Statt Flächenbrand lieber Feuer am Dach löschen
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FINANCENET REAL:ESTATE Redaktion 02.02.2024

Statt Flächenbrand lieber Feuer am Dach löschen

Bauwirtschaft und Baustoffindustrie fordern Politik zum umgehenden Handeln auf und gründen dafür Initiative „Mehr Zuhaus’ in Österreich!”.

••• Von Helga Krémer

Österreichs Bevölkerung wächst, gleichzeitig ist die Menge an angebotenem Wohnraum im besten Fall als mau zu beschreiben. Dennoch werden seit 2019 jedes Jahr weniger Wohnungen gebaut, auch die Bewilligungen von Neubauten sinkt. Die Prognose für 2024: weiter negativ. Dieses Ungleichgewicht an Angebot und Nachfrage macht noch stärker steigende Mieten wahrscheinlich, langfristig können Experten auch eine Wohnungsnot nicht ausschließen. Zusätzlich bewirkt die aktuelle Situation eine außerordentliche wirtschaftliche Krise in der österreichischen Bauwirtschaft, in der rund 305.000 Menschen beschäftigt sind – etwa acht Prozent der Arbeitnehmer Österreichs.

Ohne politisches Gegensteuern sind somit Tausende Arbeitsplätze akut in Gefahr.
Um die Politik vor diesem Hintergrund zum Handeln zu bewegen, haben 18 führende Unternehmen und Institutionen der Bauwirtschaft und der Baustoffindustrie die Initiative „Mehr Zuhaus’ in Österreich!” gegründet und einen Forderungskatalog ausgearbeitet. „Die Politik hat seit Jahren mit zu strengen Kredit-Vergaberichtlinien, überbordender Bürokratie und völlig verfehlten Fördersystemen maßgeblich zu dieser Situation beigetragen. Das muss jetzt korrigiert werden, sonst können wir diesen Wohnungsrückstand nicht mehr aufholen. Angesichts des steigenden Bedarfs an Wohnraum müssen wir dringend vom Rückwärtsgang in den Vorwärtsgang schalten”, so Torsten Kreft, Geschäftsleiter von hagebau Österreich, bei der Vorstellung der Initiative.

Am Problem vorbei

„Dass die Bundesregierung im Herbst 2023 ein Konjunkturpaket für den Wirtschaftsstandort angekündigt hat, ist natürlich grundsätzlich zu begrüßen, denn es zeigt zumindest ein Problembewusstsein. Allerdings treffen diese Maßnahmen nicht den Kern des Problems, nämlich die ausbleibende Baunachfrage im Bereich des großvolumigen Wohnbaus und des privaten Neubaus”, betont Robert Jägersberger, Bundesinnungsmeister der Bundesinnung Bau in der Wirtschaftskammer Österreich. Um die Nachfrage in diesen Marktsegmenten zu stabilisieren, brauche es zielgerichtete Maßnahmen, welche direkt die Investitionsbereitschaft der Bauherren und Hausbauer stimulieren.

Sofortmaßnahmen

Aus Sicht der Branchenexperten bedarf es einer Aufstockung der Fördermittel im Wohnbau um 500 Mio. € jährlich für die nächsten Jahre, wobei diese sowohl im Bereich der klassischen Wohnbauförderungsinstrumentarien als auch im steuerlichen Bereich zum Einsatz kommen sollten. Zusätzlich soll die Zweckwidmung der Wohnbauförderung wieder eingeführt werden, denn seit ihrer Abschaffung im Jahr 2008 können Landesregierungen dafür vorgesehene Bundeszuschüsse auch für andere Projekte oder für das Stopfen von Budgetlöchern einsetzen.

Um den enormen Rückstau beim Wohnbau aus den letzten Jahren aufholen zu können, sind aus Sicht der Bauwirtschaft außerdem steuerliche Anreize für Investitionen von Privaten – etwa in Ein- und Mehrfamilienhäuser – als auch Entlastungen für Unternehmen und den sozialen Wohnbau sinnvoll und dringend notwendig. Gefordert wird etwa eine Mehrwertsteuer-Befreiung für den Erwerb und die Schaffung von neuem Wohnraum zur Eigennutzung, bis zu 100.000 € pro Wohneinheit.
Damit neuer Wohnraum rasch geschaffen werden kann, seien laut den Branchenvertretern außerdem schnellere Bauverfahren und Flächenumwidmungen dringend nötig. Ebenso sollte die Aufstockung bestehender Gebäude erleichtert werden – das würde auch dem Problem der Bodenversiegelung entgegenwirken. Ganz generell bedürfe es einer radikalen Vereinfachung der Bauförderung, eines Abbaus bürokratischer Hürden und besserer Information im Dschungel der Fördermöglichkeiten.

Dramatische Rückgänge

Johann Marchner, Geschäftsführer von Wienerberger Österreich: „Gerade lokale Nahversorger im Baubereich müssen reihenweise schließen. In den letzten Jahren hatten wir noch nie so einen dramatischen Rückgang beim Neubau von Ein- und Mehrfamilienhäusern. Besonders folgenschwer ist auch der Einbruch bei gemeinnützigen Wohnungen, die lange der Garant für leistbares Wohnen waren. 2022 hatten wir bereits niedrige 16.700 Fertigstellungen, aber schon 2025 werden es nur noch 13.000 sein und davon ist rund ein Viertel in der Umsetzung akut gefährdet. Darum muss speziell großvolumiger, gemeinnütziger Wohnbau jetzt wieder forciert werden. Nur so kann man vermeiden, dass es in Österreich über viele Jahre zu einem Wohnungsmangel kommt, und sicherstellen, dass wir Unternehmen, Fachkräfte und Qualität in der österreichischen Bauwirtschaft halten können.”

Das liebe Geld

Damit der Wohnbau wieder forciert und leistbar wird, brauchen vor allem junge Familien einfacheren Zugang zu Wohnbauförderung und Wohnbaukrediten. Allerdings hat 2022 die Finanzmarktaufsicht die Regeln für die Kreditvergabe verschärft: Käufer müssen 20% des Kaufpreises einer Wohnung oder eines Hauses als Eigenkapital nachweisen, die monatliche Kreditrate darf 40% des Haushaltseinkommens nicht übersteigen.

Laut Branchenexperten bekommen bis zu 50% der Antragsteller dadurch keine Wohnbaukredite mehr; die Zahl der Baubewilligungen im Wohnbau ging seither dementsprechend rasant zurück.
„Die Kreditvergabe-Richtlinien der Finanzmarktaufsicht gehen an der Einkommensrealität der österreichischen Familien und am Wohnungsmarkt vollkommen vorbei. Sie verhindern, dass neue Wohnungen gebaut und finanziert werden, und treiben die Mieten nach oben. Die Eigenkapitalquote sollte daher gesenkt oder durch staatliche Fördermaßnahmen, zum Beispiel zinsfreie Kredite, gestützt werden”, so Georg Bursik, Geschäftsführer Baumit Österreich. Die monatlich mögliche Kreditrate für Wohnraumschaffung solle auf 60% des Haushaltseinkommens angehoben werden bzw. für Besserverdienende zur Gänze entfallen. „Es kann nicht sein, dass die kleinen Häuslbauer die Rechnung für Fehler in der Zins- und Förderpolitik und für Großinsolvenzen bezahlen”, poltert Bursik.

Kettenreaktion befürchtet

Aus Sicht der heimischen Bauwirtschaft erfordert die alarmierende Situation jetzt einen Schulterschluss aller Beteiligten und verstärkte Aufmerksamkeit von Institutionen und Politik.

Zumal es keine Alternative gäbe – mache man weiter wie bisher, drohe ein volkswirtschaftlicher Schaden in Milliardenhöhe, der Dominoeffekt wäre gewaltig. Denn die Wertschöpfungkette Bau sei viel länger, als manche vermuteten, so die Experten, sie höre nicht einfach auf der Baustelle auf.

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