Was steckt dahinter?
RETAIL 20.11.2015

Was steckt dahinter?

Wenn ein Milchkaffee nicht einfach nur ein Milchkaffee ist, dann hat es auch die Gurke faustdick hinter den Ohren.

Die Finstere Brille••• Von Natalie Oberhollenzer


FOREVER YOUNG. Warum trinken wir gern Latte Macchiato oder Melange? Weil er gut schmeckt, würde ich sagen, weil er wach macht, weil die Kombi Milchschaum und starker Kaffee so schön harmoniert. Doch das ist noch lange nicht alles. Einer, der sich mit der Soziologie der Dinge beschäftigt, nennt einen anderen Grund. Der Latte Macchiato ist in seinen Augen das Getränk derjenigen, die alles sein sollen: erwachsen einerseits und noch ein bisschen Kind auf der anderen Seite. Es sei der flüssige Traum vom anstrengungslosen Übergang ins Großwerden, wenn der Barista die Milch zischen und fauchen und zu Milchschaum übergehen lässt. Der Espresso, ein medikamentengleicher Schluck, steht dabei für das Erwachsenendasein, die Milch für die verlorene Zeit des Frühstücks im Elternhaus. Man hat die Milch quasi schon hinter sich gelassen, ist ihr aber treu geblieben, auch wenn sie keine richtige mehr ist.

Ob da was dran ist? Gut möglich, immerhin will heute ja keiner so richtig erwachsen werden, aber trotzdem alles tun dürfen. Und sich nicht für etwas entscheiden wollen, das kennen wir auch zur Genüge. Weil dann wollen wir lieber gleich alles haben, oder nicht? Einen immerwährenden Milchkaffeezustand sozusagen.

Bitte recht bedeutungsschwanger

Nicht auszudenken, was einer Supermarktkassiererin den lieben langen Tag durch den Kopf schwirrt, während sie die Ware über den Scanner zieht. Was denkt sie sich, wenn sie bei Kunden Leberkäsesemmeln mit Green Smoothies abkassiert (eine massenhaft nachgefragte Kombi)? Der fleischige Mischmasch im Billig-Teigling, ein Symbol für rücksichtsloses Fressen rundum, der Green Smoothie dagegen steht für Achtsamkeit und Gesundheitswahn. Die Käufer müssen sich allesamt in einem forschreitenden Stadium innerlicher Zerrissenheit befinden. Oder diejenigen, die sich jedes Mal mühselig die geradeste Gurke aus dem Körberl heraussuchen – eigentlich ein Zeichen für viel Sinn fürs Akkurate. Möchte man meinen. Nur warum kämmen sich diese Leute ihre Haare nie? Ist die Gurke stellvertretend als alles wieder hinbiegende Haarnadel zu verstehen? Die Gurke, die alles richtet. Was müssen diese Leute während der EHEC-Krise Qualen gelitten haben!

Das größte Fragezeichen allerdings hinterlässt Kunde C. bei der Mitarbeiterin: Er legt allen Ernstes drei Thunfischdosen, biologisches Brot, zwei Dosenbiere und Gummibärchen aufs Förderband. Dann schaut er die Kassadame verschwommen an und quäkt: „Was soll ich nur machen, was soll ich nur machen?”

BEWERTEN SIE DIESEN ARTIKEL

TEILEN SIE DIESEN ARTIKEL