„Starten in ein neues Streaming-Zeitalter”
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MARKETING & MEDIA Redaktion 24.05.2024

„Starten in ein neues Streaming-Zeitalter”

Der ORF hat die neue Plattform ORF On enthüllt. Eva Reiter-Kluger über Entstehung und Ausbaupläne.

••• Von Chris Radda und Georg Sohler

Seit 2013 leitet Eva Reiter-Kluger die ORF-TVthek, jetzt verantwortet sie auch die neue Streaming-Plattform ORF On. Sie setzt nun das um, was das neue ORF-Gesetz ermöglicht – modernes Streaming. Reiter-Kluger hat Publizistik sowie Theaterwissenschaft, Film- und Medienwissenschaft studiert und macht aktuell eine Ausbildung zur Psychotherapeutin – ein großer Erfahrungsschatz also. Ein breites Angebot bietet nun auch ORF On.

Im Rahmen des media­dome-pressclub gab sie anlässlich des Starts von ORF On (am Mittwoch dieser Woche) im Gespräch mit medianet-Herausgeber Chris Radda Einblicke in die Implementierung und Umsetzung der Plattform. Darüber hinaus erzählt sie, was es zu Beginn alles zu sehen gibt – und was noch kommen wird.

medianet: Das neue ORF-Gesetz ermöglicht vieles, aber eben nicht alles. Wichtig ist, dass man insbesondere der jüngeren Generation ein Angebot macht; die schaut Bewegtbild oft nur noch per Streaming. Was ist der strategische Ansatz des ORF?
Eva Reiter-Kluger: Die Digitalnovelle ist für uns ein Meilenstein, gerade für meinen Bereich. Dadurch haben wir Möglichkeiten, die wir uns lange gewünscht haben, und können in ein neues Streaming-Zeitalter starten. Den Beitragszahlern können wir den Content länger zur Verfügung stellen – und das auf einer gut gelungenen, zeitgemäßen Plattform. Auch wenn es eine riesige Herausforderung war.

medianet:
Langfristig wird es ohne Streaming ohnehin nicht gehen …
Reiter-Kluger: Es ist ein Must-have und gekommen, um zu bleiben.

medianet: Das Gesetz ist durchaus komplex, keine österreichische ‚Hudelei'. Es gibt viele Begrenzungen hinsichtlich dessen, was möglich ist und was nicht. Manche Inhalte darf man jetzt früher ausspielen …
Reiter-Kluger: Es ist erlaubt, bis zu 24 Stunden vorher auszuspielen, wir machen das etwa bei ‚Dok 1' oder Serien. Da kann man dann die aktuelle und nächste Folge abrufen. Auch das Streaming-Highlight ‚Willkommen Österreich' ist mindestens zwei Stunden früher abrufbar. Wir wollen den Usern diese Goodies anbieten, weil sie vieles mittlerweile gewohnt sind.

medianet: Online-only hingegen ist verboten.
Reiter-Kluger: Dafür braucht es eine Auftragsvorprüfung. Es gibt Überlegungen, in welchem Bereich wir das machen wollen, etwa bei Nachrichten oder im Kulturbereich. Wir bemühen uns, Programminnovationen schneller an das Publikum bringen zu können und unabhängiger vom linearen Programm zu werden.

medianet:
Im Kinderbereich ist es schon möglich.
Reiter-Kluger: ‚ORF Kids' ist noch im Universum der Plattform, aber wir erarbeiten im Projektteam, dass die Inhalte in einem geschützten Bereich angesehen werden können.

medianet:
Was war eigentlich die Rekordreichweite der bisherigen TVthek?
Reiter-Kluger: Der erfolgreichste Livestream war das Elfmeterschießen beim Finale der Fußballeuropameisterschaft 2020 zwischen Italien und England. Die Durchschnittsreichweite betrug knapp 150.000. Sehr beliebt sind Klassiker wie ‚Willkommen Österreich', ‚ZiB1' und ‚ZiB2' oder der ‚Tatort'.

medianet:
Was ist neu im Vergleich zur größten Streamingplattform Österreichs, der TVthek? Was erwartet uns?
Reiter-Kluger: Die alte TVthek hat das Optimum im bisherigen Rahmen herausgeholt. Abgesehen vom Aussehen der Plattform und der Usability, ist es die Dauer, wie lange der Inhalt verfügbar ist. Wir wurden oft gefragt, warum das nicht möglich war; nun können wir beispielsweise Nachrichten 30 Tage online lassen. Die Menschen schauen beispielsweise die ‚ZiB2'-Interviews erst später. Filme oder Serien, für die wir die Lizenzrechte haben, sowie Unterhaltung, Comedy, Kabarett, können wir sechs Monate lang anbieten, Dokumentationen und das Kinderprogramm sogar unbefristet.

Jetzt haben wir auch deutlich mehr Content. Wir haben mit Netflix, Amazon Prime und Co. riesige Konkurrenz. Ich verstehe, dass diese viele Menschen anziehen. Aber was uns ausmacht, ist der öffentlich-rechtliche Auftrag, wir produzieren auch österreichische Filme mit österreichischen Partnern. Zudem sind wir in den Regionen, und Regionalität schafft Nähe.

medianet: Dazu kommen noch die Angebote etwa aus den Bereichen Sport und Kultur.
Reiter-Kluger: Die Sportereignisse werden stark genutzt, wir stehen ja wieder vor einer Europameisterschaft. Das Kulturangebot mit beispielsweise dem Festspielsommer oder dem Neujahrskonzert sind ebenfalls Streaminghighlights. Alles weitere können wir auch anders kuratieren. Wir sehen aber auch noch Luft nach oben. Der Start ist nur der Anfang, und es wird noch viele Neuerungen hinsichtlich Programm und Technologie geben.

medianet:
Der Medienmarkt ist privat und öffentlich-rechtlich. 60 Prozent der heimischen Werbegelder gehen an die erwähnten großen Plattformen. Nun gibt es auch mehr Werbemöglichkeiten …
Reiter-Kluger: Die TVthek war jahrelang ausgebucht. Es gibt aber Richtlinien, an die wir uns halten müssen. Bei Nachrichten, dem Kinderprogramm und bei Archiven ist keine Pre-Roll-Werbung erlaubt. Generell könnten wir alle zehn Minuten Werbung ausspielen, aber keine Unterbrecherwerbung.

medianet: Es gibt aber nicht nur internationalen Wettbewerb. Die ProSiebenSat.1 Puls 4-Gruppe hat bekanntlich Joyn gegründet, die Plattform entwickelt sich gut. Welche Ziele gibt es für ORF On?
Reiter-Kluger: Wir wollen jene User halten, die wir haben und dazu neue, junge Zielgruppen sowie Junggebliebene ansprechen. Es streamen ja auch Menschen 50 plus. Es soll allen ein spezielles Angebot gemacht werden.

medianet:
Der Gesetzgeber gibt mehr Geld – im langfristigen Vergleich zu etwa vor 15 Jahren sind die Werbeeinnahmen aber zurückgegangen.
Reiter-Kluger: Es tut sich in diesem Bereich sehr viel. Wir können uns in einem Rahmen bewegen, den wir gut ausschöpfen wollen. Ich möchte auch noch klarstellen, dass wir für die duale Finanzierung sehr dankbar sind, weil sie die größtmögliche finanzielle und redaktionelle Unabhängigkeit garantiert. Der ORF-Beitrag ist für alle zu entrichten, somit wird es für jeden einzelnen günstiger – und gleichzeitig bekommt man deutlich mehr geboten.

medianet:
Es wäre schade, wenn man die vielen tagtäglich produzierten Inhalte nur ein Mal zeigen dürfte. Es gibt dabei so viele Schätze …
Reiter-Kluger: Das Archiv ist meine persönliche Herzensangelegenheit. Es gab bislang schon Zeit- und Kulturgeschichtearchive. Aber wir können sie nun auch bei aktuellen Ereignissen zusammenstellen, etwa zu Jahrestagen der Ersten und Zweiten Republik, zur EU- und Nationalratswahl. Wir können alles in einen zeitlichen Kontext stellen – man sieht, wie damals berichtet wurde. Möglich sind zudem Themenarchive. Es gibt also viele neue Möglichkeiten, diese Schätze zur Verfügung zu stellen.

Das gesamte Interview sehen Sie auf: tv.medianet.at

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