••• Von Chris Radda und Laura Schott
Mehr als 1,4 Mrd. € erwirtschaftete die österreichische Filmwirtschaft im Jahr 2017 laut aktuellem Filmwirtschaftsbericht. Verantwortlich dafür sind knapp 2.400 Unternehmen, die ihren Tätigkeitsschwerpunkt in der Filmwirtschaft haben und damit in einer Branche tätig sind, die aktuell großen Veränderungen gegenübersteht. Im Interview mit medianet sprechen Danny Krausz, Mitbegründer und Geschäftsführer der Dor Film, Obmann des Fachverbands Film und Musik in der WKO und seit vergangenen Juli auch Leiter der Filmakademie, und Alexander Glehr, Inhaber und Geschäftsführer der Film AG und Präsident der Association of Austrian Filmproducers (AAFP), über aktuelle und zukünftige Herausforderungen ihres Geschäfts.
medianet: Herr Krausz, Sie vertreten in der Wirtschaftskammer den Fachverband der Film- und Musikwirtschaft, und das seit über 15 Jahren. Wie hat sich die Branche während dieser Zeit entwickelt?
Danny Krausz: Als ich angefangen habe, haben wir die Strukturen im Grunde völlig neu aufgesetzt: Weg von der bis dahin sehr dominanten Fernsehproduktion – die natürlich auch heute noch eine große Rolle spielt – haben wir eine Vervielfachung der Finanzierungsmöglichkeiten erzielt und die Strukturen für einen lebendigen Nachwuchs in der Produktionslandschaft geschaffen. Auf der anderen Seite sind auch in puncto Vergütung viele Neuerungen passiert: Zusammen mit den Sozialpartnern versuchen wir, den sehr traditionellen, verstaubten Kollektivvertrag in einen modernen Text überzuführen. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen, das wird er auch noch lange nicht sein.
medianet: Das neue Urheberrecht steht ins Haus und wird große Veränderungen mit sich bringen, die möglicherweise auch Auswirkungen auf den Kollektivvertrag haben.
Krausz: Richtig. Das sind große Herausforderungen, denn das Urhebervertragsrecht kann dazu führen, dass der Kollektivvertrag in seiner jetzigen Form obsolet wird. Das wissen viele nicht und erinnert mich ein bisschen an die Diskussion, die wir vor zehn Jahren mit Autorinnen und Autoren hatten, die plötzlich keine Pauschalverträge mehr abschließen wollten – mit der Konsequenz, dass das Anfangshonorar halbiert und der Rest auf drei bis fünf Jahre ausbezahlt wurde. Und das wollten die Autoren dann natürlich doch nicht. Man muss also wissen, auf welche Ebene man sich begibt.
medianet: Herr Glehr, wie geht es der österreichischen Filmwirtschaft? Welche sind die wichtigsten Brennpunkte, die man auch mit der neuen Regierung besprechen müssen wird?
Alexander Glehr: Man kann die österreichische Filmwirtschaft nie ganz von dem abtrennen, was international passiert, und hier erleben wir gerade einen absoluten Paradigmenwechsel, was die Verwertung und Konsumation von audiovisuellen Produkten betrifft. Stichwort Streamingplattformen: Die verändern im Prinzip die gängigen Ideen und die Vorgangsweise, wie wir in den letzten Jahrzehnten Filme verwertet haben. Und hier stehen wir in Österreich ziemlich hinten an, wenn es darum geht, Rahmenbedingungen für diese neue Welt zu definieren.
medianet: Der Umbruch in der Bewegtbildindustrie geht aber auch in die positive Richtung: Es wird viel hochqualitativer Content produziert, was die Zuschauer mit massenhaft Zugriffen, Monatsabonnements et cetera belohnen. Man hat den Eindruck, dass die Industrie Rückenwind hat. Aber kann Österreich von diesem Rückenwind profitieren?
Krausz: Natürlich können wir das – basierend auf der hohen Kreativität, die wir immer wieder mit auf den Weg bringen. Ich habe das Privileg, auch in der Ausbildung tätig zu sein und seit einem halben Jahr die Filmakademie zu leiten. Da wächst ein unglaublich kreatives, extrem engagiertes und leidenschaftliches filmschaffendes Potenzial heran, das wir kaum halten können, weil das Interesse internationaler Partner an diesem Nachwuchs sehr hoch ist. Das wird nur funktionieren, wenn wir die Rahmenbedingungen auf allen Ebenen modernisieren. Wir müssen die Kooperation suchen und neue Definitionen finden, wenn es um den Umgang mit Plattformen geht. Zur Konkurrenzfähigkeit braucht es hier einen gewissen Ausgleich – es müssen alle gleich behandelt werden. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch den Dialog mit den Plattformen suchen, denn dort wird Unterhaltungsfilm auf höchsten Niveau nachgefragt. Das kann niemand bestreiten und da ist vieles dahinter zu leisten.
Glehr: Das Stichwort lautet Flexibilität. Diese ganzen Rahmenbedingungen verändern sich so schnell, dass man Systeme schaffen muss, die sich flexibel anpassen können – je nachdem, wo sich Konsum und Technologie hinbewegen. Vor 30 Jahren hätten wir uns im Traum nicht vorstellen können, dass wir irgendwann gleichzeitig ein Buch lesen, fernsehen und im Hintergrund noch das Radio läuft. Das ist eine gängige Form der Konsumation geworden, das ist die Welt, mit der wir uns auseinandersetzen müssen. Und die Chancen, die sich aus solchen Veränderungen bieten, gilt es zu erkennen und das Beste dabei herauszuholen.
medianet: Das Content-Überangebot in Sozialen Medien ist zum Teil sehr fragwürdig und kehrt oftmals jeglicher Qualität und faktischer Wahrheit den Rücken. Junge Leute scheinen hochqualitativen Content aber gerne zu konsumieren, wenn er angeboten wird. Das ist eine erfreuliche Gegenbewegung …
Krausz: Absolut. Aber es sind ein paar Dinge, die hier hineinspielen. Der Begriff Social Media ist irreführend, denn wir haben de facto keinen Zugriff auf das, was dort an Inhalten vermittelt wird. Das ist ein großes Thema, dem wir uns stellen müssen. Ich spreche von qualifiziertem Journalismus, ich spreche von Urheberrechten, die auch in diesem Bereich geltend gemacht werden müssen. Wir können uns dem nicht länger entziehen, das auch in die Lehre intensiv miteinzubeziehen.
Glehr: Die Urheberrechtsnovelle ist ein erster Ausdruck der Reglementierung in diesem Bereich. Die Erfindung des Buchdrucks vor 500 Jahren hat es überhaupt erst notwendig gemacht, sich über geistiges Eigentum Gedanken zu machen. Heute ist das völlig normal. Ich verstehe, dass es dabei immer diesen Freiheitsgedanken gibt, die Gesellschaft wird sich aber auch immer klarer darüber, dass es Regeln geben muss und geben wird, nach denen diese ganze digitale Welt ablaufen muss. Und das ist ein Prozess, der uns auch die nächsten 20 Jahre noch begleiten wird, bis wir den Modus Vivendi gefunden haben, wie wir damit umgehen. Wenn heute jemand einen Roman schreibt, stellt auch niemand infrage, dass das sein Werk ist und nicht von jedem einfach kopiert werden kann.
medianet: Bei aller Internationalität und allen Chancen, die Amazon, Netflix und Co. bringen, ist der ORF ein zentrales Thema, wenn es darum geht, dass österreichische Filmschaffende ihre Miete bezahlen können.
Krausz: Es ist unbestritten, dass der ORF eine zentrale Triebkraft der heimischen Filmwirtschaft ist, und zwar in vielfältiger Ausprägung. Der ORF ist nicht nur ein wesentlicher Arbeitgeber für die Filmschaffenden, sondern auch ein wichtiger Partner der fiktionalen und nonfiktionalen Produktion. Das ist nicht wegzudenken, wenn wir im deutschen Sprachraum halbwegs konkurrenzfähig partizipieren wollen. Und das, was wir zur Produktion bringen, ist extrem konkurrenzfähig.
medianet: Produktionen wie ‚Freud', ‚Vienna Blood' oder ‚Maria Theresia', die der ORF mit Ihren Künstlern initiiert hat und die Netflix-Niveau haben, machen es vor.
Krausz: Es sind aber auch Produktionen, die unsere Lebenswelten noch tiefer widerspiegeln. Ich durfte ‚Walking on Sunshine' für den ORF produzieren, und als die erste Staffel in Deutschland ausgestrahlt wurde, haben viele Redaktionen gesagt, dass diese Art Film das Einmalige an Österreich sei. Keine Sendeanstalt in Deutschland würde sich trauen, so eine Nahbeschau zuzulassen und mit so einer Selbstironie an ein Thema heranzugehen. Das macht Freude. Und das sind Dinge, die wir uns auch nicht wegnehmen lassen dürfen, diese Eigenständigkeit und Vielfalt.
medianet: Ein starker ORF ist demnach eine Art Nabelschnur für die österreichische Filmindustrie. Die Identitätsstiftung des österreichischen Films, verbunden mit einem starken lokalen Partner, ist für Sie wichtig. Sie haben ja auch immer dokumentiert, dass Ihnen Ideen wie etwa zur Zerschlagung des ORF, zur Versteigerung von Kanälen und Ähnlichem alles andere als recht wären …
Glehr: Ich glaube, dass man hier unterscheiden muss zwischen der Position als Staatsbürger und jener des Filmschaffenden – man kommt aber zu dem selben Ergebnis. Dass der ORF gesellschaftspolitisch wahnsinnig wichtig ist und immer wichtiger wird, dass es eine mediale Instanz braucht, die in irgendeiner Form ein sicherer Anker der Meinungsbildung ist, davon bin ich als Staatsbürger überzeugt. Als Filmemacher kommt der Aspekt dazu, dass der Paradigmenwechsel zu einer Schwächung des ORF führt. Umso mehr sind wir aufgefordert, die Position des ORF zu sichern und zu unterstützen.
Krausz: Alles, was der ORF leistet, kann nur funktionieren, wenn er politisch und ökonomisch unabhängig ist. Dafür ist vermehrt zu sorgen, ebenso für eine technologische Entwicklung, die – fair gegenüber den anderen Anbietern – ermöglicht, auch hier in den neuen Konsumformen für das jüngere Publikum erreichbar zu sein. Es macht ja keinen Sinn, wenn wir Programme entwickeln, die irgendwann einmal das Publikum nicht mehr erreichen. Derzeit hat man eher das Gefühl, dass versucht wird, ein Regulativ zu verstärken.
medianet: Hier gibt es also Reparaturbedarf beim Gesetzgeber?
Krausz: Ich glaube, dass Reparaturen nicht mehr ausreichen. Wir sind ständig am Reparieren, und irgendwann wird dieses Werkl trotzdem auseinanderfallen. Wenn man in Österreich von Medien-, Musik- oder Filmpolitik spricht, dann ist man sehr schnell beim Geld – das ist aber nicht alles. Es geht darum, moderne Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sich der ORF bewegen kann, darf und soll. Und darum, nicht ständig irgendwelche Abwehrkämpfe führen zu müssen, die wahnsinnig energieraubend sind und uns die Substanz rauben, das zu machen, was die Österreicherinnen und Österreicher von uns erwarten – nämlich qualifiziertes Programm. Man kann nicht da und dort immer noch weitere Gremien entwickeln, die uns in ihrem Theoretisieren bremsen. Denn wir sind eigentlich schon spät dran.
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