Bei den Normen muss man von vorn anfangen
© Austria Standards/Thomas Maria Laimgruber
ADVISORY 10.07.2015

Bei den Normen muss man von vorn anfangen

Massiver Handlungsbedarf Der Entwurf des Wirtschaftsministeriums für ein neues Normengesetz hat einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Die Austrian Standards-Direktorin Elisabeth Stampfl-Blaha erklärt im medianet-Exklusivinterview, warum eine 1:1-Umsetzung dieser Vorgaben gar nicht möglich wäre.

Wien. Scharfe Kritik am Entwurf für ein neues Normengesetz hagelte es am 2.7. bei der Vollversammlung von Austrian Standards. Präsident Walter Barfuß zeigte sich überzeugt, dass dieses Gesetz nicht umsetzbar sei; neben zahlreichen „sachlichen, wirtschaftlichen, interessenpolitischen und rechtlichen Irrungen und Wirrungen” seien einige Vorschläge auch schlicht „nicht machbar”.

Vor den negativen Folgen des Entwurfs warnte das deutsche Normungsinstitut DIN. Laut dem Vorstandsvorsitzenden Torsten Bahke würde Österreich im Fall des Inkrafttretens entsprechender Regelungen die deutschen Sprachfassungen Europäischer und Internationaler Normen nicht mehr erhalten, weil dies einfach nicht mehr gestattet wäre.
„Sprachlos” darüber, dass das Normengesetz in Kasachstan fortschrittlicher sei als jenes der österreichischen Regierung, zeigte sich Harald Plöckinger, Vorstandsmitglied der KTM-AG und Vizepräsident von Austrian Standards. Sektionschef Manfred Matzka sprach von einem „wirklichen Unsinn mit zahlreichen Fehlern und einer dilettantischen Legistik”.

Ein neuer Anlauf muss her

Die Direktorin von Austrian Standards, Elisabeth Stampfl-Blaha, appellierte darum zusammenfassend an das BMWFW, „einen neuen Anlauf zu nehmen und zurück an den Start zu kehren. Wir sind bereit.”


medianet:
Frau Stampfl-Blaha, was sind denn die wichtigsten Ärgernisse beim Gesetzesentwurf?
Stampfl-Blaha: Es gibt darin einige Regelungsvorschläge, die in der Realität einfach nicht machbar wären. Normung in Österreich würde verstaatlicht werden, die Entwicklung nationaler Normen bliebe in Zukunft Großzahlern vorbehalten, und unser Land würde sich in diesem Bereich international ins Out manövrieren.

medianet:
Das sind harte Aussagen. Ist es wirklich so schlimm?
Stampfl-Blaha: Definitiv ja. Bloße Änderungen an diesem Entwurf werden nicht genügen, man muss einen völlig neuen Entwurf erarbeiten. Wir sind sicher, dass die Vernunft siegt.

medianet:
Das Wirtschaftsminis­terium schreibt doch von einer Kostenersparnis von rund 1,7 Millionen Euro im Jahr, weil sich die KMU den Jahresbeitrag von 450 Euro ersparen würden?
Stampfl-Blaha: Eintreten würde der genau gegenteilige Effekt. Freilich könnte man für jedes einzelne Normprojekt vorab darüber verhandeln, wer nun wie viel dafür zahlt.

Wir reden dann aber vom 15- bis 20-Fachen dessen, was heute der Teilnahmebeitrag ausmacht. Statt 450 Euro geht es dann um mindes­tens 15.000 bis 20.000 Euro pro neuer Norm – das ist ein wahrer Pyrrhussieg für jene, die gegen den Teilnahmebeitrag wüteten. Denn KMU, Wissenschaft und Forschung, NGO und Zivilgesellschaft wären dann weitestgehend von Normungsinitiativen ausgeschlossen.


medianet:
Würde denn nicht zumindest die vielzitierte ‚Normenflut' eingedämmt?
Stampfl-Blaha: Im Vorjahr wurden knapp 100 nationale Normen publiziert – davon nur 31 neue. Der Zuwachs an Normen geht spätestens seit 2011 deutlich zurück. Im Übrigen wird ja – auch dies ein Vorurteil – die Anzahl der Normen keineswegs von Austrian Standards gesteuert.
medianet: Häufig ist auch von den ‚sündteuren' Baunormen die Rede bzw. die ‚Schreibe'?
Stampfl-Blaha: In der Realität bekommt man heutzutage mit dem eigens für das Bauwesen verwirklichten ‚meinNormenPaket' 200 Normen zum extrem günstigen Preis von rund 200 Euro. Diese Anzahl genügt auch den kritischsten Architekten – dies zum Vergleich mit der mancherorts genannten Gesamtzahl der österreichischen Normen von derzeit 23.424 per Ende 2014. Übrigens hat Austrian Standards gerade für diesen Wirtschaftszweig das Dialogforum Bau Österreich ins Leben gerufen, um hierzulande gemeinsam klare und einfache Bauregeln zu erarbeiten.

medianet:
Was würde denn die Realisierung des Gesetzesentwurfs ‚unter dem Strich' für Ihre Organisation bedeuten?
Stampfl-Blaha: Man würde Austrian Standards ohne jede Kompensation 1,7 Millionen Euro wegnehmen und dem privatrechtlich organisierten Verein ein weitgehendes Erwerbsverbot auferlegen. Und es gäbe keinen Ersatz, denn keine auch nur einigermaßen ernstzunehmende Normungsorganisation weltweit würde sich um eine Lizenzierung im Sinne dieses Entwurfs bewerben.

medianet:
Es gibt also dringenden Handlungsbedarf?
Stampfl-Blaha: Ja, das kam bei der Vollversammlung zweimal dringlich zur Sprache: Sowohl wegen der Verweise auf europäische Normen im Lichte der jüngsten Rechtssprechung – hier drohen der Republik Millionenklagen, wenn nicht rasch rechtlich repariert wird – wie auch wegen des unhaltbaren Normengesetzentwurfs.(pj)

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