„Beim Export wäre eine Verdopplung möglich”
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PRIMENEWS Jürgen Zacharias 09.06.2015

„Beim Export wäre eine Verdopplung möglich”

Zielmarkt Türkei Interview: Marco Garcia, WKO-Wirtschaftsdelegierter in Istanbul, ortet noch viel Potenzial

Potenzial Die Türkei hat gewählt: medianet nimmt dies zum Anlass, die türkisch-öster­reichischen Wirtschaftsrelations unter die Lupe zu nehmen: Bei den Investitionen sind heimische Betriebe top, das Handelsvolumen hat noch Luft nach oben.

Istanbul. Am Sonntag hat die Türkei gewählt: Nach mehr als zwölf Jahren Alleinregierung verlor der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan mit seiner islamisch-konservativen Partei AKP die absolute Mehrheit. medianet nimmt dies zum Anlass, die türkisch-österreichischen Beziehungen unter die Lupe zu nehmen: Die Türkei und Österreich unterhalten seit vielen Jahren engen Wirtschaftskontakt. Während heimische Betriebe bei den Investitionen vor Ort längst eine große Nummer sind, ortet Marco Garcia, Wirtschaftsdelegierter der WKO in Istanbul, beim Handelsvolumen Nachholbedarf.

medianet:
Herr Garcia, die türkische Wirtschaft konnte 2013 um 4,4 Prozent zulegen, 2014 aber nur um 2,9 Prozent, und auch heuer ist mit einem Wachstum von nur drei Prozent zu rechnen. Sind die goldenen Jahre damit vorbei?
Marco Garcia: Ich glaube nicht, dass sie vorbei sind, das ist ganz sicherlich die unterste Wachstumsgrenze. Dass diese erreicht wurde, hat auch wesentlich mit der Entwicklung in der EU zu tun. Die Türkei führt 50 Prozent ihres Außenhandels mit EU-Ländern, und wie die Wachstumszahlen dort aussehen, weiß jeder. Umgekehrt wird die Türkei profitieren, wenn Europa wieder auf den Wachstumspfad zurückfindet, und bis dahin intensiviert die Türkei eben die Suche nach anderen Märkten.

medianet:
Der politischen Abkehr von Europa folgt nun also auch eine wirtschaftliche Abkehr?
Garcia: Politisch gibt sich Ankara isolierter als früher, aber auf der wirtschaftlichen Ebene würde ich das nicht als Abkehr bezeichnen. Neben der engen Verflechtung beim Außenhandel kommen schließlich auch die meisten Auslandsinvestitionen in der Türkei aus Europa, und das wird auf absehbare Zeit auch so bleiben.

medianet:
Inwieweit wirkt sich darauf der Opportunismus negativ aus, den die Türkei mit vermehrten Geschäften mit Russland an den Tag legt?
Garcia: Sie meinen, weil die Türkei in Russland von der Ukraine-Krise und Einfuhrverboten für gewisse Waren aus Europa profitiert?

medianet:
Genau.
Garcia: Aus europäischer Sicht kann man das vielleicht als Opportunismus interpretieren, in derselben Situation würden die meisten europäischen Staaten aber genauso handeln. Man darf nicht vergessen, dass neben der Türkei auch andere Länder wie Brasilien von der Krise profitieren, und der Vorteil, den die Türkei daraus zieht, sich vor allem im Handelsvolumen niederschlägt. Die Türkei liefert nun viele landwirtschaftliche Produkte nach Russland, in der Handelsbilanz macht sich das aber nur wenig bemerkbar.

medianet:
Trotzdem sind das nicht die besten Voraussetzungen, um die ins Stocken geratenen Beitrittsgespräche der Türkei mit der EU wiederzubeleben.
Garcia: Das nicht, aber wie in allen Beziehungen gibt es auch hier Aufs und Abs, und was einen möglichen EU-Beitritt der Türkei betrifft, hat die Beziehung eben gerade einen kleinen Hänger – von beiden Seiten. Man ist in der EU auf Distanz gegangen, aber auch die Türken waren bei dem Thema schon euphorischer. Nichtsdestotrotz bin ich davon überzeugt, dass die Türkei langfristig ein Teil der EU werden wird und schon jetzt ein wichtiger Partner für die EU ist.

medianet:
Auch für Österreich?
Garcia: Definitiv. Im Investitionsbereich ist Österreich sogar fast überpräsent. Wenn man in der Statistik die Niederlande, die ein sehr gutes Doppelbesteuerungs-abkommen haben und über die daher viele Investitionen auch anderer Länder laufen, nicht berücksichtigt, kommen die meisten Auslandsinvestitionen aus den USA und dann schon aus Österreich. Wo wir allerdings Nachholbedarf haben, ist der Handelsbereich.

medianet:
Die Türkei ist der Statis-tik zufolge das zwanzigwichtigste Exportland Österreichs.
Garcia: Ja, und damit sind wir prinzipiell auch happy, aber ohne Übertreibung wäre eine Verdoppelung des aktuellen Volumens von 2,45 Mrd. Euro im Jahr möglich. Wir steigern die Exporte in die Türkei jährlich – mit Ausnahme des Vorjahrs, wo wir einen kleinen Rückgang von 3,3 Prozent hatten – und alle zwei bis drei Jahre rückt die Türkei ein bis zwei Positionen im Ranking unserer wichtigsten Handelspartner auf. Geht die Entwicklung so weiter, wird die Türkei in den nächsten zehn bis 15 Jahren wohl in die Top 10 aufrücken.

medianet:
Schlagen in der Statis-tik Großinvestitionen einiger weniger Konzerne wie der OMV und dem Verbund durch, oder ist auch bei heimischen KMU verstärkte Investitionstätigkeit feststellbar?
Garcia: Ich würde das mit etwa 50:50 bewerten. Natürlich schlägt sich in der Bilanz deutlich nieder, wenn der Verbund hier ein Kraftwerk errichtet, die Post Geld in einen lokalen Paketdienst steckt oder die OMV 1,6 Mrd. Euro investiert, aber auch viele mittelständische Unternehmen wie zuletzt die AVL haben das Marktpotenzial erkannt. Wichtig für den Erfolg ist es, Nischen zu besetzen und diese dann gut und ohne übertriebene Eile zu bewirtschaften und das im Idealfall auch noch in Zusammenarbeit mit lokalen Partnern.

medianet: Also ganz so, wie das aktuell Meinl vorzeigt?
Garcia: Meinl ist wohl das ‚Best Practice'-Beispiel; sie haben gesehen, dass in der Türkei viele Starbucks aus dem Boden schießen, das Konzept aber sehr kapitalintensiv ist. Also haben sie sich ein Barista-Konzept überlegt, gemeinsam mit Partnern gestartet und sind mittlerweile Nummer zwei am Markt. Ihr Erfolgsrezept ist, dass sie gar nicht erst versuchen, mit Starbucks zu konkurrieren, sondern vielmehr auf Qualität setzen.

medianet:
Rasches Wachstum ist damit aber keines zu erreichen?
Garcia: Das ist auch nicht das Ziel. Meinl geht es um die langfristige Perspektive. Wer ihr Konzept übernehmen will, muss sich vollinhaltlich darauf einlassen. Ähnlich geht nun auch Mazda Austria vor …

medianet:
… das Ende 2014 den türkischen Mazda-Importeur übernommen hat.
Garcia: Natürlich könnten sie jetzt mit aller Macht versuchen, ihren Marktanteil zu pushen, aber sie konzentrieren sich lieber darauf, mit Qualität langfristig etwas aufzubauen. Modelle, bei denen sie preislich nicht konkurrenzfähig sind, bieten sie deshalb gar nicht an, ihr Ziel ist nachhaltiges Wachstum. Das sollte im Übrigen immer das Ziel sein: Es kommen immer wieder österreichische Firmen ungeduldig in den Markt und wollen relativ schnell Ergebnisse sehen. Aber schnelle Ergebnisse werden sie in der Türkei nicht haben.

medianet:
Welche Chancen sehen Sie für österreichische Firmen in der Türkei?
Garcia: Grundsätzlich gute; leider haben viele österreichische Betriebe den Markt noch gar nicht auf dem Radar. Ich bin jetzt fast acht Jahre in der Türkei, aber immer wieder überrascht, wie unbekannt der türkische Markt in Österreich noch ist. Dabei gäbe es hier für viele Unternehmen große Chancen, die Rahmenbedingungen sind sehr gut und die politischen Verhältnise stabil – da bleiben aktuell also große Potenziale ungenützt.

medianet:
Kann sich an den politischen Rahmenbedingungen und damit auch am Trend weg von Europa durch die aktuellen Wah-len etwas ändern?
Garcia: Wie gesagt sehe ich darin nur eine Momentaufnahme. Wichtig ist, dass die Rahmenbedingungen grundsätzlich stimmen und das tun sie in jedem Fall – unabhängig von den Wahlen. Gerade auch das von China stark gepushte Seidenstraßen-Konzept könnte dem Markt weiteren Auftrieb geben.

medianet:
Damit ist die Wiederbelebung der historischen Seidenstraße gemeint.
Garcia: Genau, und dazu kursieren bereits viele verschiedene Pläne, und bei allen nimmt Istanbul einen zentralen Punkt ein. Die Frage ist nur, ob es von Istanbul weiter nach Moskau oder doch nach Europa geht. Da wäre es aus unserer Sicht fatal, diese Chance zu verpassen, und daher wollen wir von der WKO dieses Thema ab Herbst auch stärker besetzen. Die große wirtschaftliche Kraft und Entwicklung liegt heute in Südostsien, und großes Potenzial verspricht auch der Iran. Fällt das Embargo und öffnet sich der dortige Markt, dann wird es einen gewaltigen Wirtschaftsboom geben, an dem hoffentlich auch österreichische Unternehmen partizipieren können.

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