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Dinko Fejzuli 15.07.2016

„Dann brechen vor der Wahl plötzlich die Gräben auf …”

ORF-General Alexander Wrabetz im Interview über überraschende Gegenkandidaten, seine bisherige Amtszeit – und Wetterkameras.

••• Von Dinko Fejzuli

Am 9. August 2016 möchte Alexander Wrabetz das Kunststück schaffen und für eine dritte Geschäftsperiode in Folge als ORF-Generaldirektor wiedergewählt werden. medianet bat knapp vier Wochen davor zum Interview


medianet:
Nach zwei Perioden als ORF-Generaldirektor: Wo lagen die größten Herausforderungen bzw. Umwälzungen, die bisher zu bewältigen waren?
Alexander Wrabetz: Einerseits hat uns natürlich, wie alle Medien­unternehmen, die globale Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 getroffen, von der sich die Wirtschaft bis jetzt nicht richtig erholt hat. Der ORF hat diese Krise aber gut bewältigt und ging gestärkt daraus hervor. Wir haben damals, gemeinsam mit der Kaufmännischen Direktorin Sissy Mayerhoffer, ein umfangreiches Kostensenkungsprogramm entwickelt und umgesetzt und jetzt wesentlich schlankere Kosten- und Personalstrukturen als vor 2008.

Die zweite große Umwälzung war der anhaltende Prozess der Marktsegmentierung und Digitalisierung. Auch das hat der ORF – auch im internationalen Vergleich – beispielhaft bewältigt. Wir liegen heute im Marktanteil so gut wie seit fünf Jahren nicht, trotz einer massiv gestiegenen Anzahl von Angeboten im klassischen linearen Bereich, im On-demand-Bereich und generell im Bereich digitaler und Sozialer Medien. Der ORF hat in meiner Amtszeit seine TV-Flotte mit der Gründung von ORF III und dem Ausbau von ORF Sport plus deutlich gestärkt und sich auch im Digitalbereich gut aufgestellt, mit neuen Angeboten von der TVthek über diverse Apps bis zu aktuell neuen Streaming-Plattformen wie Flimmit oder Fidelio.


medianet:
Waren hier die Rahmenbedingungen, die Ihnen der Gesetzgeber hierfür stellt, ausreichend, oder hätten Sie sich manchmal etwas mehr Spielraum gewünscht?
Wrabetz: Wir brauchen bei der Entwicklung neuer Angebote im digitalen Bereich wie z.B. Apps mehr Spielraum, vor allem kürzere Genehmigungsprozesse. Eine Verfahrensdauer von sechs Monaten ist in der heutigen Medienwelt zu lange. Die Gebührenzahler haben das Recht, den von ihnen finanzierten ORF-Content plattformunabhängig und so convenient wie möglich angeboten zu bekommen.

medianet: Und wie sieht es mit künftig auftretenden, extern gesteuerten Herausforderungen aus, denen sich der ORF in der nächsten Geschäftsführungsperiode ­stellen wird müssen, und wie sehen dazu Ihre Vorstellungen aus?
Wrabetz: Die Herausforderungen sind klar: ein sich weiter beschleunigender technologischer Wandel, die weitgehend unregulierten globalen Player wie Google oder Facebook und – das ist mir besonders wichtig: Wie gehen wir als ORF mit dem gesellschaftlichen Wandel, mit der Verunsicherung und Polarisierung der Gesellschaft in Österreich und in ganz Europa um, was ist unsere gesellschaftspolitische Rolle und Verantwortung in den nächsten Jahren, also eine Art neuer Gesellschaftsvertrag des ORF mit seinen Eigentümern, der österreichischen Bevölkerung.

Die Antwort auf all diese Fragen: Nähe zum Publikum, Glaubwürdigkeit, österreichische Inhalte und Perspektiven, Innovation als Teil der Unternehmenskultur in allen Bereichen verankern, und was Technologie und Plattformen betrifft: dort sein, wo die Menschen sind.


medianet:
Apropos österreichische Inhalte. Innerhalb der ORF-Flotte kommen vor allem auf ORFeins langfristig wohl aufgrund dessen Programmierung und des sich ändernden TV-Geschmacks schwierige Zeiten zu. Wie können Sie hier gegensteuern?
Wrabetz: Dieser Prozess ist ja längst im Gange. US-Serien und -Spielfilme verlieren an Attraktivität, vor allem was die Repertoire-Fähigkeit, also die Wiederholbarkeit, betrifft. Das ist bei Eigenproduktionen wie z.B. ‚Vorstadtweiber' oder ‚Schnell ermittelt' ganz anders.

Die Zukunft von ORFeins lautet ganz klar: Events von Sport bis Unterhaltung – ich halte die nachhaltige Sicherung von Premium-Sport-Rechten für den ORF für strategisch sehr wichtig – noch mehr Information und Infotainment, mehr Doku und Talk und mehr fiktionale Eigenproduktionen. Ganz wird man aber auch in Zukunft auf globale Fiction nicht verzichten können, aus finanziellen Gründen, aber auch, weil internationale Hochglanz-Produktionen natürlich nach wie vor nachgefragt werden.

medianet: Eine Frage zu ORF2 und einer wesentlichen Neuerung hier, dem Frühfernsehen mit ­‚Guten Morgen Österreich'. In einem Interview in der TT meinten Sie, dies sei kein ‚Morgen-CNN'.

Die Folge ist aber, dass man etwa nach der Brexit-Nacht in der ORF-Berichterstattung den Eindruck gewinnen konnte, diese sei nicht von Bedeutung gewesen.
Gleichzeitig hat man das Feld den Privaten überlassen. Wäre eine umfangreichere aktuelle Berichterstattung wenigstens in einem solchen Fall nicht angebracht gewesen?

Wrabetz: Dazu ist zunächst festzuhalten, dass kein anderer Sender in Österreich so viele Sondersendungen zum ‚Brexit' gemacht hat wie wir. Auch in den frühmorgendlichen ‚ZiBs', die ich ja im März dieses Jahres zugleich mit ‚GMÖ' eingeführt habe, wurde natürlich über den Brexit berichtet. Dass wir nicht umfangreich berichtet haben, stelle ich in Abrede. Und dass eine neue Morgenschiene mit sechs zusätzlichen ‚ZiB'-Sendungen jetzt im ORF-Wahlkampf als Argument für zu wenig ORF-Information genutzt wird, ist natürlich absurd.

Allerdings arbeiten und feilen wir permanent am Konzept von ‚GMÖ' – das Format entwickelt sich gut und ich kann mir sehr wohl vorstellen, in einem nächsten Schritt und bei bestimmten ‚Breaking News'-Fällen mehr aktuelle News in die Morgen-Schiene zu integrieren.


medianet:
Bei ‚Guten Morgen Österreich' wird stark auf regionale Inhalte gesetzt – welche Bedeutung wird künftig in einer durch die Digitalisierung völlig globalisierten TV-Welt regionaler Content haben?
Wrabetz: Regionalisierung und Nähe sind sicher essenzielle Zukunftsthemen für Medien. Die globalisierte TV-Welt ist da kein Widerspruch, im Gegenteil. Gerade das weckt bei vielen eine neue Sehnsucht nach dem, was vor der Haustür passiert. Was wir sicher nicht sind und auch nicht werden: ein Nabelschau betreibender Provinzsender. Wir sind alles: Heimatsender, Fenster zur Welt und starke Stimme Österreichs im Konzert der großen Medien.

medianet:
Und in dieses Konzept passen auch Live-Wetterkamera-Bilder hinein?
Wrabetz: Ja, ich halte einige Minuten Wetterpanorama für einen zulässigen Inhalt einer Früh-TV-Strecke.

medianet:
Lassen Sie uns über die Strukturen des ORF sprechen: Sie selbst haben sich etwa gegen einen Zentral-Chefredakteur ausgesprochen. Zur politischen Unabhängigkeit des ORF bzw. deren Gremien eine Frage: Auch wenn die Direktoren auf Vorschlag des ORF-Generaldirektors gewählt werden – für wie frei halten Sie die Stiftungs­räte in ihrer Entscheidung tatsächlich? In Wirklichkeit ist doch eine überwiegende Mehrzahl von diesen in irgendeiner Weise irgendeiner Partei verpflichtet.
Wrabetz: Die Stiftungsräte sind per Gesetz dem Wohl des ORF verpflichtet und sonst niemandem; in ihrer Funktion haften sie nach dem Aktienrecht mit ihrem Privatvermögen. Somit ist es wohl auch im höchstpersönlichen Interesse jedes Stiftungsrats, dem ORF verpflichtet zu sein und nicht einer Partei.

Auch die Erfahrung der letzten zehn Jahre zeigt, dass das Abstimmungsverhalten im Stiftungsrat zuallermeist nicht entlang sogenannter Freundeskreis-Grenzen verläuft, auch bei meinen bisherigen zwei Wahlen und denen meiner Direktoren nicht …


medianet:
… trotzdem. Wäre es vom Gesetzgeber nicht ehrlicher gewesen, gleich Parteiangestellte, so wie früher im ORF-Kuratorium, vorzusehen, als vordergründig eine Entpolitisierung durchzuführen, diese aber durch die Hintertür via Entsenderegeln wieder de facto einzuführen?
Wrabetz: Ich kommentiere als Geschäftsführer den Gesetzgeber nicht, was die Zusammensetzung des Aufsichtsgremiums betrifft, aus meiner Sicht und Erfahrung macht es aber schon einen Unterschied, ob Parteisekretäre oder Manager, Anwälte und Unternehmer im Gremium vertreten sind.

medianet
: Und in der Ebene darunter? Hier haben wiederum die Landeshauptleute ein Anhörungsrecht. Haben Sie schon einmal einen Landesdirektor gegen den expliziten Willen eines Landeshauptmanns ‚durchgedrückt'?
Wrabetz: Ja, habe ich.

medianet:
Mit dem kaufmännischen Direktor Grasl haben Sie nun einen Gegenkandidaten. Er meinte kürzlich in einem medianet-Interview, er sei über Entscheidungen mit finanzieller Tragweite erst im Nachhinein informiert worden bzw. habe von diesen nur via Zeitung erfahren. Wissen Sie, was genau er meinen könnte?
Wrabetz: Nein, ich möchte das auch nicht kommentieren. Nur soviel: Bemerkenswert ist schon, dass offenbar jahrelang alles passt und man erfolgreich im Team arbeitet und dann plötzlich kurz vor der ORF-Wahl von einer Seite aus tiefe Gräben aufbrechen, aufgrund derer man den unbändigen Drang verspürt, sich selbst bewerben zu müssen.

medianet:
Für Ihre Ankündigung, bei einem Wahlerfolg nicht mehr mit Richard Grasl zusammenarbeiten zu können, mussten Sie auch Kritik einstecken. Verstehen Sie diese?
Wrabetz: Ich habe keine Kritik dazu gehört, zumal es sich ja von selbst versteht. Wenn ein Kandidat sagt, er tritt aufgrund unüberbrückbarer inhaltlicher Differenzen mit dem Generaldirektor selbst an, wie sollte dann eine weitere Zusammenarbeit in der jetzigen Konstellation funktionieren? Das wäre ja nur dann möglich, wenn die Begründung der Kandidatur ein Schmäh war und davon gehe ich nicht aus.

medianet:
Als einen der Gründe für mögliche Gräben nennt Grasl Ihr Beharren auf der Alleingeschäftsführung. Betrachtet man andere Unternehmen in der Größe des ORF, so ist ein Vorstandsprinzip eher die übliche Form. Abgesehen davon, dass das aktuelle ORF-Gesetz eine andere Form nicht zulässt: Warum braucht der ORF eine Alleingeschäftsführung?
Wrabetz: Das 2010 mit Zweidrittelmehrheit beschlossene ORF-Gesetz sieht eine Alleingeschäftsführung vor. Worum es geht, ist eine Weiterentwicklung der Governance für die Geschäftsführung im Rahmen des Gesetzes. Eine solche Geschäftsordnung wird die Transparenz und die interne Zusammenarbeit verbessern, den gesetzlichen Alleingeschäftsführer aber nicht seiner Letztverantwortung entheben.

Ich habe ja bereits vor einigen Monaten, also lange vor Richard Grasl, thematisiert, dass man innerhalb des Direktoriums natürlich transparentere Entscheidungsprozesse, auch gegenüber dem Stiftungsrat, entwickeln kann. Schon bisher wurden ja fast alle Entscheidungen gemeinschaftlich getroffen, wenn es abweichende Meinungen gibt oder der Generaldirektor von seinem Letztentscheidungsrecht Gebrauch macht, bin ich dafür, dass zukünftig auch gegenüber dem Stiftungsrat transparent zu machen.
Generell bin ich für mehr Autonomie und Verantwortung in den Direktionen und Bereichen und ich halte wenig davon, operative Entscheidungen in einem Führungs-gremium von 30 Personen zu diskutieren, wie das ja auch schon kolportiert wurde, und dann geschmäcklerisch darüber abzustimmen, wie eine Moderation besetzt wird oder irgendeine Studio-Deko aussieht.


medianet:
Autonomie ist ein gutes Stichwort; Sie haben angekündigt, hier einiges ändern zu wollen. Warum waren Dinge wie etwa die Stärkung des Redakteurs­statuts bisher nicht umsetzbar?
Wrabetz: Einerseits ist nie alles gleichzeitig umsetzbar, und zum zweiten ändern sich auch Rahmenbedingungen und zuweilen auch persönliche Meinungen. Ich halte die Zeit für gekommen, die Redakteursrechte im ORF weiter auszubauen. Das stärkt unsere Glaubwürdigkeit und redaktionelle Freiheit in der Gegenwart und schützt den ORF auch in einer allfälligen Zukunft, wo es vielleicht wieder schwieriger wird, unabhängigen Journalismus zu betreiben.

medianet: Wie weit soll diese Freiheit gehen? Manche Redakteure, wie etwa Armin Wolf und andere bekannte ORF-Gesichter vertreten in diversen Fragen etwa via Twitter und Facebbok eine sehr pointierte Meinung. Hier wird immer diskutiert, wie weit sich ORF-Mitarbeiter zu gewissen Dingen öffentlich äußern können bzw. sollen. Wie ist hier Ihr Standpunkt?
Wrabetz: Ich habe hier einen sehr klaren Standpunkt. Ich begrüße es sehr, wenn journalistische Aushängeschilder wie Armin Wolf, Ingrid Thurnher, Hans Bürger oder Susanne Schnabl, um nur einige zu nennen, in Sozialen Netzwerken aktiv sind und ORF-Programme thematisieren, aber auch mit anderen Usern zu diskutieren. Das stärkt unsere Glaubwürdigkeit und unsere journalistische Kompetenz.

Zu 99 Prozent gibt es da auch keinerlei Anlass zur Diskussion, ob etwas zulässig ist oder nicht. Die wenigen Einzelfälle, über die man diskutieren kann, besprechen wir intern. Aber Maulkörbe oder einen Twitter-Elmayer der Personalabteilung wird es mit mir sicher nicht geben, da halte ich unsere Journalisten für mündig genug.


medianet:
Werde Sie mit einem Team antreten – und können Sie zusichern, dass dieses Mal mehr als nur eine Frau dabei sein wird? Das hatten Sie zumindest in den letzten Jahren immer wieder angekündigt …
Wrabetz: Ein Teil meines Teams ist ja bekannt. Und mein Ziel ist es, den Frauenanteil auch im Top-­Management weiter zu erhöhen.

medianet:
Ein mögliches Team­mitglied, Thomas Prantner, hat bereits angekündigt, für einen Direktorenposten zu kandidieren. Man sagt ihm nach, neben Online vor allem die Radio-Agenden im Auge zu haben. Was sagen sie zu seiner Ankündigung?
Wrabetz: Thomas Prantner hat einen sehr herzeigbaren Record in verschiedensten ORF-Funktionen und ist für viele Aufgaben geeignet. Ankündigungen zu Bewerbungen kommentiere ich nicht, zunächst wird der Generaldirektor bestellt und danach schreibt er die Direktionen aus und schlägt dann dem Stiftungsrat sein Team vor.

medianet:
Zum Abschluss: Wie sieht denn Ihre ganz persönliche Bilanz als Generaldirektor des ORF bisher aus?
Wrabetz: Ich möchte dem Stiftungsrat bei der Bewertung meiner Bilanz nicht vorgreifen, aber ich denke, sie ist durchaus herzeigbar. Wir sind bei allen relevanten Parametern – Finanzen, Programm-Performance, also Reichweiten und Marktanteile, und uns zugeschriebener Programmqualität und Unabhängigkeit – inzwischen ein Rolemodel unter den Öffentlich-rechtlichen in Europa.

Erfolge wie der Sieg und die Austragung des ESC oder internationale Auszeichnungen, von Oscar bis Emmy für ORF-Co-Produktionen, sind dann ein zusätzliches Plus.


medianet:
Was macht Alexander Wrabetz am 1. Jänner 2017, sollte er die Wahl am 9. August nicht gewinnen?
Wrabetz: Damit beschäftige ich mich nicht.

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