••• Von Oliver Jonke und Georg Sohler
Bereits seit dem Jahre 1585 besteht das Handelshaus Kiennast in Gars am Kamp. Vielleicht auch länger, zumindest wurde das Handelshaus in Gars am Kamp vor 439 Jahren erstmals urkundlich erwähnt. Das erste Mal trug das Handelshaus 1710 den Namen Kiennast, als Mathias einheiratete und den Laden übernahm. Die Cousins Julius und Alexander führen das Haus seit 2015, in der neunten Generation; das Familienunternehmen ist heute größer, als es sich die Vorfahren der beiden wohl jemals hätten vorstellen können. Ein paar Kennzahlen: 2023 betrug der Umsatz knapp 150 Mio. €, rund 450 Mitarbeiter arbeiten im Unternehmen, das 100 Einzelhandelsstandorte (davon 45 Nah&Frisch-Geschäfte), rund 2.000 Gastronomiebetriebe (unter der Vertriebsschiene Eurogast Kiennast) und 3.000 Kunden aus dem Tankstellen- und Convenience-Bereich (als unik) beliefert.
Die beiden Cousins berichten im medianet-Interview mit Herausgeber Oliver Jonke über aktuelle Vorgänge und Herausforderungen – und wie wichtig die Heimat in Gars noch heute ist.
Historische Meilensteine
Neue Ideen sind in der Familie stets willkommen. So holten sich bereits im 19. Jahrhundert Kaufleute aus dem Umland Waren von dem Kiennastschen Gemischtwarenhandel. In jüngerer Vergangenheit hatte auch jede Generation so ihre Großprojekte, die das Handelshaus zu dem machen, was es heute ist. 1910 errichtete man etwa die erste Benzinzapfsäule, Treibstofflieferant ist seit 1925 Shell. In weiterer Folge baute man die Großhandelstätigkeit aus.
1956 trat man der Kaufleuteorganisation A&O bei, dem Vorgänger von Nah&Frisch. In den 1960er-Jahren startete die Belieferung der Gastronomie. 1985 entschieden sich die Väter der gegenwärtigen Führungsriege, am Ortsrand ein Logistikzentrum zu eröffnen. Seit den 90er-Jahren werden von dort aus auch die Tankstellen beliefert. Das Wachstum ist stetig: „Das Logistikzentrum ist seit der Gründung im Schnitt alle zehn Jahre erweitert worden”, so Alexander Kiennast, „heute beträgt die Fläche 55.000 Quadratmeter, verbaut sind davon 19.000.” Der letzte Meilenstein ist die Eröffnung des neuen Bürostandorts im Juni 2024 in der Nähe des Logistikzentrums.
Von dort aus leiten die Kiennasts nicht nur das eigene Kaufhaus Gars, sondern auch ihre Beteiligungen an Eurogast, Nah&Frisch, Getränkedienstleister Lichtenegger sowie den neben dem neuen Firmensitz größten Meilenstein der letzten Jahre, unik. 2022 übernahm man nämlich die Lekkerland Handels- und Dienstleistungs GmbH und taufte sie um.
So geht Familybusiness
Einen Familienbetrieb in dieser Größenordnung zu führen, wirkt nach außen hin nicht so leicht; doch die Cousins harmonieren bestens miteinander: „Alexander und ich haben das gut aufgeteilt”, erzählt Julius, „Ich mache alles, was mit Einzelhandel zu tun hat sowie Logistik und das Kaufhaus in Gars.” „Meine Bereiche”, übernimmt sein Cousin, „sind Gastronomie, Großhandel, Einkauf, Finanzen, Controlling, IT und der Standort in Gmünd.” Klarerweise benötigen so viele Bereiche entsprechendes Personal, das wiederum Platz braucht. Darum hat diese Generation das Bürogebäude, das im Juni eröffnet wurde, als Großprojekt durchgeführt. „Die Gebäude in der Stadt sind historisch gewachsen, wir waren an verschiedenen Plätzen und das war schlichtweg nicht mehr zeitgemäß”, legt Julius die Gründe für den Neubau dar. Am Ende eines Nachdenkprozesses stand dann die Entscheidung, an der Wiener Straße am Logistikzentrum anzudocken.
Hier verwurzelt
Sofort sei klar gewesen, dass das im Juni dieses Jahres eröffnete Gebäude aus Holz bestehen solle. Das Heiz- und Kühlsystem funktioniert mit Erdbohrungen, die Handwerker kamen so gut wie möglich aus der Region – man will ja seinen Anteil dazu beitragen, dass es das Handelshaus noch weitere 440 Jahre gibt. Nachhaltigkeit in allen Bereichen, das wird großgeschrieben, auch hinsichtlich der Arbeitskräfte aus der Region, in der man verblieb.
Die Überlegung, Gars zu verlassen, gab es dabei nicht: „Aus logistischer Sicht ist Gars am Kamp vielleicht nicht der beste Platz für eine österreichweite Belieferung. Aber wir sind schon so lange da und hier verwurzelt. Viele unserer langjährigen Mitarbeiter sind von hier.” Ins größere Horn (6.500 Einwohner) fährt man eine gute Viertelstunde, das nächste Zentrum ist Krems (25.000), das dauert eine halbe Stunde. In der heutigen, angespannten Situation am Arbeitsmarkt ist es vielleicht gar nicht so einfach, immer genügend Personal an den Standort in Gars zu bekommen.
Mitarbeiter für die Provinz?
„Wir haben in den letzten Jahren immer gute und tüchtige Mitarbeiter gefunden, auch aus dem nahen Tschechien”, so Julius. Für spezifische Managementaufgaben kommen die Mitarbeiter schon einmal aus Wien bzw. dem Wiener Umland. Sein Cousin wirft ein: „Die Mitarbeitersuche ist am Land vielleicht etwas herausfordernder, umgekehrt sehen wir es als Riesenvorteil gegenüber einem Standort im städtischen Bereich.” Das zeigt sich seiner Ansicht nach an den Zahlen: Die Fluktuation ist gering, der längstdienende Mitarbeiter ist 42 Jahre im Unternehmen. Am anderen Ende des Arbeitslebens hat man viele Lehrlinge, die in der Logistik beginnen und Einkäufer und Teamleiter werden. Das geht auch nicht von heute auf morgen.
Damit sich die Belegschaft besonders wohlfühlt, gibt es außerdem noch ein Mitarbeiterrestaurant, in deem täglich frisch gekocht wird. Derartige, woanders würde man „Fringe Benefits” sagen, braucht es heutzutage – vielleicht auch gerade dann, wenn man ein bisschen vom Schuss weg ist.
Die aktuelle Situation
Doch man lebt immer im Hier und Jetzt. Wie gestaltet sich also die wirtschaftliche Situation im Gastronomiebereich? „Unser Wachstum in der Gastronomie war in den letzten Jahren hoch, die Raten waren zweistellig”, berichtet Alexander Kiennast. „2024 war verhaltener, wir liegen mit zwei bis drei Prozent über dem Vorjahr.” Das zeigt sich in ganz Österreich bzw. am ganzen Markt. Eine Kaufzurückhaltung sei spürbar und 2025 werde wohl nicht so stark werden wie die letzten Jahre – man rechnet aber immerhin mit einem „gesunden Wachstum”.
Im LEH verantwortet Julius Kiennast 100 Standorte, 45 davon sind Nah&Frisch-Partner: „Der Druck auf die Kaufleute ist schon da. Mit dem Hybridmodell sehen wir eine Chance, die Standorte positiv in die Zukunft zu führen, aktuell sind vier Standorte umgerüstet.” Das Herzstück Bedientheke (sowie Alkoholverkauf, Tabak, Lotto und Toto) soll persönlich geschehen; zu anderen Zeiten gibt es Selbstbedienung, statt 40 bis 50 Stunden wie bis jetzt können die meisten die Höchstzahl von 72 Stunden Öffnung pro Woche ausreizen – mehr Umsatz bei gleichzeitiger Reduktion der Personalkosten. Die Entwicklung bezeichnet er als „stabil”, außerdem könne man „auch in die Qualität investieren” und so mehr Kaufleute gewinnen.
Modern in die Zukunft
Doch nicht nur bei Nah&Frisch sucht man neue Wege. Die Eurogast-Gruppe treibt die Digitalisierung in der Gastronomie voran, jährlich wird kräftig investiert. Die digitalen Bestellquoten inklusive eigener App liegt bei bereits 60%. Als erster am Markt gibt es auch eine KI-unterstützte Sprachsteuerung, die die gesprochene Bestellung in die Systeme einspeist. Auch im LEH nutzt man via Markant digitale Dienstleistungen. „Unser Ziel ist die Digitalisierung aller Abläufe – von der Bestellung, über die Rechnungskontrolle bis zur Finanzbuchhaltung und zum Servicecenter”, so Alexander Kiennast.
Übrigens: Drucker gibt es nur noch einen pro Stockwerk, ein Fingerzeig, dass man ein Gefühl für die Zeichen der Zeit hat. Das Handelshaus scheint auch für die nächsten Jahrhunderte fit.