„Shopping Kids” und die digitale Pubertät
© IP Österreich/Mila Zytka
Vortragende Anna Rynkowski, Christian Sattler, Claude Schmit, Jöran Muuß-Mehrholz, Walter Zinggl, Paul Schulze Niehues und Simone Ratasich bei der IP Kinderwelten Fachtagung.
MARKETING & MEDIA Laura Schott 07.06.2019

„Shopping Kids” und die digitale Pubertät

IP präsentierte bei der „Kinderwelten Fachtagung” neueste Erkenntnisse rund um die Mediennutzung von Kindern.

••• Von Laura Schott

Lineares Fernsehen liegt bei Kindern immer noch hoch im Kurs, TV-Werbung hat großen Einfluss auf ihr Einkaufsverhalten, und Unternehmen stehen vor der Herausforderung, die Bedürfnisse von Kindern immer früher antizipieren zu müssen.

Diese und viele weitere Erkenntnisse lieferte die Kinderwelten Fachtagung, die vergangenen Mittwoch zum achten Mal von IP Österreich und Super RTL veranstaltet wurde, um die neuesten Ergebnisse und Analysen rund um die Mediennutzung von Kindern zu präsentieren.

Die „digitale Pubertät”

Dabei zäumte man das Pferd dieses Jahr von hinten auf, denn nach der Begrüßung durch IP Österreich-Geschäftsführer Walter Zinggl machte Diplom-Pädagoge Jöran Muuß-Merholz den Zuhörern klar, dass die Erwachsenen im Umgang mit digitalen Medien selbst noch Kinder sind: „Eigentlich sind wir alle in einer digitalen Pubertät”, lautet seine These.

Sie lesen WhatsApp-Nachrichten nur in der Übersicht, damit sie beim Sender nicht als „gelesen” angezeigt werden? Sie sind schon einmal fast überfahren worden, weil sie den Blick anstatt auf den Weg nur auf Ihr Smartphone gerichtet haben? Sie tippen auf Bildschirmen herum, die gar keine Touchscreens sind? Willkommen in der digitalen Pubertät – denn erwachsen ist dieses Verhalten bestimmt noch nicht. Macht nichts, sagt Muuß-Merholz. Wir befinden uns schlicht und einfach noch am Anfang eines langen Lernprozesses im Umgang mit digitalen Medien.
Doch wie sieht die Mediennutzung nun bei den „echten” Kindern aus? Darüber gibt die Studie „Touchpoints Kids” Auskunft, die von IP in Form einer Smartphone-Tagebuchstudie durchgeführt wurde: Über drei Tage hinweg wurden Kinder im Alter von acht bis dreizehn Jahren im Halbstundenrhythmus zu Aktivitäten, Aufenthaltsorten und Umfeld befragt, um ihre Mediennutzung im Tagesablauf möglichst genau erfassen zu können.

TV beliebtestes Medium

Die Ergebnisse der Studie räumen mit so manchem Vorurteil über die kindliche Mediennutzung auf. Das mit großem Abstand wichtigste Medium bleibt für Kinder der Big Screen, also der große TV-Bildschirm: 93% nutzten im Befragungszeitraum ein TV-Gerät. An zweiter Stelle folgen mit 75% Bücher und ­Magazine – durchschnittlich lasen die Kinder 35 min pro Tag.

Erst nach den rein auditiven Medien (71%) folgen das Smartphone mit 48% und der Computer mit 34%. Nur 11% der Kinder nutzten im gleichen Zeitraum ein Tablet. Trotz einer Vielzahl an digitalen Unterhaltungsangeboten sind analoge Medien – nach dem Fernseher – bei Kindern also immer noch sehr beliebt.
Das TV-Gerät wird dabei im Durchschnitt 66 min genutzt, 54 min davon entfallen auf lineares Fernsehen. 93% jener Kinder, die ein TV-Gerät genutzt haben, taten dies auch exklusiv, also ohne Parallelnutzung anderer Devices. Second-Screening ist bei Kindern also noch nicht von großem Interesse. Streaming-Anbieter wie Amazon Prime oder Netflix stellen in der TV-Gerätnutzung der Kindern nur 7%, Videoplatt­formen wie YouTube sogar nur 2%.
Betrachtet man die Summe der Videonutzung über alle kleinen und großen Screens hinweg, entfallen auf das lineare Fernsehen 74% (8- bis 10-Jährige) bzw. 67% (11- bis 13-Jährige) der Videokontakte. YouTube-Kontakte machen in der jüngeren Zielgruppe 13% aus, bei den älteren 16%.
YouTube stellt für Kinder jedoch keinen Ersatz für TV dar, sondern eine Ergänzung: Gerade einmal 4% der Kinder hatten im Befragungszeitraum keinen TV-Kontakt, dafür aber einen YouTube-Kontakt. Die meisten YouTube-Nutzer sind also auch über TV erreichbar.

Wunschfabrik Fernsehen

IP hat sich in den vergangenen Monaten außerdem mit dem Einkaufsverhalten von Kindern befasst und damit, wie dieses von deren TV-Nutzung beeinflusst wird. Im Zuge der Studie kristallisierten sich vier Einkäufertypen mit unterschiedlichen Verhaltensmustern heraus, die jedoch eines verbindet: eine äußerst aktive Rolle der Kinder beim Einkaufsprozess, wobei der Einfluss stärker bei der Produktwahl als beim Einkaufsort ausgeprägt ist.

TV dient dabei einerseits als Informationsquelle – es ist das wichtigste Informationsmedium für Kinder, noch vor Prospekten und Informationen aus dem Internet. Andererseits hat TV-Werbung auch großen Einfluss auf die Wünsche der Kinder: 41% der Kinder bitten ihre Eltern zumindest einmal im Monat um Produkte aus der TV-Werbung, 12% tun dies mindestens einmal pro Woche und 11% sogar täglich. Dabei gilt: Je höher der TV-Konsum, desto stärker der Wunsch nach Produkten aus der TV-Werbung. Diese beiden Faktoren resultieren in einen direkten Einfluss von TV-Werbung auf den Produktkauf, der bei Spielwaren mit 75% am höchsten ist.

Was war nochmal die Frage?

Mit seinem Vortrag „Kante zeigen!” rundete Paul Schulze Niehues von der Strategieagentur different die Kinderwelten Fachtagung ab. Unternehmen, die Kinder nicht nur ansprechen, sondern diese auch auf lange Sicht als Kunden behalten wollen, kommen nicht umhin, sich mit digitalen Möglichkeiten auseinanderzusetzen. Schulze Niehues warnt jedoch davor, sich in Bereichen zu verlaufen, in denen man sich noch nicht zurechtfindet: „Technologie ist die Antwort – so viel steht fest. Aber wir dürfen dabei nicht vergessen, was eigentlich die Frage war.”

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