Gastbeitrag ••• Von Anne M. Schüller
Die Ära von Wachstum auf Teufel komm raus und Maximalrenditen um jeden Preis ist endgültig vorbei. Denn Tatsache ist: Das tradierte Wirtschaftssystem bedroht die Lebensgrundlage unseres Planeten. Zukunftssichere Unternehmen entwickeln sich zu vernetzten Organismen, die nachweislich auch Verantwortung für das Gemeinwohl tragen. Denn leere Versprechen genügen nicht mehr. Der ergrünte Zeitgeist will endlich Taten sehen. Ein glaubwürdiges soziales Engagement und ein ernsthaftes Hinterfragen, wie wir mit uns und der Welt umgehen, das wird zum neuen Trend. Unter dem Begriff „Purpose” erhält dieser Trend nun Gestalt.
Ein Purpose ist der Daseinssinn, das große Warum eines Unternehmens, die Philosophie hinter dem Geschäftsmodell, der sinnstiftende Wesenskern, die Leitmaxime für alles Handeln. Er sagt der Welt und den Menschen, was das Unternehmen ökonomisch, ökologisch und sozial für sie tun will und kann, um ihr Leben besser zu machen. Im Idealfall will er – passend zum Geschäftszweck – auch gesellschaftliche Herausforderungen lösen. Er definiert die „höchste zukünftige Möglichkeit einer Organisation”, würde der durch seine „Theorie U” bekannt gewordene Systemforscher und MIT-Professor Otto Scharmer wohl dazu sagen.
Buzzword oder Mindset?
Ein nachweisbar aufrichtiger Purpose wird zum Wettbewerbsfaktor. „Insbesondere Marken, die ihre Attraktivität bei jüngeren, idealistischeren Zielgruppen steigern wollen, werden dieses Thema zunehmend für sich entdecken”, sagt John Bache, Geschäftsführer bei der VIM Group. Doch nicht nur die Nachwuchsgeneration ist offen für eine ethische Grundhaltung und einen sinnstiftenden Corporate Purpose. Das Thema berührt zunehmend alle Menschen.
Von manchen wird der Begriff Purpose derzeit als Buzzword verunglimpft, gebrandmarkt, verteufelt. So lässt sich das Neue schnell vertreiben. „Alter Wein in neuen Schläuchen”, tönen die Bewahrer und Boykottierer. Herrje! Das Neue am Neuen nicht mal zu erkennen, ist besonders gefährlich. Denn, ganz offensichtlich: Bislang stand in der Wirtschaft der Profit im Scheinwerferlicht, während „People” und „Planet” trotz aller Lippenbekenntnisse nicht wirklich eine sehr große Rolle spielten.
„Wir sind nur den Anteilseignern verpflichtet, alle anderen Anspruchshaltungen interessieren uns nicht”, so das typische Statement eines CEO – aus dem letzten Jahr. Externalitäten zu erzeugen, war und ist eine gängige Praxis. Externalitäten sind unkompensierte Effekte, die auf Bereiche außerhalb des Unternehmens abgewälzt werden – und dort erhebliche Schäden anrichten, ohne Übernahme von Verantwortung. So werden Kosten für Umweltschäden nicht dem Unternehmen zugerechnet, sondern sind von der öffentlichen Hand zu tragen. Das bedeutet: Die Gewinne werden privatisiert und kommen nur einigen wenigen zugute, die Schäden hingegen werden vergesellschaftet und in die Zukunft verlagert.
„Manager der Zukunft hingegen werden von einem Mind- und Soulset, also einer Einstellungs- und Herzenssache, geleitet sein, in deren Fokus die Sinnhaftigkeit ihres Tuns steht”, schreibt Bernd Thomsen, CEO der Strategieberatung Thomsen Group, in einer Kolumne für das Handelsblatt. „Ein erfolgreicher Purpose nutzt den ‚Sweetspot', also das Beste aus folgenden Zutaten: was die Firma gut kann, was die Welt braucht und wofür das Herz aller Menschen im Unternehmen – sowie das der Kunden und der Gesellschaft – schlägt.”
Wenn die Manager das doch nur endlich begreifen würden: Keine noch so gut gemachte Schönwetterkampagne kann auf Dauer darüber hinwegtäuschen, was einen Anbieter tatsächlich treibt. Dennoch passiert in puncto Purpose gerade das, was nahezu immer passiert: Man will so schnell wie möglich mit dabei sein, weil das Thema grad hypt. Die Hersteller austauschbarer Consumer-Produkte wittern ein neues Alleinstellungsmerkmal, Agenturen ein lukratives Geschäft. Für manche ist Purpose, so Thomsen in seiner Kolumne, „das ultimative PR- und Marketing-Instrument, frei nach dem Motto: sich eben mal was ‚mit Sinn' ausdenken und schon hat man Erfolg.”
Worthülse oder authentisch?
Flugs soll die Hausagentur einen Purpose entwickeln, der möglichst gut klingt. Halt! Purpose-Maximen haben in den Händen von Werbern nichts zu suchen. Ihr Output wirkt aus Kundensicht unecht, haltlos, beliebig, banal, kommt oft einer Luftnummer, wenn nicht gar einer Lachnummer gleich. Man nährt den schönen Schein und schwingt Sonntagsreden. Doch drinnen im Unternehmen bleibt alles beim Alten, man lebt nicht, was man sagt. Damit steht nicht nur die Integrität eines Anbieters, sondern auch dessen Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Häme, Zynismus und beißender Spott sind nicht selten die Folge. Man wird entlarvt und genüsslich an den Online-Pranger gestellt.