Wie sinnlich ist das ­Internet wirklich?
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MARKETING & MEDIA Markus Ruf 17.11.2017

Wie sinnlich ist das ­Internet wirklich?

Auch wenn wir die Welt zu 94% audiovisuell wahrnehmen – olfaktorische, haptische und gustatorische Eindrücke kann auch das Web nicht vermitteln.

Gastbeitrag ••• Von Markus Ruf

Derzeit stechen im Marketing zwei Trends hervor, die sich augenscheinlich widersprechen: Zum einen gewinnt die multisensorische Erlebnisvermittlung an Bedeutung, bei der die visuelle Reizüberflutung durch das Ansprechen aller Sinne umgangen werden soll. Zum anderen krempelt die digitale Revolution die gesamte Kommunikationsbranche um. Online-Marketing beschränkt sich allerdings zwangsläufig auf Bild, Text und Sound. Duft, Geschmack und Haptik bleiben auf der Strecke. Das Internet kann also dem Anspruch der Multisensorik nicht gerecht werden.

Optische Wahrnehmung

Die fehlende Möglichkeit, alle Sinne einzusetzen, hinterlässt eine „emotionale Lücke”, wie es Peter Vitouch formuliert. Die Frage ist nun, wie im Marketing diese Lücke geschlossen und die widersprechenden Trends versöhnt werden können.

Auf den ersten Blick mag es verlockend sein, die Bedeutung der Multisensorik prinzipiell ­herunterzuspielen.
Oft zitierte Zahlen legen nahe, dass wir die Außenwelt zu 83% optisch und zu 11% akustisch wahrnehmen. Das heißt, das Internet deckt 94% ab, sodass olfaktorische, haptische und gustatorische Eindrucke zu vernachlässigen sind. Der Schein trügt allerdings, wenn das sogenannte Multisensory Enhancement berücksichtigt wird. Das Phänomen besagt, dass unser Gehirn viel stärker auf Dinge, Ereignisse und letztlich auch Marken reagiert, wenn diese mit allen Sinnen erlebt werden.

Wesentliche Eindrücke fehlen

Neurowissenschaftler gehen von einer zehnfachen Verstärkung der Wirkung aus, die den vermeintlichen 94%-Vorsprung schnell wettmacht.

Die Frage, wie die sensorische Lücke ausgeglichen werden kann, hat also ihre Berechtigung.

Duftende Endgeräte

Versuche, mit den Endgeräten die Sinne anzusprechen, stecken derzeit noch in den Kinderschuhen. So wurde zum Beispiel ein „oPhone” entwickelt, das beim Empfänger mittels auswechselbarer Patronen Düfte erzeugt. Aufwand und Wirkung klaffen dabei aber noch sehr weit auseinander, Marktreife ist nicht in Sicht. Das Gleiche gilt für Spielereien wie den „electronic lollipop”, der mit elektronischen Signalen die Geschmacksrezeptoren der Zunge stimuliert.

Weitaus realistischer ist es, die Sinne über die Psyche zu aktivieren. Bekanntlich können mit Bildern Gefühle geweckt werden, die weit über die Optik im eigentlichen Sinne hinausgehen. Beim Kalt-warm-Farbkontrast kann ein kühles Blau, umgeben von der warmen Farbe Rot, den Eindruck von Kühle vermitteln. In der Getränkewerbung werden gern Close-ups auf perlende Tropfen gezeigt, um das Bedürfnis nach Erfrischung zu erzeugen.
Diese Tricks machen das Markenerlebnis zwar nicht wirklich multisensorisch, sind aber durchaus sinnvoll. Nebenbei bemerkt, wurden sie natürlich schon vor dem Internet in Print und TV angewandt.

Influencer als Vermittler

Besonders Erfolg versprechend ist das Integrieren von Personen in die Kommunikation. Kunden identifizieren sich mit Vorbildern. Schon allein die Mimik löst Emotionen aus, wie Herbst und Musolik betonen. Im Internet hat sich Influencer-Marketing bestens bewährt. Manche der Produkt-Tester sind zu regelrechten YouTube-Stars aufgestiegen. Das Geheimnis ihres Erfolgs dürfte es sein, dass sie die erwähnte Lücke zumindest teilweise, etwa im Bereich der Haptik, schließen.

Ein Beispiel: Wer im Internet ein elektronisches Gerät kaufen möchte, bekommt zahlreiche Bilder geboten und Features vorgestellt. Er kann das Produkt aber nicht angreifen und daher nur schwer einschätzen, wie gut es verarbeitet ist und wie einfach es sich anwenden lässt. Influencer nehmen diesen Part für uns ab – und das Produkt in die Hand.
Sind Influencer nicht nur „Lückenbüßer”? Die Antwort lautet ja. Auch wenn wir das Internet noch so sinnlich machen – der sensorische Mangel lässt sich nicht vollständig ausgleichen. Letztlich sind Marken daher gut beraten, nach wie vor auf handfeste Markenerlebnisse zu setzen. Das bedeutet nicht, die Bedeutung der Online-Welt zu ignorieren – im Gegenteil. A und O ist es vielmehr, die digitalen und analogen Markenerlebnisse miteinander zu verbinden.
Gute Beispiele dafür gibt es genug. So macht Apple seine Produktphilosophie zum räumlichen Erlebnis; die Innenarchitektur der Apple-Stores besticht mit der gleichen Klarheit wie ein iPhone.
Jack Wolfskin inszeniert Outdoor-Erlebnis nicht nur online, sondern setzt sie auch analog um und lädt zu einem Camp ein, das schroffe Felsen und Lagerfeuerduft in Aussicht stellt.
Streng genommen werden Duft, Haptik und Geschmack dabei nur aus dem Internet „ausgelagert”. Das heißt, die Erlebnisse finden zeitlich und örtlich getrennt statt. Zuerst hat der User vor dem Bildschirm einen visuellen und vielleicht noch akustischen Kontakt. Erst beim Event kommt es dann zur multisensorischen Vervollständigung. Die einheitliche Markenerlebniswelt gibt den verschiedenen Eindrücken aber eine Klammer und schafft somit ein stimmiges Ganzes.

Positionierung als Basis

Was bedeutet das nun für die ­Arbeit an der Marke? Zunächst gilt es, die Marke klar zu positionieren und passend dazu eine Erlebniswelt zu entwickeln. Davon werden dann alle Maßnahmen, analog und digital, abgeleitet.

Wenn Nespresso für Verführung steht, beeinflusst dies sowohl die Wahl des Testimonials, George Clooney, als auch die Themen auf Facebook und die Einrichtung der Nespresso-Cafés.
In den Lokalen der Marke umschmeichelt der verführerische Duft, der auf dem Bildschirm nur beschworen werden kann, tatsächlich die Nasen der Gäste.
Art-Direktoren sind gut beraten, sich auf die Positionierung zu beziehen und erwähnte Tricks wie Farbkontraste anzuwenden. Wer dann noch einen glaubwürdigen Influencer zur Hand hat, ist dem Ziel schon sehr nahe – sein Online-Auftritt hat einen Fuß im „echten” Leben. Das Markenerlebnis wird durch alle Sinne gespeist. Sensorik und ­Internet sind im Ergebnis kein Widerspruch mehr.

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