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Redaktion 12.06.2020

Eine raue See beutelt den Welthandel heftig

Coface-Analyse: Wo die Krise die globale Wirtschaft trifft und worauf sich Exporteure einstellen müssen.

••• Von Reinhard Krémer

Die Krise beutelt den Globus heftig, und auch der Handel bleibt davon nicht verschont – ganz im Gegenteil. „Der internationale Handel geht in Krisenzeiten tendenziell stärker zurück als das BIP. Daher erwarten wir, dass die weltweite Rezession mit einem starken Rückgang des internationalen Handels zusammenfällt”, sagt Declan Daly, Regional CEO der Coface für Zentral- und Osteuropa.

Das Ausmaß dieser Überreaktion ist heute schwer zu messen, so Daly. Die Welthandelsorganisation (WTO) prognostiziert einen Rückgang des Welthandels um 13 bis 32%. „Diese Schätzung deutet darauf hin, dass alle Regionen einen zweistelligen Rückgang ihres Handelsvolumens erleiden werden”, sagt Daly.

Wie hoch wird das Minus?

Nach dem Prognosemodell von Coface wird der Welthandel im dritten Quartal 2020 im Vergleich zum Vorjahr voraussichtlich um sieben Prozent zurückgehen. Die Berechnungen berücksichtigen den Ölpreis, das Geschäftsvertrauen in das verarbeitende Gewerbe der USA, die südkoreanischen Exporte und den Baltic Dry Index (Transportindex; Anm.).

Das Ergebnis könnte jedoch deutlich schlechter ausfallen, da die üblichen linearen Modelle nur bedingt genutzt werden können. „In Zeiten negativer wirtschaftlicher Bedingungen ist eine starke Zunahme der Unsicherheit einer der Gründe für die Überreaktion des Handels auf das BIP. Aktuell befindet sich diese Überreaktion auf einem Allzeithoch”, so der Coface-Manager.
Protektionismus ist ein weiterer erschwerender Faktor. Seit Beginn der globalen Gesundheitskrise scheint sich der Handelsprotektionismus darauf zu konzentrieren, die Versorgung der Länder mit Nahrungsmitteln und lebenswichtigen medizinischen Produkten sicherzustellen. Bis zum 22. April standen 56% der 193 von Global Trade Alert registrierten Handelsmaßnahmen im Zusammenhang mit dem oben genannten Ziel.

Auffälliges in China

Die meisten Maßnahmen (110) betrafen Ausfuhrverbote für Masken und andere Schutzausrüstungen, Atemschutzgeräte und Chemikalien, die bei der Herstellung verschiedener Medikamente benötigt werden.

In dieser Zeit erleichtern die Importeure die Einfuhr von Medizinprodukten, während die Exporteure die Ausfuhr erschweren. Auffällig ist die Entwicklung in China: Obwohl die medizinischen Exporte im Februar 2020 inmitten einer lokalen Gesundheitskrise um 15% zurückgingen, zeigte China mit dem dominierenden Marktanteil von 55,3% an den globalen Maskenexporten ihre Schlüsselrolle in der Versorgung. Chinas Tagesproduktion ist auf 116 Mio. Masken angestiegen. Das ist zwölfmal so viel wie vor der Pandemie.
Die Krise hat auch zu verstärktem Protektionismus im Agrar- und Lebensmittelsektor geführt. Die Wellen von Panikkäufen, die durch die Aussichten auf einen Lockdown ausgelöst wurden, waren nicht auf die privaten Haushalte beschränkt.

Restriktionen bei Weizen

Einige Länder begannen, Getreide zu lagern, um die Kontinuität ihrer nationalen Nahrungsmittelversorgung zu gewährleisten. Heute unterliegt ein Drittel des Weizenangebots auf dem Markt vorsichtigen restriktiven Maßnahmen der wichtigsten Exporteure – allen voran Russland.

Zum jetzigen Zeitpunkt haben die Exportverbote vor allem dazu geführt, dass sich die Nachfrage auf europäische Länder wie Frankreich verlagert hat, statt zu Lieferengpässen zu führen. Neben Weizen ist Reis derzeit ein weiteres begehrtes Erzeugnis. In Indien, dem wichtigsten Reis-Exporteur der Welt, können die Lieferungen nicht mehr sichergestellt werden. Sperrmaßnahmen haben die inländischen Lieferketten unterbrochen, die Verfügbarkeit von Arbeits­kräften verringert und den Zugang zu den Ausfuhrhäfen erschwert.

Preis für Reis explodierte

Obwohl Indiens Hauptkonkurrent Thailand über ausreichend Reisvorräte verfügt, werden die Exporte durch Lockdown-Maßnahmen in Kambodscha behindert. Diese blockieren die dringend benötigten Saisonarbeiter. Der Reispreis erreichte schließlichEnde März ein Siebenjahreshoch.

Die während der Abriegelung durchgeführten Grenzkontrollen hatten dennoch nur begrenzte Auswirkungen auf den Handel.
Diese werden nun in Europa schrittweise gelockert, um die Tourismusindustrie wiederzubeleben und den Arbeitskräftemangel, insbesondere im Agrarsektor, zu bekämpfen. „Längerfristig stellen die Forderungen nach lokaler Produktion ein weiteres Risiko für den Welthandel dar”, so Coface-Experte Declan Daly.

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