••• Von Thomas Hoisl
„In einer Platte steckt so viel, was man bei einer CD nicht fühlen kann”, meinte einmal der belgische Fotograf und Regisseur Anton Corbijn gegenüber der amerikanischen Wochenzeitung LA Weekly. Corbijn lichtete in den 1970er- und 80er-Jahren Rockstars wie David Bowie oder Bob Dylan ab – und schoss die Fotos legendärer Plattencover von Bruce Springsteen, U2 oder Nick Cave. Für den Fotografen war und ist es nicht nur das großflächige Cover der LP (Langspielplatte), das seine Bilder, im Gegensatz zur kleinformatigen CD, in höherem Glanz erscheinen lässt. Vinyl beweise auch sonst mehr Gefühl: „Das Rausrutschen der Platte, das leise Knacksen, wenn sie spielt, es ist etwas Lebendiges – eine CD ist nicht lebendig.” Und das Nostalgie-Gefühl von Corbijn scheint sich in der heutigen, schnelllebigen und hochtechnologisierten Welt auch wieder zu verbreiten – bei Sammlern, Künstlern und Konsumenten sind Schallplatten hoch im Kurs.
Fernab von Gabalier & Fischer
Im Februar hat die IFPI Austria –der Verband der Österreichischen Musikwirtschaft – die neuen Umsatzzahlen des österreichischen Musikmarkts für das Jahr 2015 veröffentlicht. Der Gesamtumsatz schrumpfte im Gegensatz zum Vorjahr um 1,5 Prozent (von 145,5 auf 143,4 Mio. €) – ein Abwärtstrend, der sich seit Jahren zwar behäbig, aber dennoch kontinuierlich fortsetzt. Zwei Segmente jedoch erreichen Jahr für Jahr Zuwächse: Zum einen sind das Streamingdienste à la Spotify, iTunes oder Deezer, zum anderen die guten alten Schallplatten. So erhöhte sich der Gesamtumsatz von Vinyl-Verkäufen vergangenes Jahr um ganze 30 Prozent – und zwar von 4 auf 5,2 Mio. €. Klar: immer noch ein kleines Stück vom großen Kuchen, der weiterhin an die digitalisierten Scheiben von Andreas Gabalier und Helene Fischer geht – das Wachstumspotenzial der analogen Tonträger wird aber immer deutlicher. Generell lässt sich sagen, dass Österreich im weltweiten Vergleich auch heutzutage noch in solidem Maße auf physische Formate setzt. Global gesehen sind diese mit einem Anteil von 46% schon dem digitalen Markt unterlegen. Hierzulande gehen aber weiterhin rund 65% der verkauften Singles und Alben in CD-Form über den Ladentisch, oder neuerdings eben auch in Vinyl-Form.
Wie Schwammerl aus dem Boden
Vinyl als Fetisch, so wird es im Genre-Klassiker „High Fidelity” des Schriftstellers Nick Hornby beschrieben. In den weniger gefragten Zeiten fanden Platten ihren Platz immer noch in kultig-typischen Vinyl-Läden, von denen in den letzten Jahren auch in Wien immer mehr aus dem Boden schießen wie Schwammerl. Zu beobachten ist das Phänomen dabei vor allem in den hippen Innenstadtbezirken zwischen Wieden und Neubau; an dieser Schnittstelle haben Sylvia Benedikter und Andi Voller auch 2004 den Recordbag eröffnet. Den Wandel der Tonträger haben beide selbst am eigenen Leib erfahren. Zuvor waren sie beim Virgin Mega Store auf der Mariahilfer Straße tätig. Als dieser schließen musste, machten sie ihren eigenen, kleinen Laden auf. Damals war der Handel mit den Tonträgern weiterhin auf CD fokussiert:. „Am Anfang lag das Verhältnis von CD zu LP bei 3:1, mittlerweile ist es 1:10”, meint Sylvia Benedikter.
Vinyl als Neuware
Der Hype ums Vinyl ist für sie nicht nur dem trendigen Format geschuldet, sondern auch ganz pragmatisch einem zusätzlichen Kaufanreiz: „Alle heutigen Platten haben auch einen Download-Code inkludiert, oder sogar noch eine extra CD. Neben dem Stück für das Regal besitzt man auch gleich die digitale Version und muss sich nicht mit verminderter Qualität von YouTube, oder illegalem Downloads herumschlagen.” Spezialisiert hat man sich beim Recordbag auf Alternative, Indie-Rock und Punk und legt auch ein besonders großes Augenmerk auf heimische Musik. „Wir suchen immer nach neuer Musik, die uns gefällt, kontaktieren die Bands, um sie bei uns im Laden zu haben und damit mehr Leuten näherzubringen”, so Benedikter – von Fans für Fans sozusagen.
Vinyl war nie tot
Neben Läden wie Recordbag, die ausschließlich Neuware anbieten, spielen Second Hand-Läden seit jeher eine entscheidende Rolle. Das älteste und berühmteste Geschäft dieser Sparte liegt wenige Häuserblocks vom Recordbag entfernt, im sechsten Bezirk: Der Plattenladen Teuchtler ist ein wahres Urgestein unter Wiens Plattenläden; der Familienbetrieb besteht seit 1948 und versteht sich als Anlaufstelle für Kauf, Ankauf und Tausch.
„Mein Großvater besaß eine Sammlung von 100.000 Schellack-Platten, die nach seinem Tod von der Nationalbibliothek aufgekauft wurden”, ao Philipp Teuchtler. 20.000 Schellacks (die Vorstufe zum modernen Vinyl) lagern weiterhin in den Gemäuern des Ladens, der weit über die Landesgrenzen hinweg bekannt ist. Im Teuchtler wird vor allem der Sammel- und Liebhaberaspekt des Vinyls zelebriert. „Ich würde sagen, dass es im Laufe der 70 Jahre keine wirklich schwierigen Phasen gegeben hat. Was man bemerken kann, ist, dass sich Angebot und Nachfrage verschieben – was vor Jahren noch Ladenhüter waren, ist plötzlich wieder gefragt, und Platten, die damals gesucht waren, bleiben liegen. Geblieben ist aber die Nachfrage nach Musik”, sagt der Inhaber des Ladens und ergänzt: „Der Trend hin zum Vinyl ist bei uns aber natürlich nicht zu übersehen.”
Die Industrie zieht mit
Dass Vinyl wieder in ist, das ist natürlich auch den großen Handelsketten nicht entgangen: Bei den Elektronikhändlern Media Markt oder Saturn stehen längst auch wieder Platten in den Regalen. In den Vinyl-Abteilungen der Unternehmen will man die Konsumenten vor allem mit einem Re-Issues (Neuauflagen) bewährter Klassiker-Alben locken. „Vinyl ist ein seit Jahren absatz- und umsatzsteigerndes Segment”, erklärte eine Unternehmenssprecherin von Saturn vor Kurzem dem deutschen Rolling Stone-Magazin. Ein anderer, riesiger Markt findet freilich im Internet über Anbieterseiten wie Amazon statt. Gleichzeitig haben auch sämtliche Plattenfirmen Vinyl wieder in die Pflicht genommen – und nicht nur Independent Labels setzen auf das Format: auch Major-Firmen vermarkten ihre Superstars wie Lady Gaga mit aufwendigen Box-Sets.
Wandel des Tonträgers
Die wahre Blütezeit der Platten liegt aber wohl dennoch weiter zurück. 1938 erfunden, dominierte Vinyl in den 1950ern, 60ern und bis Mitte der 70er ganz klar den Musikhandel. Danach machte sich für einige Jahre das Phänomen Kassette breit, welches in den USA ab dem Jahr 1985 schon öfters verkauft wurde, als die teureren Schallplatten.
Eine weitaus größere Revolution setzte jedoch zur gleichen Zeit mit dem Auftauchen der CDs ein – dem ersten, digitalen Musikmedium. Ende der 80er-Jahre verschwand dann das Vinyl allmählich, während der Aufstieg der CD sich rasant vollzog und um die Jahrtausendwende seinen endgültigen Höhepunkt erreichte: In den USA wurden im Jahr 2000 12 Mrd. USD (10,8 Mrd. €) mit CD-Umsätzen erzielt; heute sind es keine drei Milliarden mehr. Mitte der Nullerjahre sank die CD in ihrer Bedeutung so rapide ab, wie sie zuvor aufgestiegen war.
Durch das Aufkommen neuerer virtueller Formate wie den mp3s wurde sie dann quasi auch noch selbst Opfer ihrer digitalen Schöpfung. Die CD hatte ihren materiellen Wert verloren. Was kam, zusammen mit einem breiten Retro-Trend in vielen anderen Lifestyle-Bereichen, war die Renaissance der alten Schallplatten. Diesen physischen Bezug zum Medium lassen sich Musikliebhaber heute wieder etwas kosten.
Tag der Plattenläden
Ein besonders wichtiges Datum für die Wiener Plattenläden stellt jedes Jahr der dritte Samstag im April dar. An diesem Tag wird nämlich seit 2007 der internationale Record Store Day (RSD) gefeiert. „Es ist der Tag der unabhängigen Plattenläden, den wir zusammen mit unseren Kunden feiern”, sagt Sylvia Benedikter vom Recordbag. „Für uns ist der RSD, obwohl er mittlerweile sehr kommerzialisiert ist, sehr wichtig.”
Am besagten Tag werden limitierte Pressungen angeboten, die schon tags darauf stark im Wert steigen. Im Recordbag und vielen anderen Läden finden zudem Konzerte statt. Lange nachdem das Vinyl eigentlich schon für tot erklärt wurde, kann dieser Tag jedenfalls auch als weiteres Indiz dafür gewertet werden, dass die schwarzen Scheiben wieder ihre goldenen Zeiten erleben.