Wenn die Satire die Realität rechts überholt
PRIMENEWS 23.10.2015

Wenn die Satire die Realität rechts überholt

Die Wiener Bezirkszeitung kooperiert mit der Online-Satire-Zeitung „Tagespresse”. Ein absolut löbliches Pilotprojekt mit breitem und visionärem Ansatz.

Leitartikel ••• Von Sabine Bretschneider


ALLES ERFUNDEN. Die bz-Wiener Bezirkszeitung startet eine Kooperation mit der „Tagespresse” („Österreichs seriöseste Online-Zeitung”), dem heimischen Pendant zum deutschen ­„Postillon” (siehe Bericht auf Seite 21).

Die aktuellen Headlines (Stand: Donnerstagnachmittag) auf dietagespresse.com: „Kein Parkpickerl: Stadt Wien lässt merkwürdiges Fahrzeug abschleppen” (bebildert mit dem schnittigen DeLorean DMC 12 Coupé aus „Zurück in die Zukunft”), „Innovation bei Vapiano: Gäste müssen Geschirr künftig selbst abwaschen” (Zusatz: „Beim Spülmittel dürfen die Gäste zwischen den Sorten ‚Frutta della Toscana' und ‚Odore di Sicilia' wählen. Gegen einen Aufpreis von 3 Euro pro Person gibt es zum Spülen auch Warmwasser”), „Thronverzicht gefälscht: Habsburger nach wie vor rechtskräftige Herrscher Österreichs” (die Unterschrift ist von Karl Renner), „‚Wollen in Würde sterben': SPÖ übersiedelt in Hospiz” (selbsterklärend) und „‚Sind am Limit': AMS kann keine ehemaligen ÖVP-Chefs mehr vermitteln” (ebenfalls).

Irrungen, Wirrungen

Das Team um „Tagespresse”-Gründer Fritz Jergitsch, heißt es in der Aussendung der bz, wird ab sofort wöchentlich einen Artikel „exklusiv in der bz veröffentlichen”. „Die bz wird durch die satirischen Berichte über Wien noch abwechslungsreicher”, werden die bz-Chefs Maximilian Schulyok und Chefredakteur Christoph Schwarz zitiert. Korrekt. Mutig ist die Kooperation auch. Mit der aktuellen Coverstory zum Thema Schulreform – ein Pilotprojekt in Wien: Unterricht per SMS und WhatsApp – könnte man ja doch etwas Unruhe in der Wiener Bevölkerung auslösen.

Ich bin auch erst einmal reingefallen. (In einem Land, das „Laptopklassen” als das Nonplusultra fortschrittlicher Bildungspolitik betrachtet und gleichzeitig in ihren Strukturen die verwaltungstechnische Steinzeit lebt, tendiert man dazu, Smartphone-Pädagogik als modisch-trendigen Schulversuch nicht großartig zu hinterfragen.) Das Schicksal teile ich übrigens mit H. C. Strache. Er postet Storys von diversen Satireportalen gern auf seiner Facebookseite.

Achtung, Satire!

Schlimmer ist, dass man sich bei der Lektüre handelsüblicher österreichischen Zeitungen auch immer öfter fragt, wo denn da bitte jetzt der Achtung, Satire!-Hinweis versteckt ist … Das ist keine Herabwürdigung redaktioneller Inhalte des Mitbewerbs: Die deutsche Website „Postillon” wurde 2013 mit dem Grimme Online Award 2013 ausgezeichnet. Fritz Jergitsch wurde schon zum Onliner des Jahres gewählt, erhielt einen Sonderpreis beim „Journalist des Jahres” und 2015 wurde sein Projekt beim Österreichischen Kabarettpreis mit einem Award ausgezeichnet.

Ein Praktikum bei der „Tagespresse” könnte, das ist vorstellbar, auch ein durchaus praktikables Mittel darstellen, sich als effizienzgetriebener Journalist an der Frontlinie einer unglaublich unter Druck geratenen Branche eine Auszeit vom alltäglichen Wahnsinn zu nehmen. Oder, wie André Heller es ausdrücken würde – besser: ausgedrückt hat. (Hätte? Manchmal ist in der Erinnerung die Satire präsenter als die Realität …): „Ich wollt, ich wär eine Amsel aus Stanniol und flöge hinter mir her …”.

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