Trau, schau, wem?
MARKETING & MEDIA Redaktion 08.06.2018

Trau, schau, wem?

Seit der Hausverstand vorrangig Lebenmittel bewirbt, büßt er manche Kompetenzen ein.

Leitartikel ••• Von Sabine Bretschneider

BERATUNGSRESISTENZ. „Algorithm Appreciation: People Prefer Algorithmic To Human Judgment”, heißt ein aktuelles Forschungspapier der Harvard Business School. Kurz: Menschen halten maschinell produzierte Ratschläge inzwischen für sinnhafter als solche von Freunden und Bekannten. Sogar beim Urteil hinsichtlich der Attraktivität einer Person bekommen algorithmische Berechnungen inzwischen einen Vertrauensvorschuss menschlichen Meinungsbildnern gegenüber. Getestet wurde, indem man den Probanden eine Zweitmeinung zu diversen Einschätzungen zur Verfügung stellte. Allerdings wurde ein und derselbe Rat einmal als Hinweis eines Menschen, einmal als jener einer Maschine bezeichnet. Maschine siegte.

Aber ist das überhaupt verwunderlich? Wenn Sie wissen wollen, wie das Wetter wird, fragen Sie dann den Nachbarn mit dem luftdrucksensiblen Titankniegelenk oder die erstbeste Handy-App? Und: Sollten Sie überhaupt je wieder menschlichem Rat vertrauen, wenn Sie etwa wissen, dass 60 Prozent Ihrer Mitbürger von der Tätigkeit von Schutzengeln überzeugt sind, die Hälfte an ein Leben nach dem Tod glaubt, aber nur 39 Prozent an eine unsterbliche Seele – und dementsprechend zwei Prozent an Zombies?
Die einzigen, so wird in der Studie hervorgehoben, die weniger auf algorithmische Beratung vertrauen, sind Fachleute, Experten, die regelmäßig Prognosen abgeben. Daraus dürfen wir ableiten, dass im Land der acht Millionen Teamchefs zumindest die Anbieter von Fußballwetten in nächster Zukunft keine Angst haben müssen, dass ihr Business einbricht, weil allzu viele Zocker sich Ratschläge seitens ausgeklügelter Software holen.

Im Rahmen der derzeit laufenden Medienenquete kritisierte Springer-Chef Mathias Döpfner die derzeit vorliegenden E-Privacy-Pläne als „Treppenwitz der Geschichte”. Anstatt die Daten der User zu schützen, würden diese im Endeffekt „die amerikanischen Monopole noch stärker machen”. Dies sei als Beispiel für durchaus sinnstiftende menschliche Einschätzungen angeführt.

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