„Rückenwind sieht definitiv anders aus”
© APA/Georg Hochmuth
MARKETING & MEDIA Redaktion 09.06.2023

„Rückenwind sieht definitiv anders aus”

Von hohen Papierpreisen über das neue Medienpaket bis zur Inflation: Gerald Grünberger, VÖZ, im Interview.

••• Von Dinko Fejzuli

Mit den Papierpreisen fing es an, ging dann mit den Auswirkungen des russischen Angriffs auf die Ukraine weiter – und aktuell geht es vor allem um die Auswirkungen des von der Regierung geplanten neuen Medienpakets, das dem ORF neue, digitale Möglichkeiten bieten soll, um weiter konkurrenzfähig bleiben zu können.

Und genau hier setzt die massive Kritik des VÖZ ein, dessen Vertreter davor warnen, dem ORF die nun geplanten Erleichterungen in vollem Umfang zu genehmigen. Dies würde die Printmedien in ihrer Existenz bedrohen, denn: Zu viel von dem, was dem ORF künftig erlaubt sein soll, betreffe zu sehr das Betätigungsfeld und damit auch die wirtschaftlichen Aktivitäten der österreichischen Verleger und deren Print-Medien.
Anlässlich der Verleihung des Adgar, der Auszeichnung für die besten Printanzeigen des Landes, bat medianet Gerald Grünberger, VÖZ-Geschäfts­führer, um einige Antworten zu genau all diesen Themen-feldern.


medianet:
Herr Grünberger, diese Woche prämierte der VÖZ bei der Adgar-Gala im Wiener Konzerthaus die besten Print- und Onlinewerbungen des vergangenen Jahres.

Abseits dessen gibt es in der Branche eher weniger zu feiern – ob hohe Papierpreise, allgemeine Teuerung, Inflation, die weitere Erosion der Werbeerlöse hin zu den Techgiganten und ein aus Verlegersicht eher unerfreuliches Medienpaket der Bundesregierung. Wie würden Sie die aktuelle Lage beurteilen, und was sind nun die größten Bedrohungen für den heimischen Medienstandort?

Gerald Grünberger: Die Medienbranche hat mit den Auswirkungen der vergangenen Krisenjahre zu tun – Arbeitskräftemangel, Lieferkettenprobleme, steigende oder sehr hohe Preise bei Energie und Papier. Die Inflation – unter welcher die Beschäftigten ebenso leiden – hat auch zu relativ hohen KV-Abschlüssen geführt. Dies vor dem Hintergrund sich zunehmend verlagernder Werbespendings zugunsten der großen Digitalplattformen.

Weil Sie die Politik angesprochen haben: Hier werden bisher leider nicht die richtigen Antworten auf die aktuelle Entwicklung formuliert. Rückenwind sieht definitiv anders aus. Hier braucht es wesentlich entschlossenere medien- und ordnungspolitische Maßnahmen, um den Medienstandort in seiner Vielfalt nachhaltig zu sichern. Ungeachtet dessen werden die Medienunternehmen verlegerischer Herkunft diesen Widrigkeiten begegnen müssen, um ein halbwegs ausgeglichenes Geschäftsjahr abzuliefern.


medianet:
Dann reden wir doch gleich über das geplante Medienpaket und die Lockerungen für den ORF. Ein quasi regelrechtes Feindbild vor allem für die Verleger ist die blaue Seite des ORF. Frage dazu: Würde man hier die Werbemöglichkeiten einschränken, würde dadurch auch ein für die Relevanz des Online-Werbemarkts wesentlicher Player bei den Reichweiten wegfallen?
Grünberger: Die Einschränkung bei der Onlinewerbung des ORF ist faktisch keine. Die Frage ist eigentlich eine andere: Braucht es angesichts der beträchtlichen Werbeeinnahmen des ORF ein gebührenfinanziertes Onlineangebot? Denn hier findet im Verhältnis zu allen anderen österreichischen Marktteilnehmern eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung statt.

medianet:
Apropros Wettbewerb – Sie stoßen sich auch an den neuen, digitalen Möglichkeiten des ORF. Wo ist für den VÖZ die rote Linie, was der ORF tun darf, und was den Print­medien überlassen sein sollte?
Grünberger: Der ORF spielt in unserem dualen Mediensystem als öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt eine wichtige Rolle. Allerdings müssen faire Rahmenbedingungen für alle Marktteilnehmer herrschen. Wir fordern daher eine grundlegende Reform des ORF-Gesetzes inklusive Neuformulierung des öffentlich-rechtlichen Auftrags: Der Kern ist die klare Fokussierung des ORF auf seinen öffentlich-rechtlichen Auftrag. Das bedeutet konkret, dass er sendungsbegleitenden audio- und audiovisuellen Content auf der blauen Seite zur Verfügung stellen darf, aber kein zeitungsähnliches Angebot – so wie es heute bereits im Gesetz verankert ist – anbieten darf.

medianet: ‚Zeitungsähnlich' ist ein schönes Stichwort – vor wenigen Tagen hat in diesem Zusammenhang der VÖZ eine ‚Zeitung' drucken lassen mit den Meldungen eines Tages, die auf ORF.at publiziert wurden, um die Menge des Contents zu zeigen, den der ORF hier produziert. Frage dazu: Waren das wirklich nur Meldungen von genau einem Tag oder auch Dinge, die mehrere Tage online waren, und ist es nicht etwas anachronistisch, ein Printmedium zu publizieren, um zu demonstrieren, wo der ORF die heimischen Printmedien im Jahr 2023 bedroht; sprich, warum dieser Fokus auf Print?
Grünberger: Bei den Artikeln handelte es sich um die redaktionelle Berichterstattung der Seite ‚ORF.at im Überblick' bzw. das Submenü ‚Aktuell' an einem durchschnittlich ereignisreichen Tag.

Uns ging es darum, auch den politisch Verantwortlichen die ‚Tageszeitungsähnlichkeit' von ORF.at eindrücklich und haptisch vor Augen zu führen: Der ORF als größtes Medienunternehmen Österreichs produziert faktisch auch eine der größten elektronischen Tageszeitungen des Landes – obwohl im ORF-Gesetz bereits heute festgeschrieben ist, dass die Berichterstattung des ORF nicht vertiefend und ihre Gesamtaufmachung und -gestaltung nicht mit dem Onlineangebot von Tages- oder Wochenzeitungen sowie Monatszeitschriften oder Magazinen vergleichbar sein darf.


medianet:
Und zur Frage nach dem Fokus Print?
Grünberger: Es geht hier selbstverständlich auch um die digitale Transformation der privaten Medien verlegerischer Herkunft, die durch die übermächtige Position des ORF im Markt eindeutig gehemmt wird. Denn solange ein Produkt vermeintlich kostenlos zur Verfügung steht, ist das eine ernsthafte Bedrohung für die Entwicklungsmöglichkeiten der österreichischen Zeitungen und Magazine in Bezug auf die Transformation des erfolgreichen Abomodells.

medianet:
Eine ketzerische Frage noch – die Verleger beklagen, dass der ORF abseits seiner TV- und Radio-Programme vor allem online zu zeitungsähnlich sei. Könnte man nicht umgekehrt sagen, dass die Printmedien mit ihren immer mehr werdenden TV-Angeboten nicht auch – aus verständlichen Gründen – ihr angestammtes Terrain verlassen, damit aber auch immer TV-ähnlicher werden? Wo ist hier der Unterschied?
Grünberger: Zweifelsohne haben alle Plattformen Bewegtbild-inhalte, aber die Onlineangebote der Zeitungen und Magazine haben ihren Schwerpunkt beim Text – das ist das Kerngeschäft, dafür zahlen Leserinnen und Leser. Im Gegensatz zum ORF – dessen Kerngeschäft liegt bei audio- und audiovisuellem Content, für das er künftig 710 Mio. Euro an öffentlichen Beihilfen kassiert. Das ist der elementare und schmerzhafte Unterschied und rechtfertigt gemäß EU-Recht auch die notwendigen Einschränkungen. Das hat nichts mit Ketzerei zu tun, sondern mit fairem Wettbewerb.

medianet:
Frage zum Schluss – nach langjährigen Diskussionen wird nun die Finanzierung des ORF auf eine Haushaltsabgabe umgestellt. Eine aus Sicht des VÖZ gute Lösung?
Grünberger: Grundsätzlich ist die Haushaltsabgabe unter vielen schlechten Lösungen noch der beste Weg, weil sie in vielen europäischen Ländern bereits gelebte Praxis ist und damit eine gewisse ‚Staatsferne' gewahrt wird. Problematisch ist bei der aktuell geplanten Ausgestaltung, dass viele Haushalte und Unternehmen zur Kasse gebeten werden, die bisher nicht zahlungspflichtig waren. Dadurch wird der ORF erhebliche Mehreinnahmen lukrieren können, die die bestehende Marktverzerrung verschärfen. Darüber hinaus bekommt der ORF durch zusätzliche Steuermittel seitens der Republik – in den nächsten vier Jahren 330 Mio. Euro – noch mehr Bewegungsspielraum zulasten des privaten Marktes. Üblicherweise wird der Finanzrahmen beim Sparen geringer – zumindest bei privaten Medienunternehmen, nicht so beim ORF.

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