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© Lorenz Huter

Redaktion 28.05.2021

„Wir wollen etwas zum Diskurs beitragen”

Florian Gasser, der neue "Zeit"-Österreich-Chef, im ­ausführlichen Interview zu seinen Ideen für das Medium.

••• Von Dinko Fejzuli und Tanja Holz

WIEN. Knapp zehn Jahre lang schrieb Florian Gasser bereits als Redakteur für Deutschlands größte Wochenzeitung, Die Zeit, dann ging plötzlich alles Schlag auf Schlag.

2019 übernahm der studierte Politikwissenschaftler die stellvertretende Leitung des Wiener Zeit-Büros, im Juli diesen Jahres übernimmt er deren Leitung und tritt damit die Nachfolge des langjährigen Chefs Joachim Riedl an. In den Journalismus sei er eigentlich „reingestolpert”, obwohl ihm als Volksschulkind „diese romantische Karla-Kolumna-Welt, in der man aufwächst, wenn man Benjamin Blümchen hört, schon wahnsinnig gut gefallen hat”, erzählt Gasser.
Erste journalistische Erfahrungen holte sich der aus Innsbruck stammende Gasser bei dem österreichischen Jugendmagazin Chilli.cc, nach Stationen als freier Autor und als Praktikant bei der APA landete er als Hospitant bei der Zeit in Hamburg. „Danach habe ich dort als Freier begonnen und 2011 wurde die Stelle als Redakteur in Wien frei. Joachim Riedl hat mich damals gefragt, ob ich das gerne machen möchte”, erklärt Gasser seinen Werdegang.

Kontinuierliches Wachstum

Gegründet wurde die Österreich-Ausgabe der Zeit 2005, seither konnte sie ihre Auflage auf 30.000 Exemplare pro Woche verdreifachen. Die dreiköpfige Österreich-Redaktion besteht aus Florian Gasser, Christina Pausackl und August Modersohn und arbeite an einem „Hybrid-Medium”, so Gasser.

„Wir beliefern auch ‚Zeit-Online', wo wir oftmals sehr aktuell hauptsächlich für deutsches Publikum schreiben: gleichzeitig erfüllen wir die Rolle eines Korrespondentenbüros für das Hauptblatt. Unsere Kernaufgabe sind aber die Österreich-Seiten.”
Diese umfassen mittlerweile vier Seiten wöchentlich, seit Kurzem wurde das „Österreich-Porträt” zum „Alpen-Porträt” erweitert, wo wöchentlich bekannte Persönlichkeiten aus der Schweiz und Österreich vorgestellt werden.

Podcast zum Erfolg

Neben dem reinen Printprodukt für Österreich entstand im Jahr 2018 der transalpine Zeit-Podcast „Servus. Gruezi. Hallo” Mit Lenz Jacobsen, Politredakteur in Berlin, und Matthias Daum, Leiter des Schweizer Zeit-Büros, spricht Gasser dort über aktuelle politische und gesellschaftliche Ereignisse in den drei Ländern.

„Es schreiben uns viele Menschen, die erst durch den Podcast draufgekommen sind, dass es eine Schweiz- und Österreich-Ausgabe der Zeit gibt, und die daraufhin ein Abo abgeschlossen haben”, erklärt Gasser. „Da hilft natürlich der Erfolg des Podcasts, weil man uns relativ einfach findet, da wir in Österreich jede Woche in den Top 5 der I-Tunes Charts sind.”
Einen Einfluss hat der Podcast zudem auch auf den Altersschnitt der Leser. „Das beeindruckende an den Zahlen ist, wie jung unsere Leserinnen und Leser sind: 70 Prozent sind in Österreich unter 49 Jahre alt”, erzählt Gasser. Das hänge zum einen sicher auch mit dem Erfolg des Podcasts zusammen, zum anderen aber vor allem mit der Verdreifachung der Abonnement-Zahlen. „Wir haben eben einen Großteil der österreichischen Leserschaft erst in den vergangenen 15 Jahren aufgebaut und das ist eine ziemlich gute Zukunftsversicherung”, so Gasser.

Veränderung als Prozess

Generell werde es mit der Bestellung Gassers zum Leiter keine „Revolution im Blatt” geben, denn die Veränderung sei eher ein „kontinuierlicher Prozess”.

„Die Funktionsweise von Wochenzeitungen hat sich geändert. Wenn man sich die Zeit von dem Zeitpunkt, als ich 2011 angefangen habe, ansieht und mit heute vergleicht, gibt es teilweise fundamentale Unterschiede”, erklärt Gasser. „Es gibt komplett neue Ressorts, die Zeit entwickelt sich laufend weiter. Das wird auch so bleiben. Natürlich wird auch meine Handschrift durchkommen. Übrigens bleibt uns Joachim Riedl weiter als Autor erhalten.”
Trotzdem werde Gasser den Fokus auf zwei bestehende Bereiche legen, um diese „noch stärker weiterzuentwickeln”: Erstens gebe es in Deutschland ein immer größeres Interesse an Österreich, auch „über die üblich verdächtigen Themen hinaus.”
Bemerkbar mache sich das sowohl auf Zeit-Online „an den Klickzahlen, aber auch im Hauptblatt sind Österreich-Themen immer stärker vertreten, man merkt es aber auch im Blatt”, so Gasser.
„Wir sind deshalb immer öfter und intensiver im Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen in Hamburg und Berlin, um entweder gemeinsame Geschichten zu machen oder um uns über Dinge auszutauschen, die vielleicht in Österreich schon passiert sind, und die in Deutschland gerade erst aktuell werden.”

Die Alpen-Strategie

Zweitens wolle Gasser „die Erweiterung der sogenannten Alpenstrategie oder des Alpenplans vorantreiben.

„Begonnen haben wir den Plan mit dem transalpinen Podcast. Daraus ist ein Print-Produkt entstanden, nämlich die Zeit-Alpen – ein Gemeinschaftswerk des Züricher und Wiener Büros, das vier Mal im Jahr erscheint. Dazu kommt noch das bereits erwähnte ‚Alpen'-Portrait. Diese Geschichten werden in den nächsten Monaten sicher verstärkt”, erklärt Gasser die Pläne.
Der Zukunft der Zeit sieht er durchwegs optimistisch entgegen. „Die Zeiten, in denen es die Aufgabe war, die Geschehnisse der letzten sieben Tage zusammenzufassen, sind längst vorbei. Wir machen die Themen, die wir für wichtig halten und bei denen wir das Gefühl haben, etwas zum Diskurs beitragen zu können.”
Auf den Erfolg wolle sich Gasser nicht zu sehr verlassen, denn die Verantwortung steige. „Das Vertrauen, das wir jetzt bei vielen Menschen haben, müssen wir uns immer wieder neu verdienen. Wenn wir das schaffen, glaube ich, dass wir auch in Zukunft sehr gut und sehr erfolgreich sein werden.”

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