„Wir haben es satt, ­immer nur zu warten”
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Kampfansage
PRIMENEWS christian novacek 05.07.2019

„Wir haben es satt, ­immer nur zu warten”

Die Kampagne des Handelsverbands versteht sich als Appell an die Politik für faire Wettbewerbsregeln.

••• Von Christian Novacek

Manche Zahlen überzeugen dann doch: Im österreichischen Handel arbeiten rd. 600.000 Leute, was nichts mehr und nichts weniger heißt, als dass jeder fünfte Beschäftigte in Österreich ein Handelsangestellter ist.

Allein der Lebensmittelhandel trägt zum BIP satte 14 Mrd. € bei. Die Steuerlast, die der Handel zu stemmen hat, beläuft sich auf eindrucksvolle 15 Mrd. € – alles Hardfacts, die laut Handelsverbandsgeschäftsführer Rainer Will nicht ausreichend wertgeschätzt werden. „Wenn man bedenkt, dass es rund um den Handel auch noch weitere volkswirtschaftliche Verwebungen gibt, die von der Landwirtschaft bis zur Architektur reichen”, holt Will aus, „dann ergibt das positive Ketteneffekte, die in Österreich zu wenig erklärt und wertgeschätzt werden.”
Damit soll es nun ein Ende haben: Ab 8. Juli werden sechs ­Wochen lang 15.000 bunte Plakate mit den Logos österreichischer Händler das Straßenbild Österreichs prägen, um ein gemeinsames Zeichen für Steuer­fairness, Regionalität und Wert­schöpfung in Österreich zu setzen. In allen Bundesländern und in jeder Region. Bundesweit.
Warum ausgerechnet im Sommer? Will: „Zum einen sind die Konditionen für eine Außen­werbe-Kampagne im Sommer sehr gut, zum anderen wollten wir dieses Signal einfach lieber heute als morgen setzen.” Will verweist damit auf den Umstand, dass eine Einigung mit derzeit 15 Händlern, die die Aktion tragen, sehr schnell herbeigeführt wurde – und die Kosten bei den Händlern sogar aus dem laufenden Jahresbudget bestritten wurden.

Handelsverband heißt Allianz

Umgesetzt wurde die Kampagne von der Werbeagentur Hello rund um Peter Hörlezeder: „Seit Langem beschäftigt mich der immense Abfluss an Wertschöpfung durch Amazon & Co., welcher nur in einer starken Allianz ausgehebelt werden kann”, so der Agentur-Chef. Und weiter: „Wir durften der Allianz unter dem Dach des Handelsverbands ein Gesicht geben und haben Sujets konzipiert, die die Eigenständigkeit der Marken berücksichtigen, aber durch Ähnlichkeit innerhalb der Kampagne auch für eine große, gemeinsame Wirkung sorgen.”

Die Kampagnenmechanik wurde in Kooperation mit der Mediaagentur Media1 entwickelt, weitere Ausbauschritte sind vorgesehen, ebenso die zyklische Wiederholung.
Ein zentrales Element der Kampagne ist die Webseite www.gut-kaufen.at, wo nicht nur die wichtigsten Kennzahlen zur Bedeutung des Handels dargelegt sind – KMUs können sich auf der Seite auch für einen Unkostenbeitrag von 80 € mit Werbematerial versorgen.

Einigkeit der Händler

Die Teilnehmer der Allianz sind: Rewe, Hofer, Lidl und Unimarkt, aber auch Händler anderer Branchen wie Obi, Hartlauer, Conrad, MediaMarkt, Hervis, Tchibo/Eduscho, Tupperware, Dorotheum, Deichmann, C&A sowie Kastner & Öhler. Zusammen stehen sie für 16 Mrd. € der heimischen Einzelhandelsumsätze. Prominent abwesend darunter ist die Spar AG, die aber, so Will, mit der 100%igen Tochter Hervis „jedenfalls geistig dabei ist”.

Abgesehen von der zu erzielenden Aufmerksamkeit beim Konsumenten will die Initiative durchaus mehr, nämlich Veränderung. Und das im Sinne der Gerechtigkeit, so Will.
Der maßgebliche Stachel im Fleisch der Händler wird von Onlinegiganten wie Amazon, Alibaba oder Wish gesetzt. „4,5 Mrd. Euro Umsatz wandern alljährlich ins Ausland ab, hin zu den Onlinegiganten”, hat Will gerechnet. Und er rechnet weiter: Das entspricht rund 25.000 Arbeitsplätzen, die dem heimischen Arbeitsmarkt jährlich entzogen werden. Die Tendenz ist stetig steigend. Das Problem, das hierbei zutage tritt, lautet darauf, dass die Digitalkonzerne im Schnitt nur neun Prozent an Gewinnsteuern zahlen, während jedes österreichische Unternehmen mit ca. 23% besteuert wird. „Diese Einnahmen fehlen dem heimischen Sozialsystem – und damit unserer Bevölkerung”, erklärt Will.
Und das passiert, sowohl kundenseitig als auch seitens der Politik, völlig unnötigerweise. Denn, so ist Karin Saey, Head of Retail in der Dorotheum GmbH & Co KG, überzeugt: „Es gibt die starke österreichische Alternative zu den Plattformen im Ausland.” Das ist zwar nicht ganz wörtlich zu nehmen, weil eine neue Plattform im direkten Widerstreit mit den erwähnten Giganten höchstwahrscheinlich den Kürzeren zöge. Aber eine Bewusstseinsbildung beim Konsumenten, der wissen soll, was er mit seinem Kauf auslöst, könnte anlässlich des Kampagnen-Launches durchaus in Reichweite sein.

Faire Regeln für alle

Zweiter Adressat der Kampagne ist die Politik. Der Appell lautet darauf, endlich Regelwerke zur Verfügung zu stellen, die für alle fair und gleich sind. Denn, so sind sich die Protagonisten (auch in Sachen Selbsterkenntnis) einig: Das einzelne Unternehmen für sich wird immer optimieren, was zu optimieren geht. „Daher braucht es für substanzielle Veränderungen die Politik”, ist sich der Handelsverbands-Chef gewiss. Bis dato geschah aber in die richtige Richtung faktisch nichts. Nach wie vor werden Verbraucherschutz-, Produktsicherheits- und Umweltschutzbestimmungen nicht eingehalten, Zoll- und Mehrwertsteuern werden umgangen oder Produktfälschungen verkauft. „Wir sind es satt, immer nur zu warten”, resümiert Will, „denn es besteht Gefahr im Verzug.”

Ergo sei die erste Gemeinschaftskampagne des österreichischen Handels das „stärkste Signal, das die Unternehmen setzen können”. Jetzt braucht es nur noch Widerhall …

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