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Redaktion 09.04.2021

Das Dilemma, die Nette zu sein

Ob Politik oder Journalismus: Das Märchen „Des Kaisers neue Kleider” ist oft sehr real.

Kommentar ••• Von Dinko Fejzuli

NOBLESSE. Mittlerweile firmiert der Vorfall, bei dem die EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen bei einem gemeinsamen Treffen mit dem ihr protokollarisch gleichgestellten EU-Ratspräsident Charles Michel beim türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan keinen Sessel bekam und weit ab von den beiden Herren sitzen musste, unter dem Hashtag #Sofagate.

Zurückhaltung ist nicht immer angebracht

Dass die Situation nicht eskalierte, ist allein von der Leyen zu verdanken, denn in Wahrheit hätte sie die Situation, die die türkische Seite sicherlich mit voller Absicht provozierte, indem einfach für drei Menschen zwei Stühle hingestellt wurden, mit einem demonstrativen Verlassen des Raumes quittieren müssen. Das tat sie aber nicht – und damit genau das, was Menschen oft tun, wenn sie auf eine Situation treffen, in der sich jemand nicht entsprechend benimmt: sie deeskalieren. Manche im Europa meinen, eine Reaktion nach dem Spruch „Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil” hätte mehr dem Verhalten der beiden Herren entsprochen, aber so ist von der Leyen eben – Gott sei Dank – nicht.

Manchmal ist das aber schade, denn ich denke, eine deutliche Reaktion auf unmögliches, (eben oft) männliches Verhalten einer Frau gegenüber würde vermutlich manchmal wirklich helfen.

Oder auch, wenn eine Ministerin nur Fragen auf ihre eigenen Antworten wünscht, wenn Parteien absichtlich Pressekonferenzen zu Hintergrundgesprächen umwandeln, um unliebsame Journalisten nicht einladen zu müssen, oder den selben Kolleginnen und Kollegen keine Möglichkeit geben, bei öffentlichen Presseterminen – weil vermutlich kritische – Fragen zu stellen.

Hier müsste – analog zum Märchen „Des Kai­sers neue Kleider”, wo einzig ein Kind das ausspricht, was in Wahrheit alle sehen, nämlich dass der Kaiser nackt ist – auch mal der eine oder ­andere Kollege aufstehen und „nein” zu solchen Methoden sagen, denn dann würden eventuell auch die Politiker mal ganz schön nackt aus­sehen.

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