gewählt. Das ÖWR-Entscheidungsgremium und das Gremium der Jungen Werberäte wird im Herbst neu gewählt; der Wahlmodus startet im Sommer. Die Funktionsperiode ist von 2020 bis 2023. Das kommende Jahr steht außerdem im Zeichen der Bewusstseinsbildung, weiters sollen auch Workshops für die Werberäte angeboten werden.

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