Wien. Die Europäische Kommission hat mit ihrer Neuauflage der Beschaffungs-Richtlinien 2014/24/EU (klassische öffentliche Auftraggeber), 2014/25/EU (Sektorenauftraggeber) sowie 2014/23/EU (Konzessionsvergabe) die bislang gültige Wahlfreiheit zur Verwendung elektronischer Medien in öffentlichen Vergabeverfahren durch eine Verpflichtung ersetzt.
Die Richtlinie fordert dabei u.a. die elektronische Bekanntmachung von Unterlagen, die Verwendung elektronischer Teilnahme- und Ausschreibungsunterlagen sowie die rein elektronische Abwicklung der Bieterkommunikation.Diese Vorgaben sind für öffentliche Beschaffer bis 18.10.2018 umzusetzen, für zentrale Beschaffer laut Anhang V BVergG sogar bis 18.4.2016.
Der Status quo
Österreichische öffentliche Beschaffer – insbesondere die „gro-ßen” – sehen sich angesichts dieser Richtlinie aktuell mit der Herausforderung konfrontiert, dass die elektronische Unterstützung der Prozesse (Bedarfsermittlung, Planung/Budgetierung, Bestellwesen, Eingangsrechnungsverarbeitung, …) nicht oder nicht flächendeckend und einheitlich vorhanden ist. Kombinationen aus Standardsoftware und Eigenentwicklungen machen es schwer, den Benutzern – Bietern und eigene Mitarbeiter – eine einheitliche und durchgängige Lösung anzubieten.Dazu kommt, dass Beschaffungs-Prozesse in den verschiedenen Organisationsteilen unterschiedlich gelebt werden; nicht jeder öffentliche Beschaffer wickelt alle seine Einkäufe einheitlich und über eine zentrale Einheit ab.Zur Bewältigung dieser Herausforderung bedarf es einer zielgerichteten Umsetzungs- und Einführungsstrategie. „Warten” als Ansatz scheint verlockend zu sein. Es existieren Standardprodukte für die elektronische Bieterkommunikation sowie Angebotsabgabe und -öffnung am Markt, darunter auch gehostete Lösungen. Die Anpassung der Prozesse sowie die Integration ins Backoffice können später immer noch erfolgen.
Die Pflicht als Chance
Markus Schett, bei 42virtual zu-ständig für das Thema E-Procurement: „So ein Ansatz klingt wie ein kompakter Plan, kann aber mittelfristig teuer werden.” Ein Gedankenexperiment dazu: Stellen Sie sich vor, Sie beschaffen eine Lieferleistung mit 120 Teilpositionen über eine E-Procurement-Plattform und erhalten als Teil derAngebote der Bieter elektronische Kataloge mit Einzelpreisen und strukturierten Detailinformationenje Artikel. Stellen Sie sich weiter vor,Sie transferieren diese Daten nun in Ihr bestehendes Bestellsystem. Und nun kommt die Horrorvision: Sie müssten dazu die Daten abschreiben …Das richtige Scoping des Vorhabens ist für Schett Voraussetzung für den Erfolg: „Die Gefahr bei einem kurzfristig gedachten ‚einfachen' Lösungsansatz ist, dass man in ein lokales Optimum läuft. Zukünftige Kostentreiber sind insbesondere Medienbrüche in der Abarbeitung der Beschaffungs-fälle, sie erzeugen zudem unnötige Qualitätsrisiken.” Es ist sinnvoll, die Richtlinie als Anlass zu nehmen, die Beschaffungsprozesse in der eigenen Organisation zu analysieren und auch zu verbessern – nämlich so, dass sie optimal mit der Ziellösungübereinstimmen. Und unter diesenAspekten betrachtet, ist der 18.10. 2018 nicht mehr so weit entfernt …
Größer denken
Noch ein Gedankenexperiment: Stellen Sie sich vor, Sie schaffen es, Ihre Beschaffungsprozesse in vollem Umfang zu betrachten. Imaginieren Sie, dass Sie erkennen, dass Sie durch die Schaffung von zwei System-Schnittstellen und durch eine lokale Reorganisation in drei Abteilungen 90% Ihres Einkaufsvolumens gleichartig abwickeln können und für 100% Ihrer Beschaffungen einen exakten Status auf Tagesbasis haben.Gewiss ist die anfängliche Investition in die zu errichtende IT-Lösung größer und Sie müssen sich einer potenziell unangenehmen Reorganisation-Aufgabe stellen. Mittelfristig werden Sie so aber Kosten sparen, bessere Entscheidungen treffen und damit notwendige Budgetmaßnahmen im öffentlichen Bereich entspannter betrachten können.„Bei der Einführung von E-Procu-rement geht es nicht um die Software, sondern um die gesamthafte Betrachtung”, fasst Schett zusammen. „Bei einer zielorientierten Be-ratung in so einem Projekt legen wir genau darauf den Fokus. Es geht darum, die Prozesse, die Organisation und die IT in einer Gesamtlösung zusammenzubringen. Und diesen Change zu moderieren, sehen wir als unseren Beitrag in einem derartigen Vorhaben!”(pj)