Zu woke, um zu lachen?
© APA/Herbert Neubauer
Ausloten Selbst die Bestattung Wien traut sich drüber und propagierte einmal den Slogan „Ich turne bis zur Urne”.
MARKETING & MEDIA Redaktion 22.09.2023

Zu woke, um zu lachen?

Es fehlt an Humor, auch in der Markenwelt; selbst bei ernsten Themen, so der Arzt, Keynote-Speaker und Mitbegründer der Cliniclowns, Roman Szeliga.

Gastkommentar ••• Von Roman Szeliga

WIEN. Haben Sie schon einmal über einen Beipackzettel gelacht? Vermutlich nicht. Als Arzt finde ich das sehr schade. Es fehlt im Leben sowieso an allen Ecken an Humor. Gerade wenn ich mich unwohl fühle, will ich aufgeheitert werden und mich nicht durch langweilige Beschreibungen lesen. Aber wie weit darf Humor heute gehen? Dürfen wir uns über ernste Themen amüsieren? Oder sind wir mittlerweile zu woke, um zu lachen? Meiner Meinung nach braucht es in der Werbung wieder mehr Humor.

Wissenschaftlich belegt

Studien beweisen, dass Lachen in Verbindung mit einer besseren Merkfähigkeit steht. Die Glücksgefühle, die wir beim Lachen ausschütten, werden direkt auf die Marke bezogen bzw. mit ihr in Verbindung gebracht.

Gerade in der komplexen Welt, in der wir heute leben, muss unser Gehirn ständig Überstunden schieben, um mit den nicht nachvollziehbaren Unstimmigkeiten fertig zu werden. Mit einem coolen, witzigen Spot holen wir das Gehirn aus diesem erzwungen Dornröschenschlaf und es bekommt sofort durchgefunkt: „Aufpassen, das hier ist anders – hier darf gelacht werden!”
Der unerwartete Moment führt zu einer Entspannung und augenblicklich zu einem Wohlgefühl. Anders gesagt, je höher die Fallhöhe von der Erwartungshaltung zum Unerwarteten, desto größer der positive Effekt auf die Marke. Das liegt unter Umständen auch daran, dass die meisten Menschen einfach gerne lachen. Das gilt natürlich nicht nur für klassische Werbung, sondern für alle Touchpoints, bei denen wir Marken begegnen. Humor ist vor allem auch bei Veranstaltungen, Kongressen und Events gefragt, wo die gemeinsame Zeit zur Freuzeit wird.

Humor darf nicht verletzen

Humor geht mit der Zeit und kommt mit der Zeit. Wir entwickeln uns als Gesellschaft weiter, unsere Einstellungen und Werte verändern sich. Worüber wir vor 20 Jahren gelacht haben, kann heute unangebracht sein. Und eines darf Humor nicht: verletzen. Wenn wir Humor als Stilmittel einsetzen, müssen wir sensibel damit umgeben. Ja, wir dürfen ernste Themen enttabuisieren. Die Bestattung Wien sagt, „Ich turne bis zur Urne.”

Das ist lustig und ein Großteil der Menschen versteht die Überzeichnung und kann darüber lachen. Gegenanzeige hingegen bei Sarkasmus und Zynismus. Diese haben in der Werbung keinen Platz und bekommen die Rote Karte. Genauso wie herabsetzende Witze oder Beleidigungen.

Sensibilität zählt

Wir sind keineswegs zu woke, um zu lachen. Im Gegenteil. Dadurch, dass wir sensibler sind, mehr aufeinander achten, können wir erst recht lachen. Nicht übereinander, sondern gemeinsam und aus vollem Herzen.

Roman Szeliga ist Arzt und Mitbegründer der Cliniclowns, seit über 20 Jahren Humorexperte und Top-Keynote-Speaker.

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