ÖFI: Gleichstellung bewegt sich in slow motion
© Österr. Filminstitut
MARKETING & MEDIA Redaktion 08.04.2024

ÖFI: Gleichstellung bewegt sich in slow motion

Der neue Gender Report des Österreichischen Filminstituts (ÖFI) zeigt positive Entwicklungen auf, macht aber auch weiterhin bestehende Probleme sichtbar.

WIEN. „Der Gender Report zeigt sehr anschaulich, wie langsam Maßnahmen zur Förderung von Geschlechteregalität und Diversität greifen", konstatiert Iris Zappe-Heller, stv. ÖFI-Direktorin und Beauftragte für Gender & Diversity, anlässlich der Präsentation des aktuellen Film Gender Reports. "Film ist ein hervorragendes Medium, um gesellschaftliche Veränderungen zu beschleunigen oder zu verhindern. Die Erkenntnisse zum Status quo in Sachen Geschlechtergleichstellung im österreichischen Filmschaffen weisen darum über den Tellerrand der Filmbranche weit hinaus."

Die bereits zum dritten Mal durchgeführte Analyse zu den Geschlechterdifferenzen in der österreichischen Filmbranche zeigt ein ambivalentes Bild. Neben Einblicken in relevante Geschlechteraspekte des aktuellen österreichischen Filmschaffens sowie in Bezug auf die Filmförderung wurden erstmals auch Kinodokumentarfilme hinsichtlich der unterschiedlichen Darstellung von Männern und Frauen untersucht, und die Ergebnisse den Entwicklungen im Kinospielfilm und im Nachwuchsfilm gegenübergestellt. Die markantesten Erkenntnisse:

Nach wie vor zu wenig Kamerafrauen
Eine besondere Rolle bei der Realisierung eines Filmes kommt der Kameraperson zu. Sie ist für die visuelle Umsetzung des Werks verantwortlich, und bei fiktionalen Filmen entsprechend dieser wichtigen Position mit dem höchsten Mindestgagentarif für Filmschaffende ausgestattet. Ein näherer Blick auf die Ursachen des mit 20 % immer noch sehr niedrigen Frauenanteils im Bereich Kamera zeigt: Im Zeitraum von 2012–2021 arbeiteten männliche Kernteams beinahe ausschließlich mit Kameramännern. Aber auch mehrheitlich weibliche Kernteams beschäftigten überwiegend Kameramänner. Nur knapp jede dritte Kameraperson in Filmen mit weiblicher Verantwortung war eine Frau.

Migrantische Hauptfiguren: unterrepräsentiert und häufiger arm
13 % der Hauptfiguren im Kinospielfilmen hatten einen Migrationshintergrund. In der österreichischen Bevölkerung ist der Anteil migrantischer Personen hingegen mit 26 % doppelt so hoch. Überdurchschnittlich häufig stammten die Figuren außerdem aus der Unterschicht.

Reiche und Akademiker überrepräsentiert
Mehr als ein Viertel der Hauptfiguren in Österreichs aktuellen Spielfilmen gehörte der Oberschicht an, ein Anteil mehr als doppelt so hoch wie in der österreichischen Bevölkerung. Beinahe jede zweite Hauptfigur verfügte über ein abgeschlossenes Hochschulstudium – ein Spiegel der eigenen Erfahrungswelten österreichischer Filmemacher?

Dokumentarfilm: Männer erklären die Welt und männliche Lebensrealitäten stehen im Vordergrund
Frauen waren seltener in Dokumentarfilmen Sprecher oder Experten als Männer, nur ein gutes Zehntel der Filme mit einem Kinostart 2012–2021 setzte sich mit weiblichen Lebensrealitäten auseinander. Zwar ist mit 56 % mehr als die Hälfte der Protagonisten aktueller Dokumentarfilme weiblich, doch kamen diese deutlich weniger zu Wort – nur ein gutes Drittel der Gesamtredezeit entfiel auf Frauen. Ein Ungleichgewicht, das sich auch im biografischen Dokumentarfilm niederschlug: Nur jede fünfte Biografie, die 2012–2021 ins Kino kam, setzte Frauen in den Mittelpunkt.

Der TV-Bereich ist weiterhin ein von Männern dominierter Sektor
Es gab kein einziges mehrheitlich weiblich verantwortetes TV-Serienprojekt, das eine Förderungszusage erhielt – nur annähernd jedes 20. TV-Spielfilmprojekt war weiblich verantwortet, das galt auch für jede vierte TV-Dokumentation. Dieses massive Ungleichgewicht im TV-Bereich hat sich seit dem letzten Report nicht verbessert, bei den TV-Spielfilmen mit einem Minus von sechs Prozentpunkten sogar verschlechtert.

"Der österreichische Film ist nach wie vor ein Arbeitsmarkt mit starker Geschlechterdifferenzierung" unterstreicht Paul Scheibelhofer, Assistenz-Professor am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Innsbruck und wissenschaftlicher Leiter des dritten Film Gender Reports. Frauen sind in technischen Stabstellen wie Licht (8%), Ton (14%) oder Kamera (20%) sowie den Kern-Departments Produktion (35%), Drehbuch (41%) und Regie (43%) weiterhin stark unterrepräsentiert. "Gegenüber den Vorjahren 2017–2019 hat sich der Frauenanteil in den meisten Stabstellen jedoch erhöht. Das sogenannte Gender Incentive, eine Frauenfördermaßnahme des Österreichischen Filminstituts, hat diese Entwicklung sicher wesentlich unterstützt", ist Scheibelhofer überzeugt.

Durchwachsene Fortschritte bei den Kinofilmen
Betrachtet man die Kinofilme insgesamt, so stieg der Anteil weiblich verantworteter Filme seit dem letzten Bericht auf etwas mehr als ein Drittel. Von den Kinospielfilmen stammte allerdings nur jeder fünfte Film von mehrheitlich weiblichen Kernteams, in den Jahren zuvor war es noch jeder vierte Spielfilm. Erfreulich hingegen: Fast die Hälfte der Kinodokumentarfilme war von Frauen verantwortet. Hier kam es seit dem letzten Bericht zu einer Verdopplung des Anteils von Filmen mit weiblichem Kernteam.

"Frauen zeigen häufiger unabhängige Frauenfiguren", verweist Birgit Moldaschl BA, ÖFI-Projektverantwortliche für den Film Gender Report, auf einen erfreulichen Nachweis in den weiblich verantworteten Spielfilmen mit einem Kinostart 2012–2021. 58% der Hauptfiguren in diesen Filmen waren Frauen, in männlich verantworteten Filmen waren es lediglich 44%. Acht von zehn weiblich verantworteten Filmen bestanden den Bechdel-Wallace-Test, was nur auf jeden zweiten männlich verantworteten Film zutraf. "Frauenfiguren wurden in Filmen von Frauen nicht nur häufiger repräsentiert, sie sprachen dort vor allem auch weitaus häufiger miteinander über etwas anderes als über einen Mann – im Vergleich zu männlich verantworteten Filmen."

Frauenanteil in der Filmförderung zwar gestiegen, aber mit 33% immer noch zu niedrig
Nur ein Drittel aller in Kino und TV zugesagten Fördermittel ging an Frauen, das ist um ein Viertel mehr als noch in den Jahren 2017–2019. In der Kinoförderung wurde ein Anstieg auf 38% erreicht, im Fernsehen gingen nach einer geringen Steigerung nur etwas mehr als ein Fünftel der Fördermittel an Frauen.

„Wir sehen also: bereits implementierte Maßnahmen wie die Einführung des Gender Incentive bzw. des Gender Budgeting wirken. Trotzdem bleiben aber noch viele Bereiche, in denen Handlungsbedarf besteht!“ betont Iris Zappe-Heller.

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