••• Von Alexander Haide
WIEN. In Irland müsste man sein – denn dort bleiben Arbeitnehmern in Vollzeit im Schnitt 680 € mehr Nettoeinkommen pro Monat als in Österreich. Das ergab eine Berechnung der Agenda Austria. Dénes Kucsera, Ökonom bei Agenda Austria, beantwortet die brennendsten Fragen zum Thema.
medianet: Arbeitet man sich in Österreich arm?
Dénes Kucsera: Es ist keinesfalls so, dass man sich in Österreich arm arbeitet. Österreich hat im EU-Vergleich eine der breitesten und wohlhabendsten Mittelschichten. Nach Umverteilung durch Steuern und Transfers gehört Österreich zu jenen Ländern Europas mit der niedrigsten Einkommens-ungleichheit. Doch das Wohlfahrtssystem kostet sehr viel Geld, das die arbeitende Bevölkerung über Steuern und Abgaben bezahlen muss. Gemessen an den Arbeitskosten, haben Österreichs Arbeitnehmer die viertniedrigsten Nettolöhne in der industrialisierten Welt. Der Aufstieg aus eigener Leistung wird so behindert.
medianet: Weshalb ist es rechnerisch besser, Teilzeit zu arbeiten?
Kucsera: Was das für einen durchschnittlichen Arbeitnehmer in Österreich bedeutet, der Vollzeit arbeitet? Wenn die Arbeit dieser Person so belastet wäre wie in Schweden – bzw. hätte Österreich dieselbe Steuer- und Abgabenbelastung auf Arbeit wie Schweden –, dann blieben dieser Person rund 230 Euro netto mehr im Monat; im Jahr sind es mehr als 2.700 Euro.
Das ist aber nur eine Perspektive. In kaum einem anderen europäischen Land ist die Ausweitung der Arbeitszeit finanziell so unattraktiv wie in Österreich. Stockt beispielsweise eine 20-Stunden-Kraft ihre Arbeitszeit auf 30 Wochenstunden auf, arbeitet sie um 50 Prozent mehr und verdient auch brutto um die Hälfte mehr. Netto bleiben aber nur 28,9 Prozent mehr übrig, weil die Sozialversicherungsabgaben und die Lohnsteuer schneller steigen als das Bruttoeinkommen. Selbst in den Hochsteuerländern Schweden und Dänemark wären das um 43,8 Prozent mehr. Wird die Arbeitszeit von 20 auf 40 Stunden ausgeweitet, steigt die Arbeitszeit um 100 Prozent, ebenso der Bruttolohn. Netto bleiben nur 61,1 Prozent mehr. Das hemmt die Bürger, ihr Potenzial auszuschöpfen. In der Folge sind viele Menschen nicht mehr bereit, sich mit ganzer Kraft zu engagieren. Teilzeitjobs liegen auch deshalb im Trend, weil sich Vollzeit oft nicht lohnt.
medianet: Was müsste passieren, damit Vollzeitarbeit wieder attraktiver wird?
Kucsera: Die Erwerbstätigkeit steigt seit Jahrzehnten nur wegen der Teilzeitbeschäftigung. Jetzt arbeitet mehr als jede zweite Frau in Teilzeit. Dieser steigende Trend ist auch bei Männern zu beobachten. Die Pandemie hat diese Präferenz weiter erhöht. 13 Prozent der männlichen Arbeitslosen suchen nach einer Teilzeitbeschäftigung, bei den Frauen waren es knapp 52 Prozent. Die Teilzeitbeschäftigten sind mehrheitlich zufrieden mit dem Arbeitsausmaß. Bei Frauen möchte nur jede achte mehr Stunden arbeiten, bei Männern ist das jeder sechste.
Die Regierung sollte die hohe Arbeitsbelastung senken, so sollten die mittleren Einkommen am stärksten entlastet werden. Das würde Mehrarbeit belohnen.
Auch ein Sonderabsetzbetrag für Vollzeitbeschäftigte würde die Attraktivität von Vollzeit erhöhen – aber auch dem aktuellen Vollzeitbeschäftigten einen Anreiz geben, das Arbeitsausmaß nicht zu reduzieren. Übersteigt das Stundenausmaß im Durchschnitt des Jahres 35 Wochenstunden, so erhält die Person eine Steuergutschrift, den Sonderabsetzbetrag für Vollzeitbeschäftigte.