MARKETING & MEDIA
© Gianmaria Gava

Redaktion 12.02.2021

„Wir ändern ungern unsere Meinungen”

Wie man Verschwörungstheorien begegnet: Expertin und Autorin Ingrid Brodnig über ihr neues Buch „Einspruch!”.

••• Von Nadja Riahi

WIEN. Was soll ich tun, wenn meine Familie, Freunde oder Bekannte Verschwörungsmythen oder Fake News glauben? Dieser Frage stellt sich Ingrid Brodnig, Expertin für Digitalisierung, Hass im Netz und Lügengeschichten. medianet sprach mit der Autorin über ihr neues Buch „Einspruch!”


medianet:
Frau Brodnig, in Ihrem neuen Buch widmen Sie sich dem wichtigen Thema Verschwörungen und Fake News. Warum sind Menschen gerade jetzt so anfällig, solchen Erzählungen zu glauben?
Ingrid Brodnig: Weil Zeiten großer Verunsicherung auch die Sehnsucht nach einer großen Erklärung wecken. Einerseits befriedigen Verschwörungsmythen emotionale Bedürfnisse, das heißt, sie liefern das Gefühl von Welterklärung und Gewissheit. Auf der anderen Seite ist es so, dass Menschen in Zeiten, wie wir sie gerade erleben, auch eine Art Kontrollverlust spüren. Manchmal fühlen sich Menschen womöglich ‚sicherer', wenn sie eine Art Wahrheit gefunden haben.

medianet:
Sie beschreiben in ‚Einspruch' Tipps, Tricks und Strategien, die jeder von uns anwenden kann, wenn wir mit Menschen diskutieren, die Falschmeldungen und Verschwörungserzählungen glauben. Ein Tipp ist es, nicht nur Fakten zu berücksichtigen – eine etwas ungewöhnliche Strategie …
Brodnig: Es klingt tatsächlich paradox, dass in einem Buch, in dem es darum geht, Fakten verständlich zu machen, letztendlich nicht nur die Fakten zählen. Zum Hintergrund: Verschwörungsmythen sind nicht deshalb so beliebt, weil sie so unwiederlegbar oder so genial formuliert sind. Das Problem ist, dass viele Menschen Fakten oft nicht zuhören wollen, weil die Falscherzählung zum Beispiel besser in ihr Weltbild passt. Wenn ich Fakten verständlich machen will, sollte ich deshalb auch die Emotion berücksichtigen. Die Gefahr ist: Wenn ich nur auf Fakten eingehe und mein Gegenüber damit zutexte, kann es sein, dass ich enttäuscht werde, wenn es nicht klappt. Eine Strategie kann sein, dass ich meine Argumente auch stark auf die Bedürfnisse der anderen Person ausrichte.

medianet:
Welche anderen Strategien gibt es noch, um eine fruchtbare Diskussion zu führen?
Brodnig: Eine der wichtigsten Methoden ist tatsächlich die Frage. Ich kann die Gesprächsdynamik ändern, indem ich nicht immer ins inhaltliche Kontern gehe, sondern mit Nachfragen versuche, die Meinung und Überzeugungen meines Gesprächspartners zu inspizieren. Zum Beispiel: ‚Woher hast du diese Informationen?, ‚Welche Quelle ist das genau?' oder ‚Warum vertraust du XY?'. Hier ist es wichtig, in einem empathischen, wertschätzenden Ton zu fragen.

medianet:
Wie kann es gelingen, trotz Unstimmigkeiten gelassen zu bleiben?
Brodnig: Wenn ich von meiner eigenen Emotion ein bisschen zurücksteige und nachfrage, nehme ich auch ein bisschen den Druck raus, gleich die volle Überzeugungsarbeit leisten zu wollen. Mir persönlich hilft es, mir vor Augen zu führen, dass wir Menschen nur sehr ungern unsere Meinungen ändern. Oft ist es schon ein Erfolg, wenn jemand nur den Hauch eines Zweifels spürt.

medianet:
Mit Humor zu kontern, ist auch eine Ihrer Strategien …
Brodnig: Tatsächlich kann Humor auch ein Mittel der Aufklärung sein. Zum Beispiel wenn man damit die Absurdität einer These unterstreicht. Das funktioniert aber nur, wenn die Person noch bereit ist, auf Skurrilitäten zu achten. Das heißt, wenn jemand zu 100 Prozent von so einer Erzählung überzeugt ist, dann wird der Witz dort wahrscheinlich nicht fruchten. Aber es gibt oft Menschen, die irgendwo dazwischenstehen, da kann Humor auch helfen, die fehlende Logik aufzuzeigen. Alles in allem gibt es keine Wundermittel. Die Kniffe und Hilfsmittel helfen uns aber, dass wir uns im Kontern verbessern. Wichtig ist, nicht immer nur dem gleichen Schema F zu folgen, sondern Verschiedenes auszuprobieren.

medianet:
Wie wird Desinformation so erfolgreich?
Brodnig: Desinformation ist oft rhetorisch sehr gekonnt. Es wird viel mit Wiederholungen gearbeitet, die Sprache ist einfach und bildhaft. Die Aufklärung tut sich hingegen manchmal schwer, weil sie vergleichsweise kompliziert ist. Ich habe oft den Eindruck, dass Falschmeldungen sehr emotional verbreitet werden und bei Wahrheiten auf den puren Magnetismus von Fakten gesetzt wird.

medianet:
Nun geht es im Leben auch darum, sich seine eigene Zeit gut einzuteilen und sinnvoll zu investieren. Wann merke ich, dass ich eine ‚verlorene Schlacht' kämpfe? Ist es ‚okay', dann mit der Überzeugungsarbeit aufzuhören?
Brodnig: Die großen Fragen sind hier: ‚Wie wichtig ist mir ein Mensch?' und ‚Wie wichtig ist mir ein Thema?'. Kurz gesagt: Niemand ist verpflichtet, alles Falsche auf dieser Welt wegzudiskutieren. Am Ende ist es wichtig, sich realistische Ziele zu setzen. Außerdem gibt es auch professionelle Einrichtungen, die einem in diesem Fall zur Seite stehen, wie etwa die Bundesstelle für Sektenfragen in Österreich.

TEILEN SIE DIESEN ARTIKEL