••• Von Dinko Fejzuli
Seit 1995 ehrt der PRVA mit dem „Kommunikator des Jahres” eine Person des öffentlichen Lebens, die durch ihre herausragende kommunikative Leistung auf gesellschaftspolitisch relevante Themen aufmerksam macht und hauptsächlich in Österreich agiert. medianet sprach mit dem diesjährigen Sieger, Caritas Wien-Generalsekretär Klaus Schwertner.
medianet: Als ‚Kommunikator des Jahres' befinden Sie sich in einer Reihe mit Armin Wolf, Hannes Androsch, Conchita Wurst oder Johanna Rachinger. Wie ist das Gefühl?
Klaus Schwertner: Es ist eine unglaublich große Ehre. Ich kann nicht so gut moderieren wie Armin Wolf und schon gar nicht so gut singen wie Conchita Wurst und dennoch fiel die Wahl auf mich. Bei aller Bescheidenheit darf ich doch auch sagen: Das freut mich sehr und es erfüllt mich auch ein klein wenig mit Stolz. Wenn man in der Öffentlichkeit immer wieder auf die Not armutsbetroffener Menschen hinweist – auf Not, die es auch in unserem Land gibt –, dann macht man sich damit nicht nur beliebt. Vor diesem Hintergrund ist es auch im Interesse jener Menschen, die wir in unserer tagtäglichen Arbeit begleiten – in den Sozialberatungsstellen, in der Obdachloseneinrichtung Gruft oder in den Flüchtlingsunterkünften –, toll, wenn dieses Auf-Not-Aufmerksam-Machen gewürdigt wird. Dafür möchte ich mich recht herzlich bedanken. Und den Menschen, für die wir Tag für Tag einstehen, möchte ich diesen Preis daher auch widmen.
medianet: In der Jury-Begründung steht: ‚Er setzt thematische Kontrapunkte, legt mitunter den Finger in Wunden, weil er Sichtweisen positioniert, die nicht immer dem Mainstream entsprechen.' Wie sehr deckt sich diese Beschreibung mit Ihrer eigenen Kommunikationsagenda?
Schwertner: Ganz ehrlich: Ich habe keinen Kommunikationsplan und keine genaue Kommunikationsagenda. Wenn von außen ein gegenteiliger Eindruck entstehen sollte, dann liegt das vielleicht daran, dass derzeit ganz einfach sehr viele soziale Errungenschaften, auf die unser Land zu Recht stolz sein kann, auf sehr gefährliche Art und Weise infrage gestellt werden. Entwicklungen, auf die ich, auf die die Caritas reagieren muss. Ein ‚gutes' Beispiel ist die derzeit sehr widerlich geführte Diskussion rund um die Mindestsicherung.
Die Art und Weise, wie hier einzelne Politiker über armutsbetroffene Menschen sprechen, macht mich fassungslos. Der Skandal besteht ja nicht darin, dass wir uns als Gesellschaft darauf geeinigt haben, Menschen mit der Mindestsicherung vor dem sozialen Absturz zu bewahren. Der Skandal besteht darin, dass immer mehr Menschen auf diese Hilfe angewiesen sind.
Anstatt auf armutsbetroffene Männer, Frauen und Kinder hinzutreten, sollten die verantwortliche Politiker lieber die Rekordarbeitslosigkeit bekämpfen und sicherstellen, dass es wieder genügend Arbeit gibt, von der man auch leben kann.
Die Caritas hat einen klaren Auftrag: Not sehen und handeln. Und sie hat einen zweiten Auftrag – einen anwaltschaftlichen. Es gilt, das Unrecht, das wir in unserer täglichen Arbeit wahrnehmen, zu benennen und nicht mit Weihrauch zu beduften.
medianet: Gerade hier wurden Sie einer breiteren Öffentlichkeit im Zuge der Flüchtlingskrise und Ihres Einsatzes am Wiener Westbahnhof bekannt. Auf das Flüchtlingsthema reduzieren lassen wollen sie sich aber nicht.
Schwertner: Nein, weil es der Wirklichkeit einfach nicht gerecht wird. Wir sind in der Flüchtlingsarbeit ebenso im Einsatz wie für langzeitarbeitslose Menschen oder für Menschen, die kein Dach mehr über dem Kopf haben. Wir sind für Alleinerziehende da und begleiten Menschen in der Hospizarbeit am Ende ihres Lebens. Wiener, Niederösterreicher, Menschen, die aus Syrien geflohen sind, ebenso wie Menschen, die ihre Wohnung in der Steiermark verloren haben. Die Würde all dieser Menschen ist immer dieselbe – und unser Auftrag ist es auch: Not sehen und handeln. Ganz gleich, wie das Gegenüber heißt, und völlig egal, woran dieser Mensch glaubt. Außerdem bin ich überzeugt: Diese ständige Verengung auf das Flüchtlingsthema nervt sehr viele Menschen in unserem Land. Und vielleicht überrascht Sie das: Mir geht es oft genauso. Im Vorjahr haben knapp 90.000 Menschen einen Asylantrag in Österreich gestellt. Das ist fordernd, keine Frage.
Doch gleichzeitig gibt es in Österreich derzeit mehr als 400.000 arbeitslose Menschen, mehr als 450.000 Personen sind auf Pflegegeld angewiesen. Und knapp 220.000 Männer und Frauen wissen in dieser Sekunde nicht, wie sie ihre Wohnung heizen sollen. Wir dürfen auch die Not dieser Menschen nicht aus dem Blick verlieren. Und wir sollten die Not der einen nicht ständig gegen die Not der anderen ausspielen.
medianet: Um den erwähnten Blick auf Betroffenen zu lenken, nutzen sie auch Soziale Medien. Wie sehr haben diese Ihre Arbeit erleichtert?
Schwertner: Keine einfache Frage. Einerseits sind die Sozialen Medien für uns eine große Hilfe, wenn es etwa darum geht, rasch und unbürokratisch zu helfen. Wir haben das im Vorjahr gesehen, als es darum ging, in kürzester Zeit Lebensmittel und Freiwillige für den Westbahnhof zu organisieren. Und wir sehen es heute, wenn wir etwa Schals und Mützen für die Obdachloseneinrichtung Gruft benötigen. Tausende User sagen: ‚Wir helfen.' Hier sind Facebook und Co eine wichtige Hilfe. Andererseits bereiten mir der Hass, die Unwahrheiten und die Parolen, die im Netz rasch in Umlauf gebracht werden, große Sorgen.
Menschen werden in verschiedensten Echokammern an den Pranger gestellt und es wird unwidersprochen zur Gewalt aufgerufen. Und Zehntausenden Usern ‚gefällt das' auch noch.
Hier würde ich mir auch von Verlagen und Medienhäusern, von Facebook&Co, aber auch von politischen Parteien noch mehr Engagement wünschen. Denn in ihren Foren und auf ihren Fanseiten sind häufig indiskutable Postings und verhetzende Kommentare zu finden, die wochenlang nicht gelöscht werden – Postings und Kommentare, die noch jahrelang das gesellschaftliche Klima in unserem Land vergiften werden. Und die vielfach ein Fall für die Justiz sind.
medianet: Apropos Fall für die Justiz: Sie selbst sind auch in vielen dieser Postings Ziel von Angriffen. Wie geht man mit diesen, die ja bis hin zu Drohungen gehen können, um?
Schwertner: Ich habe irgendwann aufgehört, zu versuchen, jene, die mich online attackieren, mit Argumenten zu überzeugen. Die Positionen haben sich dabei immer nur weiter verhärtet.
Stattdessen habe ich begonnen, Fragen zu stellen und mich mitunter auch mit den Menschen zu treffen. Oft habe ich gemerkt: Hinter der Wut und dem Hass verbergen sich oft Unsicherheit und konkrete Notlagen. Darum meinte ich zuerst ja auch: Wir dürfen die Not der Österreicherinnen und Österreicher jetzt nicht aus dem Blick verlieren.
medianet: Um dieses und andere Ziele zu erreichen: Wie weit ist Ihre Tätigkeit auch politisch?
Schwertner: Als Caritas sagen wir: Wir sind weder rot, noch schwarz, nicht grün, pink, blau oder orange. Unser Auftrag ist kein partei-, aber ein gesellschaftspolitischer. Wir wollen die Gesellschaft zum Positiven verändern und die Interessen jener Menschen, die auf unsere Hilfe angewiesen sind, bestmöglich vertreten – im Idealfall mit den Betroffenen. Wir können nicht alles ändern, aber gemeinsam können wir fast alles ändern …
medianet: ... aber selbst dieses ‚Gutes tun' diffamieren manche als negativ; ist Klaus Schwertner trotzdem ein ‚Gutmensch'?
Schwertner: Ja, und ich bin stolz darauf. Natürlich ist mir klar, dass dieser Begriff häufig eingesetzt wird, um andere zu diffamieren und um soziales Engagement verächtlich zu machen. Ich bin ja nicht naiv! Aber meine tägliche Arbeit macht mich sicher: Ich bin lieber ein Gutmensch als ein Schlechtmensch. Und die Gutmenschen sind in der Mehrheit. Und das ist gut so.
medianet: Bleiben wir kurz noch beim Thema Social Media: Viele Menschen teilen Inhalte zum Thema Armut in der Gesellschaft. Doch wie schafft man es, diese Menschen auch dazu zu bringen, mehr zu tun, als nur eine Story zu liken oder zu sharen?
Schwertner: Indem man einerseits den Blickkontakt mit der Not herstellt. Und indem man andererseits zeigt, wie einfach helfen sein kann. Es gibt so viele Möglichkeiten, wie wir helfen können. Wir müssen es nur tun. Ein Schlafsack hilft gegen Kälte. Eine warme Mahlzeit hilft gegen den Hunger. Und ein Gespräch gegen Einsamkeit. Hier können Soziale Medien ermutigend sein, ebenfalls zu helfen. Solidarität ist niederschwelliger geworden. Ich glaube: Wer liked und shared, ist tendenziell auch gewillter, zu spenden oder zu helfen. Außerdem bin ich überzeugt: Helfen ist immer auch Ausdruck der eigenen Würde und Ausdruck des eigenen Menschseins. Diesem Impuls nachzugeben, bereichert also auch das eigene Leben ungemein. Solidarität und Nächstenliebe sind also nicht nur niederschwelliger geworden. Solidarität und Nächstenliebe sind auch unglaublich ansteckend. Und das ist gut so.