„Unter 2.000 Einwohner wird es häufig kritisch“
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RETAIL Redaktion 26.09.2025

„Unter 2.000 Einwohner wird es häufig kritisch“

Österreich verfügt über 2.092 Gemeinden. In vielen von ihnen ist ein Nahversorger kaum rentabel zu betreiben.

Es ist ein typisches Austriakum: In keinem anderen Land der Europäischen Union ist die Zahl der Lebensmittelgeschäfte pro Einwohner so hoch wie in Österreich – und doch gibt es bundesweit mittlerweile über 500 Gemeinden, die ohne Nahversorger auskommen müssen. In größeren und mittleren Gemeinden kann die Situation getrost als stabil bezeichnet werden, gibt es doch vielerorts eine Koexistenz diverser Marktteilnehmer auf engem Raum. Auch in vielen kleineren Gemeinden hat sich die Situation verbessert – geht ein Kaufmann in Pension, gestaltet sich die Suche nach einem Nachfolger oft vergleichsweise einfacher als noch vor zwei Jahren.

Für die kleinsten Orte bleibt die Situation indes schwierig: „Wir merken immer mehr, dass es eine kritische Infrastruktur gibt, wo es für einen Kaufmann oder eine Kauffrau ganz schwierig wird, wirtschaftlich zu agieren“, erklärt Christian Prauchner, Obmann des WKÖ-Bundesgremiums Lebensmittelhandel. Problematisch seien Dörfer mit „bis zu 1.500, teils sogar 2.000 Einwohnern, wenn kein Einzugsgebiet da ist“.

Prämisse Wirtschaftlichkeit
Klar ist für Prauchner, der als Spar-Kaufmann selbst drei Märkte in Pöchlarn, Ybbsitz und Gresten betreibt: Der Betrieb eines Lebensmittelgeschäftes muss letztlich wirtschaftlich sein, daran führe „kein Weg vorbei“. Es könne nicht sein, dass Gemeinden oder die Kommune Steuergelder aufwenden müssen, „quasi selbst zum Händler werden“, um einen Nahversorger erhalten zu können. „Wir müssen damit leben, dass nicht jede Gemeinde einen Nahversorger haben kann“, plädiert Prauchner für Realitätssinn – und verweist in diesem Zusammenhang auf Österreichs kleinste Gemeinde, das Tiroler Bergdorf Gramais, wo mit Stand Jahresbeginn 43 Menschen wohnten – und wo ein wirtschaftlich tragfähiger Betrieb freilich undenkbar wäre.

Der Kuchen wird nicht größer
Mit welchen „flexibleren und unbürokratischen Möglichkeiten“ die Politik Kaufleuten in Kleinstgemeinden entgegenkommen könnte, werde aktuell intensiv im Bundesgremium erörtert; Ziel sei es, konkrete Ideen auszuarbeiten, die dann der Politik vorgelegt werden können.

Wenn Umwegförderungen keine Option für den Erhalt des Betriebs sind, dann vielleicht längere Öffnungszeiten? Prauchner ist gegen eine allgemeine Liberalisierung der Öffnungszeiten: „Der Kuchen wird nicht größer, das würde nur zu Verschiebungen statt Mehrumsätzen führen – und weil gerade viele kleine Betriebe erweiterte Öffnungszeiten nicht mitmachen können, würde sich der Kuchen nur anders verteilen – und zwar zugunsten der großen Filialisten und Einkaufszentren.“

Punktuelle, „klar begründete“ Ausnahmen – wie sie es etwa in Tourismusgegenden gibt – hält Prauchner indes für überlegenswert. So könne man gefährdeten örtlichen Nahversorgern einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, der letztlich im Sinne des Gemeinwohls wäre.

Nahversorgung weiter gedacht
Auch unbemannte Nahversorgerboxen ohne zeitliche Zutrittsbeschränkung sind für Prauchner nicht der Weisheit letzter Schluss: „Containershops entstehen in erster Linie in Orten, wo es schwierig oder unmöglich erscheint, ein Geschäft zu betreiben. Man vergisst dabei aber leicht, dass es in solchen Fällen oft im Nachbarort einen Nahversorger gibt, der vielleicht obendrein Postpartner und Bank, also Bargeldausgabe, in einem ist, vielleicht auch über eine Kaffeeecke verfügt – und der auch leicht erreichbar wäre.“

Wieder greift die Metapher vom Kuchen, der nicht größer wird: Durch die unbegrenzten oder längeren Öffnungszeiten der Containerbox erfährt der Nahversorger aus dem Nebenort einen illegitimen Nachteil. Weiter gedacht bleibt so am Ende eine flächendeckende „nahe Versorgung“ mit Lebensmitteln, um den Preis des Wegbrechens eines sozialen Treffpunkts. Prauchner: „Wenn wir von Nahversorgung sprechen, haben wir immer nur den Lebensmittelhandel im Kopf – dabei geht es ja in kleinen Gemeinden um ein viel grundsätzlicheres Problem, das auch die ärztliche Versorgung oder das Angebot an Kinderbetreuungsplätzen mieteinschließt.“

Eine Frage der Solidarität
Die strukturelle Problematik sei indes nicht allein an der Einwohnerzahl festzumachen, die konkrete Zahl an Gemeinden ohne Supermarkt vor dem Hintergrund von Gemeindezusammenlegungen nicht zwangsläufig aussagekräftig. Welche Lösungsansätze man für Orte mit problematischer Versorgungssicherheit letztlich finden möge, Prauchner ist überzeugt: „Ohne Solidarität in der Bevölkerung wird es nicht gehen.“

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