Zwischen Kampfgeist und Enttäuschung
© Martina Draper
Hannes Wuchterl
MARKETING & MEDIA Redaktion 31.03.2023

Zwischen Kampfgeist und Enttäuschung

Hannes Wuchterl will mit Nah&Frisch die Nahversorgung retten, braucht dafür aber mehr politischen Rückhalt.

••• Von Oliver Jonke und Georg Sander

Die Rahmenbedingungen für Nahversorger waren schon einfacher. Kostensteigerungen, Personalknappheit oder ein neues, noch nicht im Detail bekanntes Pfandsystem stellen den Lebensmitteleinzelhandel vor Herausforderungen. Aber einen Nahversorger zu haben, das ist nicht nur wegen der Klimakrise wichtig. Es geht um das Überleben der Ortskerne, kurz gefasst: Es geht um Lebensqualität. Leider wird das vielen Menschen erst bewusst, wenn sie einmal nicht mehr da ist – und das droht heute im schlimmsten Fall sogar Hunderten Ortschaften österreichweit.

Nah&Frisch stellt seit vier Jahrzehnten einen wesentlichen Eckpfeiler in der österreichischen Nahversorgerlandschaft dar, hat also eine Schlüsselrolle, um den multiplen Herausforderungen unserer Zeit Herr zu werden.

Im retail.conversations-Interview mit medianet-Herausgeber Oliver Jonke geht Nah&Frisch-Geschäftsführer Hannes Wuchterl auf die aktuelle Situation ein. Es geht ihm um ein schonungsloses Ansprechen der Probleme, auch gegenüber der Politik – aber auch um nachhaltige Lösungen für die Ortskerne, etwa durch engagierte Bürgermeister.

Der Rückblick

„Über die 40 Jahre kann man einen Bogen spannen”, teilt Hannes Wuchterl seine Beobachtungen mit, „mir fallen drei Entwicklungen ein.” Das erste ist die Konzentration im heimischen LEH. 85% des Marktes werden laut ihm von einer Handvoll Unternehmen bespielt. Zweitens gibt es einen rasanten Anstieg bei den Diskontern. Wuchterl illustriert beides wertfrei, aber die dritte Beobachtung sieht er negativ: „Im Zuge der Raumordnung sind in kleinen und kleinsten Ortschaften die Nahversorger raus aus der Stadt an Kreisverkehre gewandert.” Das führe in vielen Bereichen dazu, dass die Ortskerne dramatisch betroffen waren und sich das Angebot verschlechtert habe: „Es gibt nun leider viele leere Marktplätze in den Städten.”

Das Jahr 2022 hat dabei mit der Energiekrise nicht unbedingt geholfen. Immerhin: Die zwei Jahre davor mit Corona, Lockdowns und Co. waren für den LEH „gute Jahre. Es gab wirtschaftlich passable Erfolge”. Man schaue derzeit aber gar nicht so sehr auf den Umsatz, hierbei gab es für die Nah&Frisch-Kaufleute im Schnitt ein Plus von fünf Prozent. Dem gegenüber steht aber die enorme Teuerung in allen Bereichen – von den Lebensmitteln, über Personal- bis hin zu Energiekosten: „Wir müssen davon ausgehen, dass wir viele Effekte, die wir 2022 gesehen haben, auch dieses Jahr sehen werden.” Schließlich hätte das eine oder andere Geschäft angesichts dessen bereits zugesperrt.

Die Ziele

Für 2023 bedeutet das nun, dass man jenen, die grundsätzlich gute Umsätze haben, zusätzlich helfen wolle. Das gehe aber keinesfalls alleine, es brauche dazu politische Unterstützung auf allen Ebenen – vom Bund abwärts bis rein in die Gemeinden.

Ob er mit den bisherigen Hilfen zufrieden ist? „Ich kann es nicht anders sagen: Ich bin zutiefst enttäuscht, dass vielen Ankündigungen bisher viel zu wenig Taten folgen. Wir werden vertröstet, vertröstet, vertröstet.” Die Hilfen kämen nicht an, es gehe dabei in erster Linie um den „Energiekostenzuschuss 2”, der vor Weihnachten angekündigt wurde. Dieser wäre für Gewerbetreibende über alle Branchen hinweg hilfreich. Demnach würden 60% der zusätzlichen Energiekosten abgedeckt werden: „Damit könnte man gut kalkulieren.” Wichtig ist: „könnte” …

Die extremen Preise würden natürlich alle betreffen, aber selbstständige Kaufleute hätten andere Herausforderungen zu bewältigen, wenn es darum geht, diese Preisbildungen in Griff zu bekommen. Das bedeutet, sie müssen muss die Mehrkosten – bei Energie das Acht- bis Neunfache – in irgendeiner Form so abdecken, dass sie dennoch überleben. Alle Preise können sie nicht weitergeben. Zudem gilt, dass der Kaufmann im Ort im Gegensatz zu der Filiale eines großen Diskonters auch sozial ganz anders eingebunden ist. Großhändler versuchen ­ebenfalls gegenüber den Kleinen behutsam vorzugehen, aber als großer Konzern kann man hebeln.

Der Appell

An der Stärkung der Orte, daran arbeitet Nah&Frisch natürlich, man engagiert sich gewissermaßen gesellschaftspolitisch. „Wir kämpfen ganz stark dafür, dass Ortskerne nicht aufgegeben werden und auch dafür, die Kerne dort, wo sie aufgegeben wurden, wiederzubeleben”, führt er aus.

In diesem Zusammenhang gebe es mehrere Möglichkeiten vorzugehen. Zunächst brauche die Ortsmitte Leben. Um den sozialen Mittelpunkt wieder herzustellen, daran arbeitet man mit Bürgermeistern, Gemeinderäten und Co: „Leben im Dorf muss weiterhin attraktiv bleiben. Dort, wo es gelingt, die Infrastruktur zu erhalten oder wieder herzustellen, herrscht Zuzug.”

Wuchterls Appell: Nahversorgung ist auch Infrastruktur. Es gebe „großartige Beispiele”, wo tolle Konzepte aufgestellt oder Vereine gegründet werden, um eine Nahversorgung sicherzustellen. Die Gemeinden bräuchten aber auch in dem Punkt Unterstützung auf Landes- und Bundesebene.

Lokal, nicht regional

Dieses Denken ans Lokale – also noch enger gefasst als regional – wird auch im Angebot angewandt. Der Kaufmann ist selbstständig, kann in vielen Sortimentsbereichen entscheiden, was es lokal noch gibt; die Marke „aus’m Dorf” unterstützt dabei. Die Kaufleute können direkt im Ort und rundherum zu Produzenten gehen und das Grundsortiment ergänzen: „Das ist Kreislaufwirtschaft. Da kommt der Bauer hinten mit dem Kartoffelsack hinein, geht dann vorne rein und macht seine sonstigen Einkäufe.” In vielen Fällen sind Produkt, Lieferant und Mitarbeiter direkt aus dem Ort.

So ein Arbeitsplatz, quasi vor der Haustür, das ist in ländlichen Gegenden, wo viele Wege einen fahrbaren Untersatz bedingen, ein Vorteil. Was unterscheidet Nah&Frisch von anderen LEH-Anbietern? „Den großen Unterschied macht der Kaufmann. Er ist der Inhaber und sucht sich seine Mitarbeiter aus. Sie schaffen es gemeinsam, das führt zu Nähe und Verbundenheit. Die Mitarbeiter haben ein hohes Maß an Identifikation und bleiben oft jahrzehntelang.” Ein großer Unterschied zu anderen: „Es kam auch schon vor, dass ein Mitarbeiter das Geschäft übernimmt, wenn der Kaufmann in Pension geht.”

Die Unterstützung

Nah&Frisch unterstützt, wo es geht. So etwa auch beim neuen Pfandsystem, von dem noch nicht alle Details bekannt sind und das vermutlich wiederum kleine Händler mehr trifft als große Konzerne: „Das macht die Sache nicht einfacher. Wir warten noch auf Informationen, wie es funktionieren soll, speziell für Klein- und Kleinstbetriebe.” Klar sei, dass man nicht mit Automatensystemen arbeiten wird können. Es wird entsprechend der gesetzlichen Vorgaben zu einer Rücknahme der Plastikgebinde kommen, vermutlich händisch an der Kassa. Die Lagerung ist nicht einfach, es bedarf noch der Klärung.

Eine Herausforderung von vielen, die auf die Kaufleute zukommen. Was Nah&Frisch erreichen will, ist, dass die zum Teil kleinen und kleinsten Flächen gut funktionieren: „Wir wünschen uns die durchschnittlich 200 Quadratmeter. Es gibt aber 600 Gemeinden, die gar keinen Nahversorger mehr haben, am Ende des Jahres könnten es 1.000 sein. Wenn es die Möglichkeit gibt, einen Standort auf kleiner Fläche zu sichern, werden wir das machen. Wir kämpfen um jeden Standort.” Noch gibt es rund 1.250 bis 1.300 Kaufleute im ländlichen Bereich. Diese gelte es zu erhalten, auch wenn sich Hannes Wuchterl kaum Illusionen hingibt. Zentral dabei sei, dass es politische Unterstützung gibt: „Dort, wo ein Kaufmann ist, würde ein Filialist kaum hingehen. Wenn ein Kaufmann aufhört, dann gibt es dort sehr wahrscheinlich in Zukunft keine Nahversorgung.”

Den gesamten retail.conversations-Beitrag sehen Sie hier:

https://tv.medianet.at

Redaktion TV: Andy Marada

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