HEALTH ECONOMY
© dpa-Zentralbild/Patrick Pleul

Das Impfbewusstsein in der Bevölkerung nimmt ab, kritisieren Experten; damit lässt der sogenannte Herdenschutz nach.

22.01.2016

Samstag war Stichtag

Gut 800 Experten diskutierten am Wochenende im Austria Center Vienna die Zukunft personalisierter Impfungen und universeller Impfprogramme.

••• Von Ina Karin Schriebl

WIEN. Die bisher gültige, generelle Impf-Strategie „eine Impfung passt für alle” wird künftig nicht mehr für alle Personengruppen in einer demografisch sich stark verändernden Bevölkerung anwendbar sein. Es wird daher – mehr als früher – nötig sein, personalisierte Strategien zu entwickeln und die Menschen ganz spezifisch, angepasst an mögliche, individuelle immunologische oder genetische Veränderungen, zu impfen: „Wir stehen damit am Beginn einer neuen Ära”, sagte Ursula Wiedermann-Schmidt, Leiterin des Instituts für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin der MedUni Wien und wissenschaftliche Leiterin des österreichischen Impftags, der am vergangenen Samstag in Wien stattfand – unter dem Motto „Personalisierte Medizin: Personalisierte Impfungen?”

Risikogruppen identifizieren

Bei der personalisierten Impfung geht es zunächst darum, die Risikogruppen herauszufiltern, betonte Wiedermann-Schmidt. Dazu gehören Frühgeborene, ältere Menschen, aber auch Personen, die mit Biologika – etwa bei Autoimmunerkrankungen wie Rheuma oder bei Krebs- und Hauterkrankungen – behandelt werden, aber auch das Gesundheitspersonal.

Die Möglichkeiten für eine spezialisierte Impfstrategie sind vielfältig: Es könnte sinnvoll sein, doppelt zu impfen, mit geändertem Impf-Intervall, mit einem Impfstoff mit stärkeren Adjuvantien oder andere Impfrouten als die übliche intramuskuläre Route zu wählen. In der Praxis bedeutet das zum Beispiel: Wenn eine Person mit einer Autoimmunerkrankung eine Vierfach-Impfung Diphterie/Tetanus/Polio/Keuchhusten erhält, ist es ratsam, bald danach eine Impferfolgskontrolle zu machen und zu evaluieren, „ob die Impfung überhaupt angeschlagen hat”, veranschaulichte Wiedermann-Schmidt: „Bereits in der gesunden Bevölkerung finden wir ein bis zehn Prozent, die nach Impfungen keinen ausreichenden Schutz aufbauen können. Diese Menschen nennt man Non-Responder. Unter bestimmten Therapien oder bei chronischen Erkrankungen ist daher anzunehmen, dass dieser Prozentsatz viel höher liegt.”
Für die Forschung wird das zukünftig bedeuten, dass neue Impfstoffe entwickelt werden müssen, die ebenfalls ganz speziell an die Bedürfnisse dieser Risikogruppen angepasst sind: „Zur Identifizierung bestimmter Risikogruppen werden neue Technologien wie Transcriptomics zur Anwendung kommen”, erklärte Wiedermann-Schmidt. Dabei sollen im Blut Biomarker zur Erkennung genetischer oder immunologischer Veränderungen gefunden werden, die dafür verantwortlich sind, dass jemand zu einem „Non-Responder” wird.
„Dank der ,personalisierten Medizin' können nun zunehmend auch jene Personengruppen geimpft werden, die bislang wegen ihres schwachen Immunsystems von Impfungen ausgeschlossen waren, wie zum Beispiel Krebspatienten oder junge Säuglinge”, ergänzte der Impfreferent der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK), Rudolf Schmitzberger.

Impflücken schließen

Während einige Risikogruppen wie etwa Krebspatienten, Auto-Immun-Erkrankte sowie ältere Menschen bekannt sind, gestaltet sich das Identifizieren weiterer Risikogruppen noch als schwierig. Zudem fehlen derzeit – bis auf die Daten von den verpflichtenden Impfungen bei Babys und Kleinstkindern – Impfdaten, die Rückschlüsse auf die reale Durchimpfungsrate in der Erwachsenen-Bevölkerung zulassen. Von der Einführung des elektronischen Impfpasses, wie er bei ELGA mitdiskutiert und geplant wird, erhofft sich Wiedermann-Schmidt daher, schneller Impflücken in der Bevölkerung und Risikogruppen identifizieren zu können, um entsprechende Impfprogramme und Nachholimpfungen zu installieren.

Der OECD-Bericht „Health at a Glance 2015” hat erst vor Kurzem ergeben, dass Österreich hinsichtlich der Impfrate gegen Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten hinter Ländern wie Indonesien und Kolumbien rangiert. Bei der Impfrate gegen Masern platziert sich die Republik auch hinter Costa Rica, Chile und Mexiko. Eine beim ­Österreichischen Impftag präsentierte Aktion soll nun weiterhelfen: Ein „Geimpft – Geschützt – Sicher”-Ansteckbutton, mit dem Ärzte und andere zeigen können, dass sie ausreichend immunisiert sind: „Sichtbarmachen, ohne den Zeigefinger zu erheben und dabei bei sich selbst beginnen, sind die Kernpunkte der unabhängigen Impfinitiative. Wer sichtbar macht, geimpft zu sein, strahlt Sicherheit aus und ist sicher – für sich, aber auch für seine Mitmenschen”, erklärte Wiedermann-Schmidt.

Mangelndes Problembewusstsein

„Betrachtet man die Impfsituation in Österreich aus internationaler Perspektive, ist die Lage laut OECD-Bericht als kritisch zu betrachten. Mangelndes Problembewusstsein führt zur Nachlässigkeit. Schon heute erkranken immer mehr Menschen an Krankheiten, für die ein sicherer und kostengünstiger Impfschutz besteht. Dies führt – unnötigerweise – zu individuellem Leid und hohen Kosten”, sagte dazu der Public Health-Experte Armin Fidler.

„Die Durchimpfungsraten in ­Österreich können nur dann erhöht werden, wenn die Bevölkerung umfassende und gut verständliche Informationen über Nutzen und allfällige Risiken von Impfungen erhält”, stellte Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ) fest. Daher sei der neue österreichische Impfplan nicht nur entsprechend der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse aktualisiert, sondern auch übersichtlicher gestaltet ­worden.

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