••• Von Alexandra Binder
Im Jänner diesen Jahres ging ein kurzes Raunen durch die Content-Marketerszene. Grund: Die Mediaagentur MediaCom ließ die Branche wissen, dass Emotional Tracking mit Gesichtserkennung und Analytik ab sofort ein integrierter Teil ihrer Content-Tests und Mediaplanung sei. Dahinter steckt ein Deal mit dem amerikanischen Emotionsmessungs-Unternehmen Realeyes, dessen Technik in den zentralen Content-Hub von MediaCom integriert wird, sodass Hersteller und Planer auf Emotional Analytics zugreifen können. Was insofern nicht ganz bedeutungslos ist, als die zur WPP-Gruppe gehörende MediaCom nicht nur 6.500 Mitarbeiter in über 100 Ländern hat und einen Brutto-Jahresumsatz (Billings) von 33 Billionen USD macht, sondern auch prominente Kunden wie Procter & Gamble, Shell, Sony Mobile und Coca-Cola ihr Eigen nennt.
Vergangenheit und Zukunft
„Wie sieht unser Alltag im digitalen Zeitalter aus? Unsere mobilen Endgeräte lassen uns fotografieren, filmen und texten. Wir produzieren unentwegt Content in der Hoffnung, dass es eine definierte Zielgruppe interessiert und zu einer Interaktion animiert. Diese Vorgehensweise findet nicht nur bei uns Konsumenten statt, sondern auch bei Anbietern von Waren oder Dienstleistungen”, skizziert Marketingexperte Christian Wrede den Status quo. Und der leite jetzt die nächste Evolutionsstufe ein: „Marketer wollen ihren gefühlten Strategien genaue Daten für die Verifizierung folgen lassen. Also müssen neue Technologien für die Umsetzung her. Das Thema, das dabei interessiert, ist die Messung von emotionalen Reaktionen bei der Betrachtung von Content – also dem Content-Konsum. Hieraus lässt sich dann ein Interesse oder eine Kaufabsicht herleiten.” Der Verifizierungs-Wunsch der Werbekunden in Richtung der Agenturen werde schon seit einiger Zeit immer lauter. „Und gerade die verhassten Mediaagenturen nehmen sich nun dieses Themas an und messen per Gesichtserkennung und -analyse die Wirkung der angestrebten Unternehmensziele.”
Yvette Schwerdt, Expertin für internationales Marketing mit Schwerpunkt Deutschland–USA sieht die Sache ähnlich. Auch sie meint: „Wir fotografieren, wir filmen, wir formulieren. Wir Content Marketing-Liebhaber produzieren Inhalte am laufenden Band. Stehen sie schließlich, bleibt uns nicht viel anderes übrig, als zu hoffen. Hoffen, dass die Resultate unsere Zielgruppen interessieren, faszinieren und engagieren. So war’s zumindest bislang.” Jetzt wollten sich Content Marketer aber nicht mehr mit vager Hoffnung und ungenauen Methoden, wie Fokusgruppen, zufriedengeben. Sie verlangten Gewissheit. Und würden dabei auf neue Technologien setzen, die die emotionalen Reaktionen der Zuschauer beim Content-Konsum messen. Damit, so Schwerdt, ließen sich emotionale Metriken in Berichte einbinden und Kampagnen systematisch optimieren. Ergo wundere es sie auch nicht, dass führende Mediaagenturen, wie die genannte MediaCom, ihren Kunden nun anbieten, die Wirkung ihrer Unternehmensinhalte vorab, per Gesichtserkennung und -analyse zu eruieren.
Und so gehts
Hinter Emotional Analytics steckt eine Technologie, die mehr macht, als nur die Augenbewegungen zu verfolgen. Vielmehr werden die komplexen Gesichtsausdrücke überwacht und die daraus abgeleiteten Daten im bereits erwähnten Content-Hub gespeichert. „Die verwaltende Mediaagentur kann dann emotionale Metriken in Auswertungen und Kampagnen-Berichte einbinden und so Marketing-Prozesse situativ anpassen oder eine entsprechende Empfehlung aussprechen”, so Wrede. Alles, was es dann noch brauche, um die emotionalen Reaktionen zu ermitteln, seien Webcams, die bei Usergruppen daheim oder in ihren Büros installiert würden.
Gemessen werden bei allen Usern die gleichen Basis-Emotionen, sprich Glück, Wut, Trauer, Angst, Überraschung, etc., festgehalten wird aber auch die individuell-unterschiedliche Intensität. Für Schwerdt besonders interessant ist außerdem, „dass das System fein auf die kulturellen Unterschiede zwischen Usern unterschiedlicher Nationalitäten eingeht”. Will heißen: Es kann beispielsweise zwischen den Emotionen eines heißblütigen Italieners und eines zurückhaltenden Japaners unterscheiden.
Schnell, günstig, genau
„Dank Tools wie Realeyes erhalten wir im Voraus verhaltensbezogene Informationen, die es uns ermöglichen, Content vor dem Start zu optimieren und zu messen”, frohlockt MediaCom Executive Palle Finderup Diederichsen in einer Erklärung. Und fragt man Realeyes-CEO Mikhel Jaatma, dann wird schnell klar, warum eine führende Mediaagentur gerade jetzt auf den Emotional Analytics-Zug aufspringt: „Es ist schneller, günstiger und ermöglicht es, direkte affektive Antworten zu bekommen, anstelle der aus Online-Befragungen oder Fokusgruppen abgeleiteten Reaktionen.”
Im Hinblick auf langfristige Umsatzvorhersagen lägen Online-Befragungen bei 65% Genauigkeit, Realeyes bei 75%. Man sei demnach um zehn Prozent präziser: „Damit meint er eine schnelle und genauere Auswertbarkeit als bei Online-Befragungen oder einer Fokusgruppe”, so Wrede. Doch da geht noch mehr. Geht es um die Einschätzung im Hinblick auf Social Media – Shares, Kommentare oder Views – liege man sogar bei über 80% Genauigkeit, so Jaatma.
Der Mitbewerb
Das System, das die Mediaagenturen gerade entdecken, ist dabei allerdings alles andere als neu. Es basiert auf einer Technologie, die der US-Psychologe Paul Ekman (siehe Kasten) bereits in den 1970ern entwickelt hat und die nun junge US-Unternehmen wie Affectiva, Eyeris, Emotient und eben Realeyes inspiriert hat, eine Software zu entwickeln, die wahre Gefühle in Echtzeit berechnen kann.
Jaatma bezeichnet einzig Affectiva als echten Mitbewerber – das Unternehmen konzentriere sich allerdings voll auf den US-Markt, während man selbst auf andere Länder fokussiert sei. Marketingexperte Wrede bremst Jaatmas Selbstbewusstsein freilich ein bisschen: „Realeyes ist ein gefragter Anbieter aus diesem Bereich, weitere folgen aber bereits nach.”
Apples jüngste Akquisition Emotient – nach Faceshift, Polar Rose und Perceptio übrigens bereits das vierte Unternehmen, das sich mit künstlicher Intelligenz (K.I.) beschäftigt – gehört nicht dazu, wenn es nach Jaatma geht. Er bezeichnet das Start-up, dessen Algorithmen der Bestimmung von Gefühlen hinter Gesichtsausdrücken dienen, gar „in Sachen Software und Service Jahre hinter uns und Affectiva.” Aus diesem Grund prognostiziert der Realeyes-Chef auch, dass Apples Neuübernahme sich auf Geräteinteraktion konzentrieren wird und nicht auf die Anzeigen- und Marketinganalyse. Emotient allerdings nutzte künstliche Intelligenz bisher sehr wohl, um Reaktionen einkaufender Menschen auf Werbung und Angebote in Ladengeschäften automatisiert einschätzen zu können. Auf seiner Website verweist das Start-up sogar auf Kunden, die die Stimmungserkennung auf Basis von Gesichtsaufnahmen bereits einsetzen. Dazu gehören Unternehmen, die Reaktionen von Kunden auf Werbung und Inhalte analysieren wollen.
Jaatma spricht dagegen lieber über die nächste eigene Herausforderung: Nun, da emotionale analytische Systeme zuverlässig emotionale Ausdrücke erkennen, gehe es um die Analyse von Details, darum, präzise zu messen, welche Gefühle genau zu Aktionen wie einem Kauf, einer Anmeldung oder einer Wahl führten.
Die Kostenfrage
Bleibt noch die Kostenfrage. Und auch die scheint zugunsten der neuropsychologischen Emotionsmessung auszugehen. Realeyes etwa beziffert seine Tests, die zwischen 48 und 96 Stunden in Anspruch nehmen, zwischen 3.500 und 7.000 USD. Im Gegensatz dazu, sagt Jaatma, käme ein Standard-Pre-Launch-Test von Nielsen/Millward Brown auf zwischen 10.000 und 15.000 USD und dauere 150 Stunden aufwärts. Auf die Frage, warum man selbst so viel kostengünstiger anbieten könne, hat er eine schlichte Antwort: „Weil der gesamte Prozess durch die Software durchgeführt wird, einschließlich der Gesichtsausdrucks-Erfassung und -analyse.” Im Vergleich dazu stünde in den bis dato benutzten Methoden der humane Kostenfaktor im Vordergrund, und zwar egal ob im Fall von Online-Befragungen oder dem Führen von Fokusgruppen. Marketing-Experte Wrede hält dem freilich entgegen, dass man selbst bei einer solchen Technik, wie Realeyes sie einsetzt, eine Tatsache nicht außer Acht lassen dürfe: „Letztendlich ist es ein Mensch, der entscheiden muss, welche Aktion auf eine emotionale Reaktion folgen soll. Die Deutung von Emotionen kann der Mensch halt am besten.”
Und die Einschätzung von Schwerdt? Die ist der Meinung, Emotional Analytics könnten künftig im Marketing eine richtungsweisende Rolle spielen: „Bleibt wohl nur noch schlüssig zu ermitteln, welche Emotionen zu welchen Aktionen führen, und was der User fühlen sollte, wenn wir von ihm wollen, dass er unsere Produkte kauft, unser Unternehmen weiterempfiehlt, oder unsere Inhalte weiterleitet.”
Weiterführende Infos:
www.realeyesit.com
www.affectiva.com
www.emotient.com
www.paulekman.com